Denkmalpflege und Museen sind geborene' Bundes- genossen. Es scheint das eine selbstverständliche, kaum noch zu weiterer Überlegung auffordernde Wahrheit zu sein. Aber auch unter guten Bundes- genossen ist es erlaubt, das gegenseitige Verhältnis von Zeit zu Zeit einmal einer Prüfung zu unterziehen, ob es tat- sächlich ganz das leiste, was es der Idee nach leisten soll.
Wollen wir uns von vornherein darüber klar sein: die Ge- nossen sind von Natur recht ungleich beschaffen. Die Denkmal- pflege, das jüngste Glied der unter dem allgemeinen Namen Kunst- pflege zusammengefaßten Bestrebungen, geht von einem einfachen Grundgedanken aus und verfolgt ein einseitliches Ziel; in den moder- nen Museen setzt ein sehr altes Sammelwesen sich fort, Traditionen und Motive allerverschiedenster Art treffen in ihnen zusammen. Die Denkmalpflege verteidigt, das Sammelwesen greift aus. Die Denkmalpflege sieht das einzelne Kunstwerk als untrennbaren Teil eines historisch gewordenen Kulturorganismus an und um dessent- willen, nicht zuerst wegen eines erwarteten ästhetischen Gewinnes, schützt und pflegt sie es; das Sammelwesen hat es mit entwurzelten Gewächsen zu tun, mit Gliedern, die von ihren Körpern getrennt und nach Gutdünken in neue Verbindungen gebracht werden; es will gewinnen, besitzen und genießen; es macht das Kunstwerk zur Ware, zur Beute. Die ersten Sammler fremder und alter Kunst, von denen wir Näheres wissen, waren die selbst Kunst nicht produ- zierenden Römer, und wir wissen auch, wie sie dabei zu Werke gingen. Rom wurde reich durch Plünderung der Provinzen. Sagen wir anstatt Plünderung Ausnutzung materieller Überlegenheit, so müssen wir bekennen, daß die römischen Methoden bis auf den heutigen Tag nicht ausgestorben sind.
Da hat nun das 19. Jahrhundert zum erstenmal den ihm für immer zum Ruhm gereichenden Versuch gemacht, mit dem alten, rein privatrechtlichen und individualistischen System zu brechen. Es hat zum erstenmal den Gedanken auf den Schild gehoben: Kunstsammlungen haben einem öffentlichen Interesse zu dienen. Soll denn diese Ungleichheit ewig bestehen bleiben, die nur durch Nebeneigenschaften hervorgerufene
Denkmalpflege und Museen sind geborene' Bundes- genossen. Es scheint das eine selbstverständliche, kaum noch zu weiterer Überlegung auffordernde Wahrheit zu sein. Aber auch unter guten Bundes- genossen ist es erlaubt, das gegenseitige Verhältnis von Zeit zu Zeit einmal einer Prüfung zu unterziehen, ob es tat- sächlich ganz das leiste, was es der Idee nach leisten soll.
Wollen wir uns von vornherein darüber klar sein: die Ge- nossen sind von Natur recht ungleich beschaffen. Die Denkmal- pflege, das jüngste Glied der unter dem allgemeinen Namen Kunst- pflege zusammengefaßten Bestrebungen, geht von einem einfachen Grundgedanken aus und verfolgt ein einseitliches Ziel; in den moder- nen Museen setzt ein sehr altes Sammelwesen sich fort, Traditionen und Motive allerverschiedenster Art treffen in ihnen zusammen. Die Denkmalpflege verteidigt, das Sammelwesen greift aus. Die Denkmalpflege sieht das einzelne Kunstwerk als untrennbaren Teil eines historisch gewordenen Kulturorganismus an und um dessent- willen, nicht zuerst wegen eines erwarteten ästhetischen Gewinnes, schützt und pflegt sie es; das Sammelwesen hat es mit entwurzelten Gewächsen zu tun, mit Gliedern, die von ihren Körpern getrennt und nach Gutdünken in neue Verbindungen gebracht werden; es will gewinnen, besitzen und genießen; es macht das Kunstwerk zur Ware, zur Beute. Die ersten Sammler fremder und alter Kunst, von denen wir Näheres wissen, waren die selbst Kunst nicht produ- zierenden Römer, und wir wissen auch, wie sie dabei zu Werke gingen. Rom wurde reich durch Plünderung der Provinzen. Sagen wir anstatt Plünderung Ausnutzung materieller Überlegenheit, so müssen wir bekennen, daß die römischen Methoden bis auf den heutigen Tag nicht ausgestorben sind.
Da hat nun das 19. Jahrhundert zum erstenmal den ihm für immer zum Ruhm gereichenden Versuch gemacht, mit dem alten, rein privatrechtlichen und individualistischen System zu brechen. Es hat zum erstenmal den Gedanken auf den Schild gehoben: Kunstsammlungen haben einem öffentlichen Interesse zu dienen. Soll denn diese Ungleichheit ewig bestehen bleiben, die nur durch Nebeneigenschaften hervorgerufene
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Denkmalpflege und Museen sind geborene' Bundes-
genossen. Es scheint das eine selbstverständliche,
kaum noch zu weiterer Überlegung auffordernde
Wahrheit zu sein. Aber auch unter guten Bundes-
genossen ist es erlaubt, das gegenseitige Verhältnis
von Zeit zu Zeit einmal einer Prüfung zu unterziehen, ob es tat-
sächlich ganz das leiste, was es der Idee nach leisten soll.
Wollen wir uns von vornherein darüber klar sein: die Ge-
nossen sind von Natur recht ungleich beschaffen. Die Denkmal-
pflege, das jüngste Glied der unter dem allgemeinen Namen Kunst-
pflege zusammengefaßten Bestrebungen, geht von einem einfachen
Grundgedanken aus und verfolgt ein einseitliches Ziel; in den moder-
nen Museen setzt ein sehr altes Sammelwesen sich fort, Traditionen
und Motive allerverschiedenster Art treffen in ihnen zusammen.
Die Denkmalpflege verteidigt, das Sammelwesen greift aus. Die
Denkmalpflege sieht das einzelne Kunstwerk als untrennbaren Teil
eines historisch gewordenen Kulturorganismus an und um dessent-
willen, nicht zuerst wegen eines erwarteten ästhetischen Gewinnes,
schützt und pflegt sie es; das Sammelwesen hat es mit entwurzelten
Gewächsen zu tun, mit Gliedern, die von ihren Körpern getrennt
und nach Gutdünken in neue Verbindungen gebracht werden;
es will gewinnen, besitzen und genießen; es macht das Kunstwerk
zur Ware, zur Beute. Die ersten Sammler fremder und alter Kunst,
von denen wir Näheres wissen, waren die selbst Kunst nicht produ-
zierenden Römer, und wir wissen auch, wie sie dabei zu Werke
gingen. Rom wurde reich durch Plünderung der Provinzen. Sagen
wir anstatt Plünderung Ausnutzung materieller Überlegenheit, so
müssen wir bekennen, daß die römischen Methoden bis auf den
heutigen Tag nicht ausgestorben sind.
Da hat nun das 19. Jahrhundert zum erstenmal den ihm für
immer zum Ruhm gereichenden Versuch gemacht, mit dem alten,
rein privatrechtlichen und individualistischen System zu brechen.
Es hat zum erstenmal den Gedanken auf den Schild gehoben:
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. [285]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/347>, abgerufen am 24.11.2024.
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