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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
lerisch und technisch gebildeten oder von Künstlern und Tech-
nikern unterstützten Archäologen. Das zwanzigste Jahrhundert
wird die vom neunzehnten begangenen Fehler nicht wieder gut
machen können, aber es wird sie nicht wiederholen. Unter den
Künstlern selbst beginnen sich die Anschauungen zu klären; ein-
zelne erschreckende Rückfälle in romantische Willkür auch noch
in neuester Zeit sollen mich nicht abhalten, dies anzuerkennen. Was
die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts zu ihren Irrgängen ver-
leitet hat, war ein Hinüberwirken anormaler Zustände in der
schaffenden Kunst, die nicht ewig dauern können. Wir kommen
der letzten Ursache auf die Spur, wenn wir von der Wahrnehmung
ausgehen, daß die verschiedenen Kunstgattungen in sehr verschie-
denem Grade vom Übel betroffen gewesen sind. Museen der
Malerei und Plastik werden längst nicht mehr von Malern und Bild-
hauern verwaltet, sondern von Kunsthistorikern mit technischen
Hilfsarbeitern; daß Maler von Rang sich mit Bilderrestauration
abgeben, kommt nicht vor; einer beschädigten Statue den fehlenden
Arm oder Kopf hinzuzudichten ist heute verpönt, -- es wäre denn
an einem Abguß, aber nie am Original. Woher nun das völlig andere
Verhalten der Architekten? Die Antwort gibt die Kunstgeschichte
des 19. Jahrhunderts. Es begann mit völliger Erschöpfung der
originalen Stilkraft. Maler und Bildhauer sind dann nach und nach
zu einer relativ eigenartigen Ausdrucksweise vorgedrungen. Die
Architektur konnte die Offenbarungen, die ihr der historische Geist
des Jahrhunderts darbrachte, nicht ertragen, als Ganzes bietet sie,
soviel hochbegabte und edelgesinnte Meister es auch gegeben hat,
ein Bild der Anarchie. Sie war unfrei und willkürlich zugleich. Sie
kannte alle je gesprochenen toten Sprachen der Kunst und bediente
sich nach Wunsch abwechselnd einer jeden; nur eine eigene Sprache
hatte sie nicht. Von hier aus erklärt sich alles; sowohl was gefehlt
worden ist, als von woher die Besserung kommen muß. Von dem
Augenblick ab, wo wir wieder eine klare und einheitliche baukünst-
lerische Überzeugung haben werden -- von diesem Augenblick ab
wird der vom Hauptstrom der schaffenden Kunst verirrte Neben-
arm, der unter dem Namen der Wiederherstellung unsere alten
Denkmäler bedroht, in sein natürliches Bett zurückkehren.

Denkmalschutz und Denkmalpflege
lerisch und technisch gebildeten oder von Künstlern und Tech-
nikern unterstützten Archäologen. Das zwanzigste Jahrhundert
wird die vom neunzehnten begangenen Fehler nicht wieder gut
machen können, aber es wird sie nicht wiederholen. Unter den
Künstlern selbst beginnen sich die Anschauungen zu klären; ein-
zelne erschreckende Rückfälle in romantische Willkür auch noch
in neuester Zeit sollen mich nicht abhalten, dies anzuerkennen. Was
die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts zu ihren Irrgängen ver-
leitet hat, war ein Hinüberwirken anormaler Zustände in der
schaffenden Kunst, die nicht ewig dauern können. Wir kommen
der letzten Ursache auf die Spur, wenn wir von der Wahrnehmung
ausgehen, daß die verschiedenen Kunstgattungen in sehr verschie-
denem Grade vom Übel betroffen gewesen sind. Museen der
Malerei und Plastik werden längst nicht mehr von Malern und Bild-
hauern verwaltet, sondern von Kunsthistorikern mit technischen
Hilfsarbeitern; daß Maler von Rang sich mit Bilderrestauration
abgeben, kommt nicht vor; einer beschädigten Statue den fehlenden
Arm oder Kopf hinzuzudichten ist heute verpönt, — es wäre denn
an einem Abguß, aber nie am Original. Woher nun das völlig andere
Verhalten der Architekten? Die Antwort gibt die Kunstgeschichte
des 19. Jahrhunderts. Es begann mit völliger Erschöpfung der
originalen Stilkraft. Maler und Bildhauer sind dann nach und nach
zu einer relativ eigenartigen Ausdrucksweise vorgedrungen. Die
Architektur konnte die Offenbarungen, die ihr der historische Geist
des Jahrhunderts darbrachte, nicht ertragen, als Ganzes bietet sie,
soviel hochbegabte und edelgesinnte Meister es auch gegeben hat,
ein Bild der Anarchie. Sie war unfrei und willkürlich zugleich. Sie
kannte alle je gesprochenen toten Sprachen der Kunst und bediente
sich nach Wunsch abwechselnd einer jeden; nur eine eigene Sprache
hatte sie nicht. Von hier aus erklärt sich alles; sowohl was gefehlt
worden ist, als von woher die Besserung kommen muß. Von dem
Augenblick ab, wo wir wieder eine klare und einheitliche baukünst-
lerische Überzeugung haben werden — von diesem Augenblick ab
wird der vom Hauptstrom der schaffenden Kunst verirrte Neben-
arm, der unter dem Namen der Wiederherstellung unsere alten
Denkmäler bedroht, in sein natürliches Bett zurückkehren.

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[281/0343] Denkmalschutz und Denkmalpflege lerisch und technisch gebildeten oder von Künstlern und Tech- nikern unterstützten Archäologen. Das zwanzigste Jahrhundert wird die vom neunzehnten begangenen Fehler nicht wieder gut machen können, aber es wird sie nicht wiederholen. Unter den Künstlern selbst beginnen sich die Anschauungen zu klären; ein- zelne erschreckende Rückfälle in romantische Willkür auch noch in neuester Zeit sollen mich nicht abhalten, dies anzuerkennen. Was die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts zu ihren Irrgängen ver- leitet hat, war ein Hinüberwirken anormaler Zustände in der schaffenden Kunst, die nicht ewig dauern können. Wir kommen der letzten Ursache auf die Spur, wenn wir von der Wahrnehmung ausgehen, daß die verschiedenen Kunstgattungen in sehr verschie- denem Grade vom Übel betroffen gewesen sind. Museen der Malerei und Plastik werden längst nicht mehr von Malern und Bild- hauern verwaltet, sondern von Kunsthistorikern mit technischen Hilfsarbeitern; daß Maler von Rang sich mit Bilderrestauration abgeben, kommt nicht vor; einer beschädigten Statue den fehlenden Arm oder Kopf hinzuzudichten ist heute verpönt, — es wäre denn an einem Abguß, aber nie am Original. Woher nun das völlig andere Verhalten der Architekten? Die Antwort gibt die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. Es begann mit völliger Erschöpfung der originalen Stilkraft. Maler und Bildhauer sind dann nach und nach zu einer relativ eigenartigen Ausdrucksweise vorgedrungen. Die Architektur konnte die Offenbarungen, die ihr der historische Geist des Jahrhunderts darbrachte, nicht ertragen, als Ganzes bietet sie, soviel hochbegabte und edelgesinnte Meister es auch gegeben hat, ein Bild der Anarchie. Sie war unfrei und willkürlich zugleich. Sie kannte alle je gesprochenen toten Sprachen der Kunst und bediente sich nach Wunsch abwechselnd einer jeden; nur eine eigene Sprache hatte sie nicht. Von hier aus erklärt sich alles; sowohl was gefehlt worden ist, als von woher die Besserung kommen muß. Von dem Augenblick ab, wo wir wieder eine klare und einheitliche baukünst- lerische Überzeugung haben werden — von diesem Augenblick ab wird der vom Hauptstrom der schaffenden Kunst verirrte Neben- arm, der unter dem Namen der Wiederherstellung unsere alten Denkmäler bedroht, in sein natürliches Bett zurückkehren.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/343>, abgerufen am 24.11.2024.