Kenner der Steinbearbeitung geschätzt und brachten auch manche neue Schmuckformen mit.
Die sächsischen Bauten gehen selten über mittlere Größe hinaus; ihr Wert liegt in der klaren Grundrißdisposition -- durch- weg im Sinne des lateinischen Kreuzes --, den harmonischen Raumverhältnissen, der sorgfältigen, maßvollen, in der Zeit der Reife glänzenden, aber aller Phantastik abholden Einzelbehandlung. Die Schwaben und Bayern, soweit sie nicht durch die Hirsauer Schule auf neue Bahnen geführt werden, bleiben in altertümlichen, schwach gegliederten Anlagen befangen und ihr Formensinn neigt zum Derben oder Grotesken; kleine Architekturbilder von maleri- scher Tendenz gelingen ihnen am besten.
Die rheinische Kunst erreicht die Meisterschaft in der groß- artigen Gruppierung vieltürmiger Anlagen, wofür die Dome von Mainz, Worms, Speyer (Ende des 12. und Anfang des 13. Jahr- hunderts umgestaltet) und zahlreiche Kirchen des Niederrheins all- bekannte Beispiele geben. Hier auch wurde mit dem Gewölbebau begonnen. Gleich mit Aufgaben ersten Ranges. An der Spitze stehen die von Kaiser Heinrich IV. umgebauten Dome von Speyer und Mainz. Ihr System ist das der Basilika mit Kreuzgewölben. Das große Problem wurde also fast gleichzeitig mit Cluny in An- griff genommen, für den Durchschnittsstand der deutschen Bau- kunst vorerst noch zu kühn. Größere Verbreitung gewann der Gewölbebau selbst in den Rheinlanden erst 50 Jahre später. Bis er in Schwaben und Sachsen Wurzel faßte, vergingen weitere 50 Jahre, und noch immer verdrängte er die Holzdecke nicht ganz. Zunächst war der Fortschritt ein unzweideutiger auch nur im Praktischen; künstlerisch war das deutsche System, das sog. gebundene, wenig ausgiebig.
So wurde am Schluß des 12. Jahrhunderts -- das erstemal, daß es in einer Hauptfrage geschah -- die Erfahrung des Auslandes zu Hilfe gerufen. Bis dahin hatte sich die deutsche Baukunst, nach der großen Rezeption in der Karolingerzeit, wesentlich aus eigener Kraft fortgebildet. Aus fremden Kunstkreisen nahm sie gelegentlich ornamentale Anregungen an, wie die Handelsartikel
Die Kunst des Mittelalters
Kenner der Steinbearbeitung geschätzt und brachten auch manche neue Schmuckformen mit.
Die sächsischen Bauten gehen selten über mittlere Größe hinaus; ihr Wert liegt in der klaren Grundrißdisposition — durch- weg im Sinne des lateinischen Kreuzes —, den harmonischen Raumverhältnissen, der sorgfältigen, maßvollen, in der Zeit der Reife glänzenden, aber aller Phantastik abholden Einzelbehandlung. Die Schwaben und Bayern, soweit sie nicht durch die Hirsauer Schule auf neue Bahnen geführt werden, bleiben in altertümlichen, schwach gegliederten Anlagen befangen und ihr Formensinn neigt zum Derben oder Grotesken; kleine Architekturbilder von maleri- scher Tendenz gelingen ihnen am besten.
Die rheinische Kunst erreicht die Meisterschaft in der groß- artigen Gruppierung vieltürmiger Anlagen, wofür die Dome von Mainz, Worms, Speyer (Ende des 12. und Anfang des 13. Jahr- hunderts umgestaltet) und zahlreiche Kirchen des Niederrheins all- bekannte Beispiele geben. Hier auch wurde mit dem Gewölbebau begonnen. Gleich mit Aufgaben ersten Ranges. An der Spitze stehen die von Kaiser Heinrich IV. umgebauten Dome von Speyer und Mainz. Ihr System ist das der Basilika mit Kreuzgewölben. Das große Problem wurde also fast gleichzeitig mit Cluny in An- griff genommen, für den Durchschnittsstand der deutschen Bau- kunst vorerst noch zu kühn. Größere Verbreitung gewann der Gewölbebau selbst in den Rheinlanden erst 50 Jahre später. Bis er in Schwaben und Sachsen Wurzel faßte, vergingen weitere 50 Jahre, und noch immer verdrängte er die Holzdecke nicht ganz. Zunächst war der Fortschritt ein unzweideutiger auch nur im Praktischen; künstlerisch war das deutsche System, das sog. gebundene, wenig ausgiebig.
So wurde am Schluß des 12. Jahrhunderts — das erstemal, daß es in einer Hauptfrage geschah — die Erfahrung des Auslandes zu Hilfe gerufen. Bis dahin hatte sich die deutsche Baukunst, nach der großen Rezeption in der Karolingerzeit, wesentlich aus eigener Kraft fortgebildet. Aus fremden Kunstkreisen nahm sie gelegentlich ornamentale Anregungen an, wie die Handelsartikel
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Die Kunst des Mittelalters
Kenner der Steinbearbeitung geschätzt und brachten auch manche
neue Schmuckformen mit.
Die sächsischen Bauten gehen selten über mittlere Größe
hinaus; ihr Wert liegt in der klaren Grundrißdisposition — durch-
weg im Sinne des lateinischen Kreuzes —, den harmonischen
Raumverhältnissen, der sorgfältigen, maßvollen, in der Zeit der
Reife glänzenden, aber aller Phantastik abholden Einzelbehandlung.
Die Schwaben und Bayern, soweit sie nicht durch die Hirsauer
Schule auf neue Bahnen geführt werden, bleiben in altertümlichen,
schwach gegliederten Anlagen befangen und ihr Formensinn neigt
zum Derben oder Grotesken; kleine Architekturbilder von maleri-
scher Tendenz gelingen ihnen am besten.
Die rheinische Kunst erreicht die Meisterschaft in der groß-
artigen Gruppierung vieltürmiger Anlagen, wofür die Dome von
Mainz, Worms, Speyer (Ende des 12. und Anfang des 13. Jahr-
hunderts umgestaltet) und zahlreiche Kirchen des Niederrheins all-
bekannte Beispiele geben. Hier auch wurde mit dem Gewölbebau
begonnen. Gleich mit Aufgaben ersten Ranges. An der Spitze
stehen die von Kaiser Heinrich IV. umgebauten Dome von Speyer
und Mainz. Ihr System ist das der Basilika mit Kreuzgewölben.
Das große Problem wurde also fast gleichzeitig mit Cluny in An-
griff genommen, für den Durchschnittsstand der deutschen Bau-
kunst vorerst noch zu kühn. Größere Verbreitung gewann der
Gewölbebau selbst in den Rheinlanden erst 50 Jahre später.
Bis er in Schwaben und Sachsen Wurzel faßte, vergingen weitere
50 Jahre, und noch immer verdrängte er die Holzdecke nicht ganz.
Zunächst war der Fortschritt ein unzweideutiger auch nur im
Praktischen; künstlerisch war das deutsche System, das sog.
gebundene, wenig ausgiebig.
So wurde am Schluß des 12. Jahrhunderts — das erstemal,
daß es in einer Hauptfrage geschah — die Erfahrung des Auslandes
zu Hilfe gerufen. Bis dahin hatte sich die deutsche Baukunst,
nach der großen Rezeption in der Karolingerzeit, wesentlich aus
eigener Kraft fortgebildet. Aus fremden Kunstkreisen nahm sie
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/34>, abgerufen am 16.02.2025.
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