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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
Existenz als solcher. Wir konservieren ein Denkmal nicht,
weil wir es für schön halten, sondern weil es ein Stück unseres
nationalen Daseins ist. Denkmäler schützen heißt nicht Genuß
suchen, sondern Pietät üben. Ästhetische und selbst kunsthisto-
rische Urteile schwanken, hier ist ein unveränderliches Wertkenn-
zeichen gefunden.

Nun aber zeigt sich noch von einer ganz anderen Seite her der
Gedanke des Denkmalschutzes als Angehöriger einer neuen Zeit.
Anscheinend lediglich konservativ in seiner Tendenz, wie es auch
seiner Entstehung in der Restaurationsepoche entspricht, führt er
zu Konsequenzen, die, zunächst noch unbewußt, aber ganz unwider-
stehlich, nach einer völlig anderen Richtung hindrängen: ich weiß
keinen Namen dafür, als nur den des Sozialismus. Diese soziali-
stische Tendenz ist es fast noch mehr als die konservative, die die
Interessen des Denkmalschutzes praktisch nicht selten mit dem
Liberalismus in Konflikt geraten lassen. Wie ich am Eingang
meines Vortrages sagte, die Werke der bildenden Kunst seien
in bezug auf Dauer am schlechtesten gestellt, so muß ich jetzt hin-
zufügen: sie sind auch durch unser Rechtssystem und unser Wirt-
schaftssystem am schlechtesten gestellt. Das ist die Folge ihrer
geistig-körperlichen Doppelnatur. Das herrschende Recht berück-
sichtigt sie nur als körperliche Wesen, und doch ist es die allge-
meine Überzeugung, daß ihr wahres Wesen ein geistiges sei. Das
Interesse, das die Gesamtheit an ihnen hat, überwiegt ganz uner-
meßlich das Interesse des Individuums -- soll es ungeschützt
bleiben?

Der verstorbene Baron Rothschild in Frankfurt wußte die
schönste Sammlung von Werken der Goldschmiedekunst zusam-
menzubringen, die bekanntlich ein Stolz der künstlerischen Ver-
gangenheit Deutschlands ist. Er ruhte nicht, bis er auch das be-
rühmteste dieser Werke, den Jamnitzerpokal, in Händen hatte.
Derselbe hatte bis dahin im Germanischen Museum in Nürnberg
gestanden, als Eigentum zwar einer in unendlich viele Zweige ge-
spaltenen Nürnberger Patrizierfamilie, die sich schließlich genötigt
sah, ihn an den Meistbietenden zu veräußern. Bald darauf starb
Rothschild und vermachte seinen goldenen Hort einem Vetter in

Denkmalschutz und Denkmalpflege
Existenz als solcher. Wir konservieren ein Denkmal nicht,
weil wir es für schön halten, sondern weil es ein Stück unseres
nationalen Daseins ist. Denkmäler schützen heißt nicht Genuß
suchen, sondern Pietät üben. Ästhetische und selbst kunsthisto-
rische Urteile schwanken, hier ist ein unveränderliches Wertkenn-
zeichen gefunden.

Nun aber zeigt sich noch von einer ganz anderen Seite her der
Gedanke des Denkmalschutzes als Angehöriger einer neuen Zeit.
Anscheinend lediglich konservativ in seiner Tendenz, wie es auch
seiner Entstehung in der Restaurationsepoche entspricht, führt er
zu Konsequenzen, die, zunächst noch unbewußt, aber ganz unwider-
stehlich, nach einer völlig anderen Richtung hindrängen: ich weiß
keinen Namen dafür, als nur den des Sozialismus. Diese soziali-
stische Tendenz ist es fast noch mehr als die konservative, die die
Interessen des Denkmalschutzes praktisch nicht selten mit dem
Liberalismus in Konflikt geraten lassen. Wie ich am Eingang
meines Vortrages sagte, die Werke der bildenden Kunst seien
in bezug auf Dauer am schlechtesten gestellt, so muß ich jetzt hin-
zufügen: sie sind auch durch unser Rechtssystem und unser Wirt-
schaftssystem am schlechtesten gestellt. Das ist die Folge ihrer
geistig-körperlichen Doppelnatur. Das herrschende Recht berück-
sichtigt sie nur als körperliche Wesen, und doch ist es die allge-
meine Überzeugung, daß ihr wahres Wesen ein geistiges sei. Das
Interesse, das die Gesamtheit an ihnen hat, überwiegt ganz uner-
meßlich das Interesse des Individuums — soll es ungeschützt
bleiben?

Der verstorbene Baron Rothschild in Frankfurt wußte die
schönste Sammlung von Werken der Goldschmiedekunst zusam-
menzubringen, die bekanntlich ein Stolz der künstlerischen Ver-
gangenheit Deutschlands ist. Er ruhte nicht, bis er auch das be-
rühmteste dieser Werke, den Jamnitzerpokal, in Händen hatte.
Derselbe hatte bis dahin im Germanischen Museum in Nürnberg
gestanden, als Eigentum zwar einer in unendlich viele Zweige ge-
spaltenen Nürnberger Patrizierfamilie, die sich schließlich genötigt
sah, ihn an den Meistbietenden zu veräußern. Bald darauf starb
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[268/0330] Denkmalschutz und Denkmalpflege Existenz als solcher. Wir konservieren ein Denkmal nicht, weil wir es für schön halten, sondern weil es ein Stück unseres nationalen Daseins ist. Denkmäler schützen heißt nicht Genuß suchen, sondern Pietät üben. Ästhetische und selbst kunsthisto- rische Urteile schwanken, hier ist ein unveränderliches Wertkenn- zeichen gefunden. Nun aber zeigt sich noch von einer ganz anderen Seite her der Gedanke des Denkmalschutzes als Angehöriger einer neuen Zeit. Anscheinend lediglich konservativ in seiner Tendenz, wie es auch seiner Entstehung in der Restaurationsepoche entspricht, führt er zu Konsequenzen, die, zunächst noch unbewußt, aber ganz unwider- stehlich, nach einer völlig anderen Richtung hindrängen: ich weiß keinen Namen dafür, als nur den des Sozialismus. Diese soziali- stische Tendenz ist es fast noch mehr als die konservative, die die Interessen des Denkmalschutzes praktisch nicht selten mit dem Liberalismus in Konflikt geraten lassen. Wie ich am Eingang meines Vortrages sagte, die Werke der bildenden Kunst seien in bezug auf Dauer am schlechtesten gestellt, so muß ich jetzt hin- zufügen: sie sind auch durch unser Rechtssystem und unser Wirt- schaftssystem am schlechtesten gestellt. Das ist die Folge ihrer geistig-körperlichen Doppelnatur. Das herrschende Recht berück- sichtigt sie nur als körperliche Wesen, und doch ist es die allge- meine Überzeugung, daß ihr wahres Wesen ein geistiges sei. Das Interesse, das die Gesamtheit an ihnen hat, überwiegt ganz uner- meßlich das Interesse des Individuums — soll es ungeschützt bleiben? Der verstorbene Baron Rothschild in Frankfurt wußte die schönste Sammlung von Werken der Goldschmiedekunst zusam- menzubringen, die bekanntlich ein Stolz der künstlerischen Ver- gangenheit Deutschlands ist. Er ruhte nicht, bis er auch das be- rühmteste dieser Werke, den Jamnitzerpokal, in Händen hatte. Derselbe hatte bis dahin im Germanischen Museum in Nürnberg gestanden, als Eigentum zwar einer in unendlich viele Zweige ge- spaltenen Nürnberger Patrizierfamilie, die sich schließlich genötigt sah, ihn an den Meistbietenden zu veräußern. Bald darauf starb Rothschild und vermachte seinen goldenen Hort einem Vetter in

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/330>, abgerufen am 24.11.2024.