Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Die Kunst des Mittelalters Zusammenhang mit altgermanischen Erinnerungen, ist eine schwerzu beantwortende Frage. Mit den Normannen ist dieser Stil übers Meer gegangen und hat sich die britische Insel so vollständig unterworfen, daß dort von einem Nachleben sächsischer Art nichts zu entdecken ist. Über Italien ist im Rahmen dieser Übersicht nur kurz Die Kunst des Mittelalters Zusammenhang mit altgermanischen Erinnerungen, ist eine schwerzu beantwortende Frage. Mit den Normannen ist dieser Stil übers Meer gegangen und hat sich die britische Insel so vollständig unterworfen, daß dort von einem Nachleben sächsischer Art nichts zu entdecken ist. Über Italien ist im Rahmen dieser Übersicht nur kurz <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="18"/><fw place="top" type="header">Die Kunst des Mittelalters</fw><lb/> Zusammenhang mit altgermanischen Erinnerungen, ist eine schwer<lb/> zu beantwortende Frage. Mit den Normannen ist dieser Stil<lb/> übers Meer gegangen und hat sich die britische Insel so vollständig<lb/> unterworfen, daß dort von einem Nachleben sächsischer Art nichts<lb/> zu entdecken ist.</p><lb/> <p>Über <hi rendition="#g">Italien</hi> ist im Rahmen dieser Übersicht nur kurz<lb/> zu sprechen. Es zeigt ein nicht weniger vielgestaltiges Bild als<lb/> Frankreich, aber nicht aus Überfluß an spontanen Trieben, sondern<lb/> aus Mangel an Widerstandskraft gegen fremde Einflüsse. Wo<lb/> diese nicht hinkamen, da war lange Zeit nur Stagnation und Ver-<lb/> wilderung. Der Dom von Pisa, 1063 begonnen, aber zu nicht<lb/> geringem Teile erst im 12. Jahrhundert ausgeführt, gibt das erste<lb/> Beispiel eines höheren Lebensgefühls, das in einem Hauptpunkt<lb/> mit der Tendenz der nordalpinen Länder, ohne von ihr abzu-<lb/> hängen, übereinstimmt: in der mit dem Innern gleichartigen<lb/> Behandlung des Außenbaus. Bis tief ins 13. Jahrhundert zehrt die<lb/> toskanische Architektur von den hier gegebenen Gedanken, zu<lb/> denen nur die Florentiner, durch selbständige Beobachtung und<lb/> Deutung der Antike — wie in Südfrankreich ein verfrühter Anlauf<lb/> zur Renaissance — einige neue Züge hinzubrachten. In Rom<lb/> wußte man nichts anderes, als die gebrechlichen Basiliken der<lb/> alten Zeit immer wieder aufs neue auszuflicken mit Bausteinen<lb/> aus dem antiken Trümmerfelde. Den ersten Platz, wenn nach<lb/> Menge und Glanz der Bauwerke zu urteilen wäre, dürften Apulien<lb/> und Sizilien beanspruchen, aber es fehlte zugleich Einheit und<lb/> Konsequenz; byzantinische, arabische, normannische, pisanische<lb/> und lombardische Motive geben mit älteren lokalen Erinnerungen<lb/> das bunteste Durcheinander. Fühlung mit den Bestrebungen<lb/> jenseits der Alpen hatte nur die Lombardei. Hier kam um dieselbe<lb/> Zeit wie in Burgund und am Rhein die Wölbung der Basilika<lb/> zustande. Es scheint, daß Versuche mit dem Hallensystem vor-<lb/> ausgegangen waren; ob als selbständige Erfindung oder als Import<lb/> aus Südfrankreich, ist nicht festzustellen. Der Vorzug des lom-<lb/> bardischen Systems ist seine große Festigkeit, sein Mangel die<lb/> befangene Raumbildung. Diagonalrippen und Strebemauern sind<lb/> bekannt, also der Idee nach ein Analogon zu den Anfängen des<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0032]
Die Kunst des Mittelalters
Zusammenhang mit altgermanischen Erinnerungen, ist eine schwer
zu beantwortende Frage. Mit den Normannen ist dieser Stil
übers Meer gegangen und hat sich die britische Insel so vollständig
unterworfen, daß dort von einem Nachleben sächsischer Art nichts
zu entdecken ist.
Über Italien ist im Rahmen dieser Übersicht nur kurz
zu sprechen. Es zeigt ein nicht weniger vielgestaltiges Bild als
Frankreich, aber nicht aus Überfluß an spontanen Trieben, sondern
aus Mangel an Widerstandskraft gegen fremde Einflüsse. Wo
diese nicht hinkamen, da war lange Zeit nur Stagnation und Ver-
wilderung. Der Dom von Pisa, 1063 begonnen, aber zu nicht
geringem Teile erst im 12. Jahrhundert ausgeführt, gibt das erste
Beispiel eines höheren Lebensgefühls, das in einem Hauptpunkt
mit der Tendenz der nordalpinen Länder, ohne von ihr abzu-
hängen, übereinstimmt: in der mit dem Innern gleichartigen
Behandlung des Außenbaus. Bis tief ins 13. Jahrhundert zehrt die
toskanische Architektur von den hier gegebenen Gedanken, zu
denen nur die Florentiner, durch selbständige Beobachtung und
Deutung der Antike — wie in Südfrankreich ein verfrühter Anlauf
zur Renaissance — einige neue Züge hinzubrachten. In Rom
wußte man nichts anderes, als die gebrechlichen Basiliken der
alten Zeit immer wieder aufs neue auszuflicken mit Bausteinen
aus dem antiken Trümmerfelde. Den ersten Platz, wenn nach
Menge und Glanz der Bauwerke zu urteilen wäre, dürften Apulien
und Sizilien beanspruchen, aber es fehlte zugleich Einheit und
Konsequenz; byzantinische, arabische, normannische, pisanische
und lombardische Motive geben mit älteren lokalen Erinnerungen
das bunteste Durcheinander. Fühlung mit den Bestrebungen
jenseits der Alpen hatte nur die Lombardei. Hier kam um dieselbe
Zeit wie in Burgund und am Rhein die Wölbung der Basilika
zustande. Es scheint, daß Versuche mit dem Hallensystem vor-
ausgegangen waren; ob als selbständige Erfindung oder als Import
aus Südfrankreich, ist nicht festzustellen. Der Vorzug des lom-
bardischen Systems ist seine große Festigkeit, sein Mangel die
befangene Raumbildung. Diagonalrippen und Strebemauern sind
bekannt, also der Idee nach ein Analogon zu den Anfängen des
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