Hauptgesims (außer der selbstverständlich vorauszusetzenden Krö- nung durch Ballustraden, o. dgl.) noch ein wichtiger Bauteil folgen müßte oder auch nur könnte. Die hohen Giebel, wann immer sie hinzugekommen sein mögen, sind unmöglich mit dieser Fassade zugleich erdacht. Und gesetzt, sie wären schon unter Otto Heinrich beschlossen worden, so wäre es doch immer eine von der ersten Idee ab- biegende, nachträgliche Konzession an die nordischen Gewohnheiten.
Archäologisch liegt also der Fall so: das Versprechen, den Otto-Heinrichsbau so wieder herzustellen, wie er gewesen ist, kann nicht eingelöst wer- den, weil niemand, auch nicht Karl Schäfer, mit Sicherheit angeben kann, wie er ausge- sehen hat. Das relativ Wahrscheinlichere ist, daß er anders ausgesehen hat, als auf Schäfers Projekt.
Den Rest der Kritik besorgt wirksamst das Lob der Gesinnungs- genossen. Architekt Fritz Seitz rühmt die "Originalität" des Ent- wurfes. Architekt Ludwig Dihm protestiert dagegen, daß man darin eine bloße Kopie sehen wolle; nein, "es handelt sich um eine ganz hervorragende selbständige Kunstleistung im Geiste der Alten. Schäfers Wiederaufbau wird eine Tat ersten Ranges werden." Das ist so deutlich gesprochen, als wir Antirestauratoren es nur irgend wünschen können. Im Namen der Denkmalserhaltung wird Schäfer ans Werk gerufen, -- und das Ende ist, daß das Denkmal verschwinden soll, um der "selbständigen Tat" Schäfers Platz zu machen. Im übrigen vergesse man nicht, ein wie bedingter Wert derselben auch im günstigsten Falle nur zukommen kann. Es steht damit nicht anders, als wie wenn ein geschickter Philolog zu einem fragmentierten alten Gedicht das fehlende Stück nach ungefährer Inhaltsüberlieferung hinzudichtet. Es kann dabei ein amüsantes Virtuosenstück entstehen, niemals echte Kunst. Die Philologen- dichtung aber braucht niemand zu lesen, und sie alteriert nicht den Eindruck der echten Teile; Schäfers Rekonstruktion -- ich muß es wiederholen -- würde den künstlerischen Charakter des Otto- Heinrichsbaus innerlichst umwandeln.
Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 17
Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?
Hauptgesims (außer der selbstverständlich vorauszusetzenden Krö- nung durch Ballustraden, o. dgl.) noch ein wichtiger Bauteil folgen müßte oder auch nur könnte. Die hohen Giebel, wann immer sie hinzugekommen sein mögen, sind unmöglich mit dieser Fassade zugleich erdacht. Und gesetzt, sie wären schon unter Otto Heinrich beschlossen worden, so wäre es doch immer eine von der ersten Idee ab- biegende, nachträgliche Konzession an die nordischen Gewohnheiten.
Archäologisch liegt also der Fall so: das Versprechen, den Otto-Heinrichsbau so wieder herzustellen, wie er gewesen ist, kann nicht eingelöst wer- den, weil niemand, auch nicht Karl Schäfer, mit Sicherheit angeben kann, wie er ausge- sehen hat. Das relativ Wahrscheinlichere ist, daß er anders ausgesehen hat, als auf Schäfers Projekt.
Den Rest der Kritik besorgt wirksamst das Lob der Gesinnungs- genossen. Architekt Fritz Seitz rühmt die »Originalität« des Ent- wurfes. Architekt Ludwig Dihm protestiert dagegen, daß man darin eine bloße Kopie sehen wolle; nein, »es handelt sich um eine ganz hervorragende selbständige Kunstleistung im Geiste der Alten. Schäfers Wiederaufbau wird eine Tat ersten Ranges werden.« Das ist so deutlich gesprochen, als wir Antirestauratoren es nur irgend wünschen können. Im Namen der Denkmalserhaltung wird Schäfer ans Werk gerufen, — und das Ende ist, daß das Denkmal verschwinden soll, um der »selbständigen Tat« Schäfers Platz zu machen. Im übrigen vergesse man nicht, ein wie bedingter Wert derselben auch im günstigsten Falle nur zukommen kann. Es steht damit nicht anders, als wie wenn ein geschickter Philolog zu einem fragmentierten alten Gedicht das fehlende Stück nach ungefährer Inhaltsüberlieferung hinzudichtet. Es kann dabei ein amüsantes Virtuosenstück entstehen, niemals echte Kunst. Die Philologen- dichtung aber braucht niemand zu lesen, und sie alteriert nicht den Eindruck der echten Teile; Schäfers Rekonstruktion — ich muß es wiederholen — würde den künstlerischen Charakter des Otto- Heinrichsbaus innerlichst umwandeln.
Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 17
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Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?
Hauptgesims (außer der selbstverständlich vorauszusetzenden Krö-
nung durch Ballustraden, o. dgl.) noch ein wichtiger Bauteil folgen
müßte oder auch nur könnte. Die hohen Giebel, wann immer sie
hinzugekommen sein mögen, sind unmöglich mit dieser Fassade
zugleich erdacht. Und gesetzt, sie wären schon unter Otto Heinrich
beschlossen worden, so wäre es doch immer eine von der ersten Idee ab-
biegende, nachträgliche Konzession an die nordischen Gewohnheiten.
Archäologisch liegt also der Fall so: das Versprechen,
den Otto-Heinrichsbau so wieder herzustellen,
wie er gewesen ist, kann nicht eingelöst wer-
den, weil niemand, auch nicht Karl Schäfer,
mit Sicherheit angeben kann, wie er ausge-
sehen hat. Das relativ Wahrscheinlichere
ist, daß er anders ausgesehen hat, als auf
Schäfers Projekt.
Den Rest der Kritik besorgt wirksamst das Lob der Gesinnungs-
genossen. Architekt Fritz Seitz rühmt die »Originalität« des Ent-
wurfes. Architekt Ludwig Dihm protestiert dagegen, daß man darin
eine bloße Kopie sehen wolle; nein, »es handelt sich um eine ganz
hervorragende selbständige Kunstleistung im Geiste der
Alten. Schäfers Wiederaufbau wird eine Tat ersten Ranges werden.«
Das ist so deutlich gesprochen, als wir Antirestauratoren es nur
irgend wünschen können. Im Namen der Denkmalserhaltung wird
Schäfer ans Werk gerufen, — und das Ende ist, daß das Denkmal
verschwinden soll, um der »selbständigen Tat« Schäfers Platz zu
machen. Im übrigen vergesse man nicht, ein wie bedingter Wert
derselben auch im günstigsten Falle nur zukommen kann. Es steht
damit nicht anders, als wie wenn ein geschickter Philolog zu einem
fragmentierten alten Gedicht das fehlende Stück nach ungefährer
Inhaltsüberlieferung hinzudichtet. Es kann dabei ein amüsantes
Virtuosenstück entstehen, niemals echte Kunst. Die Philologen-
dichtung aber braucht niemand zu lesen, und sie alteriert nicht den
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/319>, abgerufen am 22.07.2024.
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