gräuliche Höllenrachen tut sich links auf"; besonders schlagend, weil auf allen anderen bildlichen Darstellungen, die etwa noch in Betracht kommen könnten, d. i. in der Gattung der Gerichts- bilder, der Himmel immer links, die Hölle immer rechts (im Sinne des Beschauers) zu stehen kommt. Die umgekehrte Stellung, wie Goethe sie vorschreibt, ist nur dem "Triumph des Todes" eigen.
Die Hölle selbst zwar wird auf dem Triumphbilde nicht sicht- bar, nur ihre Eingänge. Ihr Inneres schildert ein zweites benach- bartes Gemälde (Taf. 24). Bemerkt muß werden, daß dasselbe in Wirklichkeit nicht unmittelbar an den "Triumph" anstößt, sondern, durch das "jüngste Gericht" hiervon getrennt, weiter rechts sich befindet. In Lasinios Publikation ist dagegen die wirkliche Reihenfolge verkehrt: so, daß Goethe, wenn er die mächtigen Kupfertafeln nach den ihnen aufgedruckten Nummern vor sich auf dem Tische ausbreitete, eben das Höllenbild neben dem Trionfo zu sehen bekam, -- und zwar zu dessen linker Hand! Man möchte sagen, daß hier der Zufall geistreich geworden sei. Denn durch diese irrtümliche Zusammenstellung erst erzeugt sich in Goethes Imagination das große einheitliche Raumbild, an dem er konsequent festhält. Er glaubt die Höllenszene als die innere Höhle desselben Berges, der auf dem "Trionfo" seine oberwelt- liche Seite zeigte, auffassen zu sollen. Und er findet es ange- messen, auch das hier Gesehene seiner Dichtung nicht fremd bleiben zu lassen. Zwar wäre unmöglich, die ganze Fülle des Erschauten zu wiederholen, denn "In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken, So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!" aber wenigstens die auffallendsten Stücke will er nicht ungezeigt lassen. Zuerst den scheußlichen Krokodilsrachen -- "Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit".
Nun steht freilich dieser singularische Rachen mit der Plu- ralität der Höllenpforten (der Krater) auf dem "Trionfo" in ge- wissem Widerspruch. Deshalb korrigiert sich der Dichter: "Zwar hat die Hölle Rachen viele, viele". kehrt aber sogleich wieder zum Singular zurück mit der Szenen- weisung: "Der gräuliche Höllenrachen tut sich auf".
Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
gräuliche Höllenrachen tut sich links auf«; besonders schlagend, weil auf allen anderen bildlichen Darstellungen, die etwa noch in Betracht kommen könnten, d. i. in der Gattung der Gerichts- bilder, der Himmel immer links, die Hölle immer rechts (im Sinne des Beschauers) zu stehen kommt. Die umgekehrte Stellung, wie Goethe sie vorschreibt, ist nur dem »Triumph des Todes« eigen.
Die Hölle selbst zwar wird auf dem Triumphbilde nicht sicht- bar, nur ihre Eingänge. Ihr Inneres schildert ein zweites benach- bartes Gemälde (Taf. 24). Bemerkt muß werden, daß dasselbe in Wirklichkeit nicht unmittelbar an den »Triumph« anstößt, sondern, durch das »jüngste Gericht« hiervon getrennt, weiter rechts sich befindet. In Lasinios Publikation ist dagegen die wirkliche Reihenfolge verkehrt: so, daß Goethe, wenn er die mächtigen Kupfertafeln nach den ihnen aufgedruckten Nummern vor sich auf dem Tische ausbreitete, eben das Höllenbild neben dem Trionfo zu sehen bekam, — und zwar zu dessen linker Hand! Man möchte sagen, daß hier der Zufall geistreich geworden sei. Denn durch diese irrtümliche Zusammenstellung erst erzeugt sich in Goethes Imagination das große einheitliche Raumbild, an dem er konsequent festhält. Er glaubt die Höllenszene als die innere Höhle desselben Berges, der auf dem »Trionfo« seine oberwelt- liche Seite zeigte, auffassen zu sollen. Und er findet es ange- messen, auch das hier Gesehene seiner Dichtung nicht fremd bleiben zu lassen. Zwar wäre unmöglich, die ganze Fülle des Erschauten zu wiederholen, denn »In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken, So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!« aber wenigstens die auffallendsten Stücke will er nicht ungezeigt lassen. Zuerst den scheußlichen Krokodilsrachen — »Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit«.
Nun steht freilich dieser singularische Rachen mit der Plu- ralität der Höllenpforten (der Krater) auf dem »Trionfo« in ge- wissem Widerspruch. Deshalb korrigiert sich der Dichter: »Zwar hat die Hölle Rachen viele, viele«. kehrt aber sogleich wieder zum Singular zurück mit der Szenen- weisung: »Der gräuliche Höllenrachen tut sich auf«.
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Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
gräuliche Höllenrachen tut sich links auf«; besonders schlagend,
weil auf allen anderen bildlichen Darstellungen, die etwa noch
in Betracht kommen könnten, d. i. in der Gattung der Gerichts-
bilder, der Himmel immer links, die Hölle immer rechts (im Sinne
des Beschauers) zu stehen kommt. Die umgekehrte Stellung, wie
Goethe sie vorschreibt, ist nur dem »Triumph des Todes« eigen.
Die Hölle selbst zwar wird auf dem Triumphbilde nicht sicht-
bar, nur ihre Eingänge. Ihr Inneres schildert ein zweites benach-
bartes Gemälde (Taf. 24). Bemerkt muß werden, daß dasselbe in
Wirklichkeit nicht unmittelbar an den »Triumph« anstößt, sondern,
durch das »jüngste Gericht« hiervon getrennt, weiter rechts
sich befindet. In Lasinios Publikation ist dagegen die wirkliche
Reihenfolge verkehrt: so, daß Goethe, wenn er die mächtigen
Kupfertafeln nach den ihnen aufgedruckten Nummern vor sich auf
dem Tische ausbreitete, eben das Höllenbild neben dem Trionfo
zu sehen bekam, — und zwar zu dessen linker Hand!
Man möchte sagen, daß hier der Zufall geistreich geworden sei.
Denn durch diese irrtümliche Zusammenstellung erst erzeugt
sich in Goethes Imagination das große einheitliche Raumbild, an
dem er konsequent festhält. Er glaubt die Höllenszene als die innere
Höhle desselben Berges, der auf dem »Trionfo« seine oberwelt-
liche Seite zeigte, auffassen zu sollen. Und er findet es ange-
messen, auch das hier Gesehene seiner Dichtung nicht fremd
bleiben zu lassen. Zwar wäre unmöglich, die ganze Fülle des
Erschauten zu wiederholen, denn
»In Winkeln bleibt noch vieles zu entdecken,
So viel Erschrecklichstes im engsten Raum!«
aber wenigstens die auffallendsten Stücke will er nicht ungezeigt
lassen. Zuerst den scheußlichen Krokodilsrachen —
»Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit«.
Nun steht freilich dieser singularische Rachen mit der Plu-
ralität der Höllenpforten (der Krater) auf dem »Trionfo« in ge-
wissem Widerspruch. Deshalb korrigiert sich der Dichter:
»Zwar hat die Hölle Rachen viele, viele«.
kehrt aber sogleich wieder zum Singular zurück mit der Szenen-
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/284>, abgerufen am 26.07.2024.
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