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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
eine Glücksstunde kommen, bis uns eine Entdeckung von der Art,
wie die oben mitgeteilte Friedländers, gelingt.

Allein es handelt sich bei dieser noch um mehr, als unmittel-
bar durch sie ausgedrückt scheint. Ich kann meine Verwunderung
nicht unterdrücken, daß unter den Goetheforschern von Beruf
noch niemand dem durch Friedländers Beobachtung gegebenen
Fingerzeig nachzugehen versucht hat. Ist Goethe hier nur von
einem vereinzelten Bruchstück aus der Bilderwelt des Mittel-
alters gestreift worden? oder liegt vielleicht hinter dem Einen
ein Mehr?

Von dieser Frage zur Antwort ist der Weg überraschend kurz.
Eben an demselben Orte, dem berühmten Camposanto zu Pisa,
befinden sich noch zwei andere Gemälde, die ähnlich wie das
oben genannte, nur viel umfassender, an Goethes Gedicht, daß
ich so sage, mitgearbeitet haben. Es sind "Der Triumph des Todes"
und "Die Hölle".

Sei es gestattet, alle Vor- und Nebenfragen einstweilen ruhen
zu lassen, um das behauptete Verhältnis sogleich ad oculos zu
demonstrieren. Den zum Vergleiche beigegebenen Abbildungen
habe ich nicht die Originale, sondern die Kupfertafeln der großen,
1822 vollendeten Publikation Lasinios über das Camposanto zu-
grunde gelegt. Als charakteristische Wiedergabe der Originale
können sie keineswegs gelten, vielmehr ist die herbe Größe des
Trecentostils vom Stecher in ganz unleidlicher Weise in die zopfige
Manier seiner Zeit travestiert. Ich habe ihnen dennoch den
Vorzug gegeben, weil eben sie Goethen als maßgebende Vorlage
dienten. Wichtig schien ferner, nicht etwa bloß die von Goethe
unmittelbar verwerteten Teile aus den szenen- und figurenreichen
Kompositionen herauszuheben, sondern die ganze Masse des vom
Maler dargebotenen Stoffes vorzulegen, damit man beobachten
könne, welche Motive daraus der Dichter aufnahm und welche er
liegen ließ, welche er einfach wie sie waren reproduzierte und welche
ihm Keime zu neuen Gestaltungen wurden. Im Fortgang der Be-
trachtung wird sich zeigen, daß unter den drei in Frage kommenden
Bildern für Goethe das Hauptbild und der Ausgangspunkt für seine
dichtende Phantasie der "Triumph des Todes" war. (Taf. 23.)

Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
eine Glücksstunde kommen, bis uns eine Entdeckung von der Art,
wie die oben mitgeteilte Friedländers, gelingt.

Allein es handelt sich bei dieser noch um mehr, als unmittel-
bar durch sie ausgedrückt scheint. Ich kann meine Verwunderung
nicht unterdrücken, daß unter den Goetheforschern von Beruf
noch niemand dem durch Friedländers Beobachtung gegebenen
Fingerzeig nachzugehen versucht hat. Ist Goethe hier nur von
einem vereinzelten Bruchstück aus der Bilderwelt des Mittel-
alters gestreift worden? oder liegt vielleicht hinter dem Einen
ein Mehr?

Von dieser Frage zur Antwort ist der Weg überraschend kurz.
Eben an demselben Orte, dem berühmten Camposanto zu Pisa,
befinden sich noch zwei andere Gemälde, die ähnlich wie das
oben genannte, nur viel umfassender, an Goethes Gedicht, daß
ich so sage, mitgearbeitet haben. Es sind »Der Triumph des Todes«
und »Die Hölle«.

Sei es gestattet, alle Vor- und Nebenfragen einstweilen ruhen
zu lassen, um das behauptete Verhältnis sogleich ad oculos zu
demonstrieren. Den zum Vergleiche beigegebenen Abbildungen
habe ich nicht die Originale, sondern die Kupfertafeln der großen,
1822 vollendeten Publikation Lasinios über das Camposanto zu-
grunde gelegt. Als charakteristische Wiedergabe der Originale
können sie keineswegs gelten, vielmehr ist die herbe Größe des
Trecentostils vom Stecher in ganz unleidlicher Weise in die zopfige
Manier seiner Zeit travestiert. Ich habe ihnen dennoch den
Vorzug gegeben, weil eben sie Goethen als maßgebende Vorlage
dienten. Wichtig schien ferner, nicht etwa bloß die von Goethe
unmittelbar verwerteten Teile aus den szenen- und figurenreichen
Kompositionen herauszuheben, sondern die ganze Masse des vom
Maler dargebotenen Stoffes vorzulegen, damit man beobachten
könne, welche Motive daraus der Dichter aufnahm und welche er
liegen ließ, welche er einfach wie sie waren reproduzierte und welche
ihm Keime zu neuen Gestaltungen wurden. Im Fortgang der Be-
trachtung wird sich zeigen, daß unter den drei in Frage kommenden
Bildern für Goethe das Hauptbild und der Ausgangspunkt für seine
dichtende Phantasie der »Triumph des Todes« war. (Taf. 23.)

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[224/0280] Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust eine Glücksstunde kommen, bis uns eine Entdeckung von der Art, wie die oben mitgeteilte Friedländers, gelingt. Allein es handelt sich bei dieser noch um mehr, als unmittel- bar durch sie ausgedrückt scheint. Ich kann meine Verwunderung nicht unterdrücken, daß unter den Goetheforschern von Beruf noch niemand dem durch Friedländers Beobachtung gegebenen Fingerzeig nachzugehen versucht hat. Ist Goethe hier nur von einem vereinzelten Bruchstück aus der Bilderwelt des Mittel- alters gestreift worden? oder liegt vielleicht hinter dem Einen ein Mehr? Von dieser Frage zur Antwort ist der Weg überraschend kurz. Eben an demselben Orte, dem berühmten Camposanto zu Pisa, befinden sich noch zwei andere Gemälde, die ähnlich wie das oben genannte, nur viel umfassender, an Goethes Gedicht, daß ich so sage, mitgearbeitet haben. Es sind »Der Triumph des Todes« und »Die Hölle«. Sei es gestattet, alle Vor- und Nebenfragen einstweilen ruhen zu lassen, um das behauptete Verhältnis sogleich ad oculos zu demonstrieren. Den zum Vergleiche beigegebenen Abbildungen habe ich nicht die Originale, sondern die Kupfertafeln der großen, 1822 vollendeten Publikation Lasinios über das Camposanto zu- grunde gelegt. Als charakteristische Wiedergabe der Originale können sie keineswegs gelten, vielmehr ist die herbe Größe des Trecentostils vom Stecher in ganz unleidlicher Weise in die zopfige Manier seiner Zeit travestiert. Ich habe ihnen dennoch den Vorzug gegeben, weil eben sie Goethen als maßgebende Vorlage dienten. Wichtig schien ferner, nicht etwa bloß die von Goethe unmittelbar verwerteten Teile aus den szenen- und figurenreichen Kompositionen herauszuheben, sondern die ganze Masse des vom Maler dargebotenen Stoffes vorzulegen, damit man beobachten könne, welche Motive daraus der Dichter aufnahm und welche er liegen ließ, welche er einfach wie sie waren reproduzierte und welche ihm Keime zu neuen Gestaltungen wurden. Im Fortgang der Be- trachtung wird sich zeigen, daß unter den drei in Frage kommenden Bildern für Goethe das Hauptbild und der Ausgangspunkt für seine dichtende Phantasie der »Triumph des Todes« war. (Taf. 23.)

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/280>, abgerufen am 22.11.2024.