Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance der zuletzt über diesen Gegenstand gehandelt hat1), glaubt alsDürers Quelle den entsprechenden Teil von Luca Paciolis, des be- rühmten Mathematikers, "divina proportione" erkannt zu haben, wie seinerseits Pacioli -- nach Schöne -- einen Traktat des als In- schriftensammler bekannten Felix Felicianus benutzt hätte. Diese Behauptungen, mit so gutem Schein sie ausgesprochen sind, gehen dennoch auf falscher Fährte. Der Eintritt des Schedelschen Anonymus in die Reihe der zu diskutierenden Schriften2) führt zu einem wesentlich anderen Resultat, zu diesem nämlich: weder hat Dürer aus Pacioli geschöpft, noch Pacioli aus Felicianus; sondern die beiden ersteren gewiß, vielleicht auch der dritte, haben ihren gemeinschaftlichen Meister in dem Unbekannten ge- funden, dessen Werk durch Schedel -- wir wissen nicht, ob völlig getreu, jedenfalls aber getreuer als sonstwo -- auf uns ge- kommen ist. Einleitungsweise bezeichnet der Anonymus das seinen Kon- 1) In der Ephemeris epigraphica I, 1872. 2) Der Text des Felicianus ist in Parallele mit dem betreffenden Stück
von Pacioli's Buch von Schöne a. a. O. abgedruckt. Zu einem deutlichen Resultate gelangte ich jedoch erst, als ich Gelegenheit fand, auf der Pariser Nationalbibliothek von einem vollständigen Exemplar der außerhalb Italiens äußerst seltenen "divina proportione" Einsicht zu nehmen. Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance der zuletzt über diesen Gegenstand gehandelt hat1), glaubt alsDürers Quelle den entsprechenden Teil von Luca Paciolis, des be- rühmten Mathematikers, »divina proportione« erkannt zu haben, wie seinerseits Pacioli — nach Schöne — einen Traktat des als In- schriftensammler bekannten Felix Felicianus benutzt hätte. Diese Behauptungen, mit so gutem Schein sie ausgesprochen sind, gehen dennoch auf falscher Fährte. Der Eintritt des Schedelschen Anonymus in die Reihe der zu diskutierenden Schriften2) führt zu einem wesentlich anderen Resultat, zu diesem nämlich: weder hat Dürer aus Pacioli geschöpft, noch Pacioli aus Felicianus; sondern die beiden ersteren gewiß, vielleicht auch der dritte, haben ihren gemeinschaftlichen Meister in dem Unbekannten ge- funden, dessen Werk durch Schedel — wir wissen nicht, ob völlig getreu, jedenfalls aber getreuer als sonstwo — auf uns ge- kommen ist. Einleitungsweise bezeichnet der Anonymus das seinen Kon- 1) In der Ephemeris epigraphica I, 1872. 2) Der Text des Felicianus ist in Parallele mit dem betreffenden Stück
von Pacioli's Buch von Schöne a. a. O. abgedruckt. Zu einem deutlichen Resultate gelangte ich jedoch erst, als ich Gelegenheit fand, auf der Pariser Nationalbibliothek von einem vollständigen Exemplar der außerhalb Italiens äußerst seltenen »divina proportione« Einsicht zu nehmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0255" n="203"/><fw place="top" type="header">Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance</fw><lb/> der zuletzt über diesen Gegenstand gehandelt hat<note place="foot" n="1)">In der Ephemeris epigraphica I, 1872.</note>, glaubt als<lb/> Dürers Quelle den entsprechenden Teil von Luca Paciolis, des be-<lb/> rühmten Mathematikers, »divina proportione« erkannt zu haben,<lb/> wie seinerseits Pacioli — nach Schöne — einen Traktat des als In-<lb/> schriftensammler bekannten Felix Felicianus benutzt hätte.<lb/> Diese Behauptungen, mit so gutem Schein sie ausgesprochen sind,<lb/> gehen dennoch auf falscher Fährte. Der Eintritt des Schedelschen<lb/> Anonymus in die Reihe der zu diskutierenden Schriften<note place="foot" n="2)">Der Text des Felicianus ist in Parallele mit dem betreffenden Stück<lb/> von Pacioli's Buch von Schöne a. a. O. abgedruckt. Zu einem deutlichen<lb/> Resultate gelangte ich jedoch erst, als ich Gelegenheit fand, auf der Pariser<lb/> Nationalbibliothek von einem vollständigen Exemplar der außerhalb Italiens<lb/> äußerst seltenen »divina proportione« Einsicht zu nehmen.</note> führt<lb/> zu einem wesentlich anderen Resultat, zu diesem nämlich: weder<lb/> hat Dürer aus Pacioli geschöpft, noch Pacioli aus Felicianus;<lb/> sondern die beiden ersteren gewiß, vielleicht auch der dritte,<lb/> haben ihren gemeinschaftlichen Meister in dem Unbekannten ge-<lb/> funden, dessen Werk durch Schedel — wir wissen nicht, ob<lb/> völlig getreu, jedenfalls aber getreuer als sonstwo — auf uns ge-<lb/> kommen ist.</p><lb/> <p>Einleitungsweise bezeichnet der Anonymus das seinen Kon-<lb/> struktionen zugrunde liegende Prinzip folgendermaßen: »Litteras<lb/> antiquae formae deducturus, quas pleriquae majusculas appellant,<lb/> in primis altitudinem litterae formamque ipsius mente concipiat:<lb/> quod pro arbitrio fieri potest. Ex qua altitudine figurae quadrangu-<lb/> larem speciem designare debet. Hujus deinde quadri duodecima<lb/> pars vel decima aut etiam nona pro litterarum formatione venit<lb/> accipienda: secundum quod graciliorem vel crassiorem litterae<lb/> stipitem formare voluerit. Id quod in deducentis erit voluntate.<lb/> In characteribus autem infra pro exemplo designatis decimam<lb/> quadri partem accepimus.« Von Dürer wird dies so wiedergegeben:<lb/> »Zu dem ersten und Lateinischen bustaben mach zu einem<lb/> yetlichen ein rechte fierung, darein er verfasst werd, aber so du<lb/> den bustaben darein zeuchst so mach sein grösseren zug breyt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [203/0255]
Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
der zuletzt über diesen Gegenstand gehandelt hat 1), glaubt als
Dürers Quelle den entsprechenden Teil von Luca Paciolis, des be-
rühmten Mathematikers, »divina proportione« erkannt zu haben,
wie seinerseits Pacioli — nach Schöne — einen Traktat des als In-
schriftensammler bekannten Felix Felicianus benutzt hätte.
Diese Behauptungen, mit so gutem Schein sie ausgesprochen sind,
gehen dennoch auf falscher Fährte. Der Eintritt des Schedelschen
Anonymus in die Reihe der zu diskutierenden Schriften 2) führt
zu einem wesentlich anderen Resultat, zu diesem nämlich: weder
hat Dürer aus Pacioli geschöpft, noch Pacioli aus Felicianus;
sondern die beiden ersteren gewiß, vielleicht auch der dritte,
haben ihren gemeinschaftlichen Meister in dem Unbekannten ge-
funden, dessen Werk durch Schedel — wir wissen nicht, ob
völlig getreu, jedenfalls aber getreuer als sonstwo — auf uns ge-
kommen ist.
Einleitungsweise bezeichnet der Anonymus das seinen Kon-
struktionen zugrunde liegende Prinzip folgendermaßen: »Litteras
antiquae formae deducturus, quas pleriquae majusculas appellant,
in primis altitudinem litterae formamque ipsius mente concipiat:
quod pro arbitrio fieri potest. Ex qua altitudine figurae quadrangu-
larem speciem designare debet. Hujus deinde quadri duodecima
pars vel decima aut etiam nona pro litterarum formatione venit
accipienda: secundum quod graciliorem vel crassiorem litterae
stipitem formare voluerit. Id quod in deducentis erit voluntate.
In characteribus autem infra pro exemplo designatis decimam
quadri partem accepimus.« Von Dürer wird dies so wiedergegeben:
»Zu dem ersten und Lateinischen bustaben mach zu einem
yetlichen ein rechte fierung, darein er verfasst werd, aber so du
den bustaben darein zeuchst so mach sein grösseren zug breyt
1) In der Ephemeris epigraphica I, 1872.
2) Der Text des Felicianus ist in Parallele mit dem betreffenden Stück
von Pacioli's Buch von Schöne a. a. O. abgedruckt. Zu einem deutlichen
Resultate gelangte ich jedoch erst, als ich Gelegenheit fand, auf der Pariser
Nationalbibliothek von einem vollständigen Exemplar der außerhalb Italiens
äußerst seltenen »divina proportione« Einsicht zu nehmen.
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