über dem Grabe des hl. Martin, des größten Heiligen der Franken. Sie wurde die klassische Chorform des romanischen Stils im westlichen, südwestlichen und zentralen Gallien; einzelne große Kloster- und Pilgerkirchen des Nordens eigneten sie sich früh- zeitig an, Burgund vom Ende des 11. Jahrhunderts ab; die Nor- mandie kannte sie nicht, auch sonst kein außerfranzösisches Land mit Ausnahme von Spanien; im gotischen Stil später erlangte sie die größte Bedeutung.
Zweitens: Die Grundform des lateinischen Kreuzes, d. h. An- lage eines Querschiffs, an das sich östlich ein rechteckiger Chor, räumlich als Fortsetzung des Mittelschiffs gedacht, anschließt; damit verbindet sich als Wesentliches die Festsetzung einer kon- stanten Maßrelation zwischen den einzelnen Bauteilen in der Weise, daß die Breite des Mittelschiffs der Breite des Querschiffs gleich- gesetzt und das dadurch im Kreuzesmittel entstehende Quadrat in der Ausmessung des Chors und der Kreuzflügel wiederholt, häufig auch in der Abmessung des Langhauses zugrunde gelegt wird, das dann als Summe mehrerer Quadrate erscheint. Die Bedeutung dieser Neuerung gegenüber der unentwickelten und schlaffen, nur selten überhaupt mit einem Querschiff begabten Konfiguration der altchristlichen Basilika leuchtet ohne weiteres ein. Sie ist typisch für das Ostfrankenreich. Im berühmten Bauriß für Sankt Gallen vom Jahre 820 zum erstenmal sicher bezeugt, doch gewiß um einiges früher schon entstanden. Für den deutsch- romanischen Stil blieb sie während seiner ganzen Dauer ebenso bezeichnend, wie die vorher betrachtete Form für den französisch- romanischen.
Drittens: Der Grundriß des Ordens von Cluny: er erweitert den zuletzt beschriebenen; der Hauptchor erhält Nebenchöre, jeder mit einer apsidialen Nische geschlossen; ebensolche an der Ostwand der Kreuzflügel, so daß ihre Zahl auf fünf steigt. Unter dem Einfluß von Cluny dringt dieser Chortypus über Burgund hinaus in andere Länder vor; in geschlossenen Gruppen erscheint er in Deutschland ("Hirsauer Schule") und der Normandie.
Viertens: Die Krypta; aus unentwickelten Vorformen des altchristlichen Brauchs entsteht im 9. und 10. Jahrhundert die
Die Kunst des Mittelalters
über dem Grabe des hl. Martin, des größten Heiligen der Franken. Sie wurde die klassische Chorform des romanischen Stils im westlichen, südwestlichen und zentralen Gallien; einzelne große Kloster- und Pilgerkirchen des Nordens eigneten sie sich früh- zeitig an, Burgund vom Ende des 11. Jahrhunderts ab; die Nor- mandie kannte sie nicht, auch sonst kein außerfranzösisches Land mit Ausnahme von Spanien; im gotischen Stil später erlangte sie die größte Bedeutung.
Zweitens: Die Grundform des lateinischen Kreuzes, d. h. An- lage eines Querschiffs, an das sich östlich ein rechteckiger Chor, räumlich als Fortsetzung des Mittelschiffs gedacht, anschließt; damit verbindet sich als Wesentliches die Festsetzung einer kon- stanten Maßrelation zwischen den einzelnen Bauteilen in der Weise, daß die Breite des Mittelschiffs der Breite des Querschiffs gleich- gesetzt und das dadurch im Kreuzesmittel entstehende Quadrat in der Ausmessung des Chors und der Kreuzflügel wiederholt, häufig auch in der Abmessung des Langhauses zugrunde gelegt wird, das dann als Summe mehrerer Quadrate erscheint. Die Bedeutung dieser Neuerung gegenüber der unentwickelten und schlaffen, nur selten überhaupt mit einem Querschiff begabten Konfiguration der altchristlichen Basilika leuchtet ohne weiteres ein. Sie ist typisch für das Ostfrankenreich. Im berühmten Bauriß für Sankt Gallen vom Jahre 820 zum erstenmal sicher bezeugt, doch gewiß um einiges früher schon entstanden. Für den deutsch- romanischen Stil blieb sie während seiner ganzen Dauer ebenso bezeichnend, wie die vorher betrachtete Form für den französisch- romanischen.
Drittens: Der Grundriß des Ordens von Cluny: er erweitert den zuletzt beschriebenen; der Hauptchor erhält Nebenchöre, jeder mit einer apsidialen Nische geschlossen; ebensolche an der Ostwand der Kreuzflügel, so daß ihre Zahl auf fünf steigt. Unter dem Einfluß von Cluny dringt dieser Chortypus über Burgund hinaus in andere Länder vor; in geschlossenen Gruppen erscheint er in Deutschland (»Hirsauer Schule«) und der Normandie.
Viertens: Die Krypta; aus unentwickelten Vorformen des altchristlichen Brauchs entsteht im 9. und 10. Jahrhundert die
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Die Kunst des Mittelalters
über dem Grabe des hl. Martin, des größten Heiligen der Franken.
Sie wurde die klassische Chorform des romanischen Stils im
westlichen, südwestlichen und zentralen Gallien; einzelne große
Kloster- und Pilgerkirchen des Nordens eigneten sie sich früh-
zeitig an, Burgund vom Ende des 11. Jahrhunderts ab; die Nor-
mandie kannte sie nicht, auch sonst kein außerfranzösisches Land
mit Ausnahme von Spanien; im gotischen Stil später erlangte
sie die größte Bedeutung.
Zweitens: Die Grundform des lateinischen Kreuzes, d. h. An-
lage eines Querschiffs, an das sich östlich ein rechteckiger Chor,
räumlich als Fortsetzung des Mittelschiffs gedacht, anschließt;
damit verbindet sich als Wesentliches die Festsetzung einer kon-
stanten Maßrelation zwischen den einzelnen Bauteilen in der Weise,
daß die Breite des Mittelschiffs der Breite des Querschiffs gleich-
gesetzt und das dadurch im Kreuzesmittel entstehende Quadrat
in der Ausmessung des Chors und der Kreuzflügel wiederholt,
häufig auch in der Abmessung des Langhauses zugrunde gelegt
wird, das dann als Summe mehrerer Quadrate erscheint. Die
Bedeutung dieser Neuerung gegenüber der unentwickelten und
schlaffen, nur selten überhaupt mit einem Querschiff begabten
Konfiguration der altchristlichen Basilika leuchtet ohne weiteres
ein. Sie ist typisch für das Ostfrankenreich. Im berühmten Bauriß
für Sankt Gallen vom Jahre 820 zum erstenmal sicher bezeugt,
doch gewiß um einiges früher schon entstanden. Für den deutsch-
romanischen Stil blieb sie während seiner ganzen Dauer ebenso
bezeichnend, wie die vorher betrachtete Form für den französisch-
romanischen.
Drittens: Der Grundriß des Ordens von Cluny: er erweitert
den zuletzt beschriebenen; der Hauptchor erhält Nebenchöre,
jeder mit einer apsidialen Nische geschlossen; ebensolche an der
Ostwand der Kreuzflügel, so daß ihre Zahl auf fünf steigt. Unter
dem Einfluß von Cluny dringt dieser Chortypus über Burgund
hinaus in andere Länder vor; in geschlossenen Gruppen erscheint
er in Deutschland (»Hirsauer Schule«) und der Normandie.
Viertens: Die Krypta; aus unentwickelten Vorformen des
altchristlichen Brauchs entsteht im 9. und 10. Jahrhundert die
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/23>, abgerufen am 16.02.2025.
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