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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
lung Albertis, sondern auch direkt auf den gelehrten Papst gewirkt
habe, wenigstens von vornherein, nicht ausgeschlossen. Viel
Wahrscheinlichkeit hat sie aber nicht. Soweit ich mich habe unter-
richten können, ist der von Poggio wiederaufgefundene Bau-
lehrer der augusteischen Zeit bis in die achtziger Jahre des 15. Jahr-
hunderts, wo die Bemühungen eines Francesco di Giorgio, Fra
Francesco Colonna, Sulpicius (der den ersten Druck veranstaltete)
seinem künftigen außerordentlichen Ansehen den Weg bahnten,
fast für jedermann, allein Alberti ausgenommen, ein mit sieben
Siegeln verschlossenes Buch geblieben. Der Text war in üblem
Zustand, die Schreibart dunkel und schwerfällig, mehrere wichtige
Materien unerörtert. Den Architekten fehlte es an den zu seinem
Verständnis unentbehrlichen philologischen, den Philologen an
den technischen Kenntnissen. Alberti, der beide Bedingungen
vereinigte, wie damals kein Zweiter, ist deshalb auch der einzige
in der Frühzeit der Renaissance, bei welchem aus dem Vitruv-
studium etwas herauskommt. Aber er ist weit entfernt von der
überschwenglichen Hochschätzung des alten Lehrers, in der sich
das folgende Jahrhundert gefiel; er beklagt es, daß von so vielen
ausgezeichneten Bauschriftstellern des Altertums nur der eine
mit so viel Mängeln behaftete gerettet sei; ja, er läßt sich zu der
Exklamation fortreißen: ebensogut für uns wäre es, er hätte gar
nicht geschrieben, als daß er so geschrieben hat, daß wir ihn nicht
verstehen! (VI, c. 1). Doch ist das eine Ungerechtigkeit, sowohl
gegen Vitruv als gegen sich selbst, da er doch vieles von ihm ge-
lernt hat; ebensoviel allerdings von den Monumenten unmittelbar,
"ex optimis professoribus". -- Man wird zugeben: wenn schon
Alberti so spricht, so bleibt wenig oder gar kein Boden für die
Vermutung übrig, daß Nikolaus selbständig zu einem fruchtbrin-
genden Verständnis des schwierigen Autors durchgedrungen sein
könnte. Desto lieber wird man glauben, daß ihm Alberti als Inter-
pret Vitruvs aufs höchste willkommen war, und daß er dessen
Entwürfe gerade deshalb so hoch schätzte, weil in sie von den
Lehren des letzteren alles irgend verwendbare hineinverarbeitet
war. Übrigens handelt es sich hier ja um eine bloß hypothetische
Frage, und das für sie Maßgebende liegt darin: daß in Manettis

Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
lung Albertis, sondern auch direkt auf den gelehrten Papst gewirkt
habe, wenigstens von vornherein, nicht ausgeschlossen. Viel
Wahrscheinlichkeit hat sie aber nicht. Soweit ich mich habe unter-
richten können, ist der von Poggio wiederaufgefundene Bau-
lehrer der augusteischen Zeit bis in die achtziger Jahre des 15. Jahr-
hunderts, wo die Bemühungen eines Francesco di Giorgio, Fra
Francesco Colonna, Sulpicius (der den ersten Druck veranstaltete)
seinem künftigen außerordentlichen Ansehen den Weg bahnten,
fast für jedermann, allein Alberti ausgenommen, ein mit sieben
Siegeln verschlossenes Buch geblieben. Der Text war in üblem
Zustand, die Schreibart dunkel und schwerfällig, mehrere wichtige
Materien unerörtert. Den Architekten fehlte es an den zu seinem
Verständnis unentbehrlichen philologischen, den Philologen an
den technischen Kenntnissen. Alberti, der beide Bedingungen
vereinigte, wie damals kein Zweiter, ist deshalb auch der einzige
in der Frühzeit der Renaissance, bei welchem aus dem Vitruv-
studium etwas herauskommt. Aber er ist weit entfernt von der
überschwenglichen Hochschätzung des alten Lehrers, in der sich
das folgende Jahrhundert gefiel; er beklagt es, daß von so vielen
ausgezeichneten Bauschriftstellern des Altertums nur der eine
mit so viel Mängeln behaftete gerettet sei; ja, er läßt sich zu der
Exklamation fortreißen: ebensogut für uns wäre es, er hätte gar
nicht geschrieben, als daß er so geschrieben hat, daß wir ihn nicht
verstehen! (VI, c. 1). Doch ist das eine Ungerechtigkeit, sowohl
gegen Vitruv als gegen sich selbst, da er doch vieles von ihm ge-
lernt hat; ebensoviel allerdings von den Monumenten unmittelbar,
»ex optimis professoribus«. — Man wird zugeben: wenn schon
Alberti so spricht, so bleibt wenig oder gar kein Boden für die
Vermutung übrig, daß Nikolaus selbständig zu einem fruchtbrin-
genden Verständnis des schwierigen Autors durchgedrungen sein
könnte. Desto lieber wird man glauben, daß ihm Alberti als Inter-
pret Vitruvs aufs höchste willkommen war, und daß er dessen
Entwürfe gerade deshalb so hoch schätzte, weil in sie von den
Lehren des letzteren alles irgend verwendbare hineinverarbeitet
war. Übrigens handelt es sich hier ja um eine bloß hypothetische
Frage, und das für sie Maßgebende liegt darin: daß in Manettis

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[183/0225] Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti lung Albertis, sondern auch direkt auf den gelehrten Papst gewirkt habe, wenigstens von vornherein, nicht ausgeschlossen. Viel Wahrscheinlichkeit hat sie aber nicht. Soweit ich mich habe unter- richten können, ist der von Poggio wiederaufgefundene Bau- lehrer der augusteischen Zeit bis in die achtziger Jahre des 15. Jahr- hunderts, wo die Bemühungen eines Francesco di Giorgio, Fra Francesco Colonna, Sulpicius (der den ersten Druck veranstaltete) seinem künftigen außerordentlichen Ansehen den Weg bahnten, fast für jedermann, allein Alberti ausgenommen, ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch geblieben. Der Text war in üblem Zustand, die Schreibart dunkel und schwerfällig, mehrere wichtige Materien unerörtert. Den Architekten fehlte es an den zu seinem Verständnis unentbehrlichen philologischen, den Philologen an den technischen Kenntnissen. Alberti, der beide Bedingungen vereinigte, wie damals kein Zweiter, ist deshalb auch der einzige in der Frühzeit der Renaissance, bei welchem aus dem Vitruv- studium etwas herauskommt. Aber er ist weit entfernt von der überschwenglichen Hochschätzung des alten Lehrers, in der sich das folgende Jahrhundert gefiel; er beklagt es, daß von so vielen ausgezeichneten Bauschriftstellern des Altertums nur der eine mit so viel Mängeln behaftete gerettet sei; ja, er läßt sich zu der Exklamation fortreißen: ebensogut für uns wäre es, er hätte gar nicht geschrieben, als daß er so geschrieben hat, daß wir ihn nicht verstehen! (VI, c. 1). Doch ist das eine Ungerechtigkeit, sowohl gegen Vitruv als gegen sich selbst, da er doch vieles von ihm ge- lernt hat; ebensoviel allerdings von den Monumenten unmittelbar, »ex optimis professoribus«. — Man wird zugeben: wenn schon Alberti so spricht, so bleibt wenig oder gar kein Boden für die Vermutung übrig, daß Nikolaus selbständig zu einem fruchtbrin- genden Verständnis des schwierigen Autors durchgedrungen sein könnte. Desto lieber wird man glauben, daß ihm Alberti als Inter- pret Vitruvs aufs höchste willkommen war, und daß er dessen Entwürfe gerade deshalb so hoch schätzte, weil in sie von den Lehren des letzteren alles irgend verwendbare hineinverarbeitet war. Übrigens handelt es sich hier ja um eine bloß hypothetische Frage, und das für sie Maßgebende liegt darin: daß in Manettis

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/225>, abgerufen am 04.05.2024.