Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
durch den großen Krieg die Kunst des 18. Jahrhunderts tatsäch-
lich gebracht hat. Wie vieles wir an dieser Kunst des 18. Jahr-
hunderts bewundern und wie falsch es ist, sie einfach als Ver-
welschung zu charakterisieren -- eine Erfüllung der in dem Namen
Dürer enthaltenen Verheißungen war sie in keinem Sinn.

Unser Schlußurteil über das Eindringen der Renaissance und
seine Folgen wird also ganz ähnlich zu lauten haben wie unter
anderen Gesichtspunkten das über die Reformation: beide waren
historische Notwendigkeiten, aber beide haben dem künstlerischen
Teil des deutschen Lebens schwere Verluste gebracht; wohl dazu
auch einiges Wertvolle, aber nichts, was den Verlusten das Gleich-
gewicht gehalten hätte. Mit der Reformation allein oder mit der
Renaissance allein hätte die deutsche Kunst vielleicht noch sich
auseinandersetzen können; beides gleichzeitig war zu viel. Ich
spreche dies offen aus, meine aber damit keine Anklage weder
gegen die Reformation noch gegen die Renaissance zu erheben.
Beide hatten ihre besonderen Aufgaben zu erfüllen; der deutschen
Kunst zu helfen waren sie nicht verpflichtet. Von dem Worte
tragisch wird zu oft und leichthin Gebrauch gemacht: hierin aber
liegt wirkliche historische Tragik, daß im 16. Jahrhundert die
höchsten Angelegenheiten im Geistes- und Gemütsleben unserer
Nation miteinander in einen Konflikt gerieten, für den die Lösung
nicht gefunden wurde. Wohl auch nicht gefunden werden konnte.




Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
durch den großen Krieg die Kunst des 18. Jahrhunderts tatsäch-
lich gebracht hat. Wie vieles wir an dieser Kunst des 18. Jahr-
hunderts bewundern und wie falsch es ist, sie einfach als Ver-
welschung zu charakterisieren — eine Erfüllung der in dem Namen
Dürer enthaltenen Verheißungen war sie in keinem Sinn.

Unser Schlußurteil über das Eindringen der Renaissance und
seine Folgen wird also ganz ähnlich zu lauten haben wie unter
anderen Gesichtspunkten das über die Reformation: beide waren
historische Notwendigkeiten, aber beide haben dem künstlerischen
Teil des deutschen Lebens schwere Verluste gebracht; wohl dazu
auch einiges Wertvolle, aber nichts, was den Verlusten das Gleich-
gewicht gehalten hätte. Mit der Reformation allein oder mit der
Renaissance allein hätte die deutsche Kunst vielleicht noch sich
auseinandersetzen können; beides gleichzeitig war zu viel. Ich
spreche dies offen aus, meine aber damit keine Anklage weder
gegen die Reformation noch gegen die Renaissance zu erheben.
Beide hatten ihre besonderen Aufgaben zu erfüllen; der deutschen
Kunst zu helfen waren sie nicht verpflichtet. Von dem Worte
tragisch wird zu oft und leichthin Gebrauch gemacht: hierin aber
liegt wirkliche historische Tragik, daß im 16. Jahrhundert die
höchsten Angelegenheiten im Geistes- und Gemütsleben unserer
Nation miteinander in einen Konflikt gerieten, für den die Lösung
nicht gefunden wurde. Wohl auch nicht gefunden werden konnte.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0204" n="162"/><lb/>
<fw place="top" type="header">Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert</fw><lb/>
durch den großen Krieg die Kunst des 18. Jahrhunderts tatsäch-<lb/>
lich gebracht hat. Wie vieles wir an dieser Kunst des 18. Jahr-<lb/>
hunderts bewundern und wie falsch es ist, sie einfach als Ver-<lb/>
welschung zu charakterisieren &#x2014; eine Erfüllung der in dem Namen<lb/><hi rendition="#g">Dürer</hi> enthaltenen Verheißungen war sie in keinem Sinn.</p><lb/>
        <p>Unser Schlußurteil über das Eindringen der Renaissance und<lb/>
seine Folgen wird also ganz ähnlich zu lauten haben wie unter<lb/>
anderen Gesichtspunkten das über die Reformation: beide waren<lb/>
historische Notwendigkeiten, aber beide haben dem künstlerischen<lb/>
Teil des deutschen Lebens schwere Verluste gebracht; wohl dazu<lb/>
auch einiges Wertvolle, aber nichts, was den Verlusten das Gleich-<lb/>
gewicht gehalten hätte. Mit der Reformation allein oder mit der<lb/>
Renaissance allein hätte die deutsche Kunst vielleicht noch sich<lb/>
auseinandersetzen können; beides gleichzeitig war zu viel. Ich<lb/>
spreche dies offen aus, meine aber damit keine Anklage weder<lb/>
gegen die Reformation noch gegen die Renaissance zu erheben.<lb/>
Beide hatten ihre besonderen Aufgaben zu erfüllen; der deutschen<lb/>
Kunst zu helfen waren sie nicht verpflichtet. Von dem Worte<lb/>
tragisch wird zu oft und leichthin Gebrauch gemacht: hierin aber<lb/>
liegt wirkliche historische Tragik, daß im 16. Jahrhundert die<lb/>
höchsten Angelegenheiten im Geistes- und Gemütsleben unserer<lb/>
Nation miteinander in einen Konflikt gerieten, für den die Lösung<lb/>
nicht gefunden wurde. Wohl auch nicht gefunden werden konnte.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0204] Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert durch den großen Krieg die Kunst des 18. Jahrhunderts tatsäch- lich gebracht hat. Wie vieles wir an dieser Kunst des 18. Jahr- hunderts bewundern und wie falsch es ist, sie einfach als Ver- welschung zu charakterisieren — eine Erfüllung der in dem Namen Dürer enthaltenen Verheißungen war sie in keinem Sinn. Unser Schlußurteil über das Eindringen der Renaissance und seine Folgen wird also ganz ähnlich zu lauten haben wie unter anderen Gesichtspunkten das über die Reformation: beide waren historische Notwendigkeiten, aber beide haben dem künstlerischen Teil des deutschen Lebens schwere Verluste gebracht; wohl dazu auch einiges Wertvolle, aber nichts, was den Verlusten das Gleich- gewicht gehalten hätte. Mit der Reformation allein oder mit der Renaissance allein hätte die deutsche Kunst vielleicht noch sich auseinandersetzen können; beides gleichzeitig war zu viel. Ich spreche dies offen aus, meine aber damit keine Anklage weder gegen die Reformation noch gegen die Renaissance zu erheben. Beide hatten ihre besonderen Aufgaben zu erfüllen; der deutschen Kunst zu helfen waren sie nicht verpflichtet. Von dem Worte tragisch wird zu oft und leichthin Gebrauch gemacht: hierin aber liegt wirkliche historische Tragik, daß im 16. Jahrhundert die höchsten Angelegenheiten im Geistes- und Gemütsleben unserer Nation miteinander in einen Konflikt gerieten, für den die Lösung nicht gefunden wurde. Wohl auch nicht gefunden werden konnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-21T10:17:23Z)
University of Toronto, Robarts Library of Humanities & Social Sciences: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-21T10:17:23Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123 (2012-02-21T10:17:23Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/204
Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/204>, abgerufen am 18.12.2024.