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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
daß er noch schneller das letzte welke Herbstlaub der Gotik von
seinem frischen Saftes vollen Stamme abschüttelt.

Wie es aussieht, wenn Deutsche dieser Zeit ihr Verhältnis
zur Renaissance positiv nehmen, zeigt der Altersstil Peter Vischers
und der seiner Söhne: sie nehmen, soweit sie es vermögen, die
Richtung aufs Klassische. Vischer und Backofen sind nicht nur
die stärksten Potenzen der deutschen Bildhauerkunst ihrer Zeit,
sie sind auch deren äußerste Gegenpole. Nur einen Zeitgenossen
gibt es, dem Backofen innerlich ganz nahesteht1), der ist aber nicht
unter den Bildhauern zu suchen: es ist Matthias Grünewald.
Zu erörtern, ob es der deutschen Kunst nicht besser gewesen wäre,
sie hätte sich niemals mit der Renaissance eingelassen, ist müßig.
Denn es war nach der historischen Lage eine Notwendigkeit.
Wirklich wichtig ist aber, festzustellen, was die deutsche Kunst
vor der Dazwischenkunft der Renaissance war. Hier werden immer
Grünewald und Backofen die Hauptzeugen sein.

Die umfassende Tätigkeit, die wir für die letzten 15 Lebens-
jahre Backofens nachweisen konnten, hat eine mit tüchtigen Gesellen
reich besetzte Werkstatt zur Voraussetzung. Schon um dieses
äußeren Umstandes willen kann Backofens Einfluß auf die zeit-
genössische Kunst kein geringer gewesen sein. Aber mit der Aus-
breitung stellte sich naturgemäß auch Verflachung und Mischung
mit anderen Manieren ein. Ich nenne im folgenden einige Arbeiten,
bei denen der Zusammenhang mit dem Meister unzweideutig und
noch aus erster Hand ist.

In Mainz selbst, und zwar im Dom, das Votivrelief des Scho-
lastikus Dietrich von Zobel, errichtet 1526. Breite Renaissance-
konsole, kein Rahmenwerk. Thomas kniet vor dem Auferstandenen.

großer Willkür eingeschalteten Kapitelle. Ihnen liegt nicht ein Muster
aus der italienischen Renaissance, sondern eines aus der spätesten Antike,
noch wahrscheinlicher ein karolingisches, zugrunde. Einstreuung romaniscber
Formen kommt auch sonst im frühesten Stadium der deutschen Renaissance
öfters vor; sie galten als Äquivalente der Renaissance.
1) Und auch äußerlich: sie dienten demselben Herrn, Albrecht von
Brandenburg. Daß sie nicht unwahrscheinlich auch nahe Landsleute
waren, wurde oben besprochen, worauf ich aber kein Gewicht legen will.


Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
daß er noch schneller das letzte welke Herbstlaub der Gotik von
seinem frischen Saftes vollen Stamme abschüttelt.

Wie es aussieht, wenn Deutsche dieser Zeit ihr Verhältnis
zur Renaissance positiv nehmen, zeigt der Altersstil Peter Vischers
und der seiner Söhne: sie nehmen, soweit sie es vermögen, die
Richtung aufs Klassische. Vischer und Backofen sind nicht nur
die stärksten Potenzen der deutschen Bildhauerkunst ihrer Zeit,
sie sind auch deren äußerste Gegenpole. Nur einen Zeitgenossen
gibt es, dem Backofen innerlich ganz nahesteht1), der ist aber nicht
unter den Bildhauern zu suchen: es ist Matthias Grünewald.
Zu erörtern, ob es der deutschen Kunst nicht besser gewesen wäre,
sie hätte sich niemals mit der Renaissance eingelassen, ist müßig.
Denn es war nach der historischen Lage eine Notwendigkeit.
Wirklich wichtig ist aber, festzustellen, was die deutsche Kunst
vor der Dazwischenkunft der Renaissance war. Hier werden immer
Grünewald und Backofen die Hauptzeugen sein.

Die umfassende Tätigkeit, die wir für die letzten 15 Lebens-
jahre Backofens nachweisen konnten, hat eine mit tüchtigen Gesellen
reich besetzte Werkstatt zur Voraussetzung. Schon um dieses
äußeren Umstandes willen kann Backofens Einfluß auf die zeit-
genössische Kunst kein geringer gewesen sein. Aber mit der Aus-
breitung stellte sich naturgemäß auch Verflachung und Mischung
mit anderen Manieren ein. Ich nenne im folgenden einige Arbeiten,
bei denen der Zusammenhang mit dem Meister unzweideutig und
noch aus erster Hand ist.

In Mainz selbst, und zwar im Dom, das Votivrelief des Scho-
lastikus Dietrich von Zobel, errichtet 1526. Breite Renaissance-
konsole, kein Rahmenwerk. Thomas kniet vor dem Auferstandenen.

großer Willkür eingeschalteten Kapitelle. Ihnen liegt nicht ein Muster
aus der italienischen Renaissance, sondern eines aus der spätesten Antike,
noch wahrscheinlicher ein karolingisches, zugrunde. Einstreuung romaniscber
Formen kommt auch sonst im frühesten Stadium der deutschen Renaissance
öfters vor; sie galten als Äquivalente der Renaissance.
1) Und auch äußerlich: sie dienten demselben Herrn, Albrecht von
Brandenburg. Daß sie nicht unwahrscheinlich auch nahe Landsleute
waren, wurde oben besprochen, worauf ich aber kein Gewicht legen will.
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[142/0174] Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom daß er noch schneller das letzte welke Herbstlaub der Gotik von seinem frischen Saftes vollen Stamme abschüttelt. Wie es aussieht, wenn Deutsche dieser Zeit ihr Verhältnis zur Renaissance positiv nehmen, zeigt der Altersstil Peter Vischers und der seiner Söhne: sie nehmen, soweit sie es vermögen, die Richtung aufs Klassische. Vischer und Backofen sind nicht nur die stärksten Potenzen der deutschen Bildhauerkunst ihrer Zeit, sie sind auch deren äußerste Gegenpole. Nur einen Zeitgenossen gibt es, dem Backofen innerlich ganz nahesteht 1), der ist aber nicht unter den Bildhauern zu suchen: es ist Matthias Grünewald. Zu erörtern, ob es der deutschen Kunst nicht besser gewesen wäre, sie hätte sich niemals mit der Renaissance eingelassen, ist müßig. Denn es war nach der historischen Lage eine Notwendigkeit. Wirklich wichtig ist aber, festzustellen, was die deutsche Kunst vor der Dazwischenkunft der Renaissance war. Hier werden immer Grünewald und Backofen die Hauptzeugen sein. Die umfassende Tätigkeit, die wir für die letzten 15 Lebens- jahre Backofens nachweisen konnten, hat eine mit tüchtigen Gesellen reich besetzte Werkstatt zur Voraussetzung. Schon um dieses äußeren Umstandes willen kann Backofens Einfluß auf die zeit- genössische Kunst kein geringer gewesen sein. Aber mit der Aus- breitung stellte sich naturgemäß auch Verflachung und Mischung mit anderen Manieren ein. Ich nenne im folgenden einige Arbeiten, bei denen der Zusammenhang mit dem Meister unzweideutig und noch aus erster Hand ist. In Mainz selbst, und zwar im Dom, das Votivrelief des Scho- lastikus Dietrich von Zobel, errichtet 1526. Breite Renaissance- konsole, kein Rahmenwerk. Thomas kniet vor dem Auferstandenen. 1) 1) Und auch äußerlich: sie dienten demselben Herrn, Albrecht von Brandenburg. Daß sie nicht unwahrscheinlich auch nahe Landsleute waren, wurde oben besprochen, worauf ich aber kein Gewicht legen will. 1) großer Willkür eingeschalteten Kapitelle. Ihnen liegt nicht ein Muster aus der italienischen Renaissance, sondern eines aus der spätesten Antike, noch wahrscheinlicher ein karolingisches, zugrunde. Einstreuung romaniscber Formen kommt auch sonst im frühesten Stadium der deutschen Renaissance öfters vor; sie galten als Äquivalente der Renaissance.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/174>, abgerufen am 22.11.2024.