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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
präge gab, dem aber die innere Entschiedenheit, die zu selbständiger
Weiterentwicklung hätte führen können, fehlte.

Auf diesem Boden nun, der sich zur Aufnahme fremden
Kunstgewächses stets so bereit zeigte, hat auch der gotische Stil
ungewöhnlich früh Wurzel geschlagen. Man glaubte bis vor
kurzem, erst die Anjous hätten ihn eingeführt. Jetzt wissen wir,
daß es weit früher geschehen ist, früher als in irgendeinem anderen
Teile Italiens. Die Klosterkirchen Fossanova am Rande der
pontinischen Sümpfe und Casameri im Saccotal, nicht weit von
Ferentino und Frosinone, sind die ältesten gotischen Bauten
Italiens. Sie sind unmittelbar von französischen Zisterziensern
ausgeführt, wie ich bei früherer Gelegenheit nachgewiesen habe,
und in jener primitiven burgundischen Gotik, die auch in
Deutschland ihre Denkmäler hat. Wenn man die mächtige
Zisterzienserkirche zu Ebrach in Franken, begonnen 1200, ihrer
Zopfdekoration entkleiden könnte, würde sie den genannten süd-
italienischen Kirchen zum Verwechseln ähnlich sehen. Fossanova
ist erbaut in den Jahren 1187--1204. Über dem Portal steht
die Inschrift Fridericus I imperator semper augustus hoc opus
fieri fecit.
Unter dem Einfluß der Zisterzienser entstanden
frühgotische Bauten hier und dort bis nach Sizilien hinunter;
aber sie blieben Fremdlinge; sie nahmen von der heimischen
Bauweise wenig an und wirkten auch fast nicht auf sie zurück.

Es hat aber noch einen zweiten Kanal für das Eindringen
der primitiven Gotik gegeben. Die Denkmäler, die darauf hin-
weisen, liegen an der Ostküste, in Apulien, und sie haben ihren
Stil nicht direkt aus Frankreich, sondern durch Rückflutung aus
dem lateinischen Orient empfangen. In den Kreuzfahrerstädten
des heiligen Landes lebte ein Stil, der wesentlich durch Bauleute
aus den französischen Mittelmeergebieten bestimmt wurde; Kon-
zessionen an den Orient machte er fast keine; seine Bauten sind
gewissen provenzalisch-burgundischen Typen durchaus ähnlich, nur
daß sie hinter der Stilentwicklung des Mutterlandes, was be-
zeichnend ist, um einiges zurückbleiben. Der lebhafte Seeverkehr
zwischen den apulischen Häfen und Palästina macht den Hergang
wohl begreiflich. Der Orden der Chorherren vom hl. Grabe er-

Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
präge gab, dem aber die innere Entschiedenheit, die zu selbständiger
Weiterentwicklung hätte führen können, fehlte.

Auf diesem Boden nun, der sich zur Aufnahme fremden
Kunstgewächses stets so bereit zeigte, hat auch der gotische Stil
ungewöhnlich früh Wurzel geschlagen. Man glaubte bis vor
kurzem, erst die Anjous hätten ihn eingeführt. Jetzt wissen wir,
daß es weit früher geschehen ist, früher als in irgendeinem anderen
Teile Italiens. Die Klosterkirchen Fossanova am Rande der
pontinischen Sümpfe und Casameri im Saccotal, nicht weit von
Ferentino und Frosinone, sind die ältesten gotischen Bauten
Italiens. Sie sind unmittelbar von französischen Zisterziensern
ausgeführt, wie ich bei früherer Gelegenheit nachgewiesen habe,
und in jener primitiven burgundischen Gotik, die auch in
Deutschland ihre Denkmäler hat. Wenn man die mächtige
Zisterzienserkirche zu Ebrach in Franken, begonnen 1200, ihrer
Zopfdekoration entkleiden könnte, würde sie den genannten süd-
italienischen Kirchen zum Verwechseln ähnlich sehen. Fossanova
ist erbaut in den Jahren 1187—1204. Über dem Portal steht
die Inschrift Fridericus I imperator semper augustus hoc opus
fieri fecit.
Unter dem Einfluß der Zisterzienser entstanden
frühgotische Bauten hier und dort bis nach Sizilien hinunter;
aber sie blieben Fremdlinge; sie nahmen von der heimischen
Bauweise wenig an und wirkten auch fast nicht auf sie zurück.

Es hat aber noch einen zweiten Kanal für das Eindringen
der primitiven Gotik gegeben. Die Denkmäler, die darauf hin-
weisen, liegen an der Ostküste, in Apulien, und sie haben ihren
Stil nicht direkt aus Frankreich, sondern durch Rückflutung aus
dem lateinischen Orient empfangen. In den Kreuzfahrerstädten
des heiligen Landes lebte ein Stil, der wesentlich durch Bauleute
aus den französischen Mittelmeergebieten bestimmt wurde; Kon-
zessionen an den Orient machte er fast keine; seine Bauten sind
gewissen provenzalisch-burgundischen Typen durchaus ähnlich, nur
daß sie hinter der Stilentwicklung des Mutterlandes, was be-
zeichnend ist, um einiges zurückbleiben. Der lebhafte Seeverkehr
zwischen den apulischen Häfen und Palästina macht den Hergang
wohl begreiflich. Der Orden der Chorherren vom hl. Grabe er-

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[105/0123] Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. präge gab, dem aber die innere Entschiedenheit, die zu selbständiger Weiterentwicklung hätte führen können, fehlte. Auf diesem Boden nun, der sich zur Aufnahme fremden Kunstgewächses stets so bereit zeigte, hat auch der gotische Stil ungewöhnlich früh Wurzel geschlagen. Man glaubte bis vor kurzem, erst die Anjous hätten ihn eingeführt. Jetzt wissen wir, daß es weit früher geschehen ist, früher als in irgendeinem anderen Teile Italiens. Die Klosterkirchen Fossanova am Rande der pontinischen Sümpfe und Casameri im Saccotal, nicht weit von Ferentino und Frosinone, sind die ältesten gotischen Bauten Italiens. Sie sind unmittelbar von französischen Zisterziensern ausgeführt, wie ich bei früherer Gelegenheit nachgewiesen habe, und in jener primitiven burgundischen Gotik, die auch in Deutschland ihre Denkmäler hat. Wenn man die mächtige Zisterzienserkirche zu Ebrach in Franken, begonnen 1200, ihrer Zopfdekoration entkleiden könnte, würde sie den genannten süd- italienischen Kirchen zum Verwechseln ähnlich sehen. Fossanova ist erbaut in den Jahren 1187—1204. Über dem Portal steht die Inschrift Fridericus I imperator semper augustus hoc opus fieri fecit. Unter dem Einfluß der Zisterzienser entstanden frühgotische Bauten hier und dort bis nach Sizilien hinunter; aber sie blieben Fremdlinge; sie nahmen von der heimischen Bauweise wenig an und wirkten auch fast nicht auf sie zurück. Es hat aber noch einen zweiten Kanal für das Eindringen der primitiven Gotik gegeben. Die Denkmäler, die darauf hin- weisen, liegen an der Ostküste, in Apulien, und sie haben ihren Stil nicht direkt aus Frankreich, sondern durch Rückflutung aus dem lateinischen Orient empfangen. In den Kreuzfahrerstädten des heiligen Landes lebte ein Stil, der wesentlich durch Bauleute aus den französischen Mittelmeergebieten bestimmt wurde; Kon- zessionen an den Orient machte er fast keine; seine Bauten sind gewissen provenzalisch-burgundischen Typen durchaus ähnlich, nur daß sie hinter der Stilentwicklung des Mutterlandes, was be- zeichnend ist, um einiges zurückbleiben. Der lebhafte Seeverkehr zwischen den apulischen Häfen und Palästina macht den Hergang wohl begreiflich. Der Orden der Chorherren vom hl. Grabe er-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/123>, abgerufen am 02.05.2024.