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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
schwäbischen Schule, die im Neubau von Klöstern damals so über-
aus rührig sich betätigte. Weit merkwürdiger -- fast möchte
man es nicht glauben -- ist die Rückkehr zu den Formen des
Mittelalters. Die alte Klosterkirche Andlau wurde als ein
romanischer Bau erneuert, mit einiger Freiheit natürlich, zum Teil
aber mit wirklich archäologischer Treue. Dasselbe geschah, nur
mit Anwendung gotischer Formen, in Maursmünster, in St. Fides
in Schlettstadt, ja selbst bei der Anlage der neuen Kaufbuden
am Straßburger Münster. Hier hat die Anhänglichkeit an das
Alte und Heimische in einer innerhalb der Denkungsart des 18. Jahr-
hunderts ganz einzigartigen Weise getan, was wir sonst erst von
der gelehrten Romantik des 19. kennen.

Die kunstgeschichtliche Hauptleistung der Revolutionszeit
sind die Zerstörungen der historischen Denkmäler; darunter
235 Statuen vom Straßburger Münster; auch der Abbruch des
Münsterturms war schon beschlossene Sache. Eine positive Tat
ist das Denkmal für General Desaix an der Straße nach Kehl.
Merkwürdig bleibt doch, daß die Straßburger dies französische
Ruhmesmal ganz unbefangen zweien rechtsrheinischen Künstlern,
dem Badener Weinbrenner und dem Rottweiler Landolin Ohmacht,
in Auftrag gaben. Der letztere, vielgewandert, schon durch Ar-
beiten in München und Lübeck bekannt, nahm später seinen Wohn-
sitz ganz in Straßburg. Seine letzten Arbeiten sind die Grab-
denkmäler in der Thomaskirche für Jeremias Oberlin, den Alter-
tumsforscher, und Christoph Wilhelm Koch, den gefeierten
Rechtslehrer und mannhaften Politiker. Diese Gräber der
letzten berühmten Professoren der alten deutschen Universität,
errichtet in demselben Jahre, in dem die von Friedrich Rückert
besungene Straßburger Tanne im Hohwald fiel, sind die
letzten Werke deutscher Kunst im Elsaß: der Zusammenhang
war bis dahin nie ganz zerrissen gewesen. Von nun ab gab es
keine deutsche, aber auch keine elsässische Kunst mehr. Es
gab nur noch elsässische Einzelkünstler. Und diese wollten nichts
anderes sein als Tropfen in dem großen Sammelbecken der
Kunst von Paris.

Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
schwäbischen Schule, die im Neubau von Klöstern damals so über-
aus rührig sich betätigte. Weit merkwürdiger — fast möchte
man es nicht glauben — ist die Rückkehr zu den Formen des
Mittelalters. Die alte Klosterkirche Andlau wurde als ein
romanischer Bau erneuert, mit einiger Freiheit natürlich, zum Teil
aber mit wirklich archäologischer Treue. Dasselbe geschah, nur
mit Anwendung gotischer Formen, in Maursmünster, in St. Fides
in Schlettstadt, ja selbst bei der Anlage der neuen Kaufbuden
am Straßburger Münster. Hier hat die Anhänglichkeit an das
Alte und Heimische in einer innerhalb der Denkungsart des 18. Jahr-
hunderts ganz einzigartigen Weise getan, was wir sonst erst von
der gelehrten Romantik des 19. kennen.

Die kunstgeschichtliche Hauptleistung der Revolutionszeit
sind die Zerstörungen der historischen Denkmäler; darunter
235 Statuen vom Straßburger Münster; auch der Abbruch des
Münsterturms war schon beschlossene Sache. Eine positive Tat
ist das Denkmal für General Desaix an der Straße nach Kehl.
Merkwürdig bleibt doch, daß die Straßburger dies französische
Ruhmesmal ganz unbefangen zweien rechtsrheinischen Künstlern,
dem Badener Weinbrenner und dem Rottweiler Landolin Ohmacht,
in Auftrag gaben. Der letztere, vielgewandert, schon durch Ar-
beiten in München und Lübeck bekannt, nahm später seinen Wohn-
sitz ganz in Straßburg. Seine letzten Arbeiten sind die Grab-
denkmäler in der Thomaskirche für Jeremias Oberlin, den Alter-
tumsforscher, und Christoph Wilhelm Koch, den gefeierten
Rechtslehrer und mannhaften Politiker. Diese Gräber der
letzten berühmten Professoren der alten deutschen Universität,
errichtet in demselben Jahre, in dem die von Friedrich Rückert
besungene Straßburger Tanne im Hohwald fiel, sind die
letzten Werke deutscher Kunst im Elsaß: der Zusammenhang
war bis dahin nie ganz zerrissen gewesen. Von nun ab gab es
keine deutsche, aber auch keine elsässische Kunst mehr. Es
gab nur noch elsässische Einzelkünstler. Und diese wollten nichts
anderes sein als Tropfen in dem großen Sammelbecken der
Kunst von Paris.

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[89/0103] Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß schwäbischen Schule, die im Neubau von Klöstern damals so über- aus rührig sich betätigte. Weit merkwürdiger — fast möchte man es nicht glauben — ist die Rückkehr zu den Formen des Mittelalters. Die alte Klosterkirche Andlau wurde als ein romanischer Bau erneuert, mit einiger Freiheit natürlich, zum Teil aber mit wirklich archäologischer Treue. Dasselbe geschah, nur mit Anwendung gotischer Formen, in Maursmünster, in St. Fides in Schlettstadt, ja selbst bei der Anlage der neuen Kaufbuden am Straßburger Münster. Hier hat die Anhänglichkeit an das Alte und Heimische in einer innerhalb der Denkungsart des 18. Jahr- hunderts ganz einzigartigen Weise getan, was wir sonst erst von der gelehrten Romantik des 19. kennen. Die kunstgeschichtliche Hauptleistung der Revolutionszeit sind die Zerstörungen der historischen Denkmäler; darunter 235 Statuen vom Straßburger Münster; auch der Abbruch des Münsterturms war schon beschlossene Sache. Eine positive Tat ist das Denkmal für General Desaix an der Straße nach Kehl. Merkwürdig bleibt doch, daß die Straßburger dies französische Ruhmesmal ganz unbefangen zweien rechtsrheinischen Künstlern, dem Badener Weinbrenner und dem Rottweiler Landolin Ohmacht, in Auftrag gaben. Der letztere, vielgewandert, schon durch Ar- beiten in München und Lübeck bekannt, nahm später seinen Wohn- sitz ganz in Straßburg. Seine letzten Arbeiten sind die Grab- denkmäler in der Thomaskirche für Jeremias Oberlin, den Alter- tumsforscher, und Christoph Wilhelm Koch, den gefeierten Rechtslehrer und mannhaften Politiker. Diese Gräber der letzten berühmten Professoren der alten deutschen Universität, errichtet in demselben Jahre, in dem die von Friedrich Rückert besungene Straßburger Tanne im Hohwald fiel, sind die letzten Werke deutscher Kunst im Elsaß: der Zusammenhang war bis dahin nie ganz zerrissen gewesen. Von nun ab gab es keine deutsche, aber auch keine elsässische Kunst mehr. Es gab nur noch elsässische Einzelkünstler. Und diese wollten nichts anderes sein als Tropfen in dem großen Sammelbecken der Kunst von Paris.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/103>, abgerufen am 02.05.2024.