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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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tern in ihrer Art behandelten Liebschaften mit schönen Kna-
ben und Mädchen betrifft, so muß man auf den dabei
herrschenden Zug merken, daß die von dem Gotte gelieb-
ten Wesen immer unglücklich sind und untergehen, und
daß dann eine Blume, ein Baum, ein dem Gotte heiliges
Gewächs daraus entsteht, wie der Hyakinthos, der Lorbeer,
die Weihrauchstaude. Apollon ist der Geist, und wo die-
ser waltet, da stirbt die ihm nicht entsprechende natürliche
Lebendigkeit; aber es blüht aus diesem Tode ein neues,
höheres Leben empor. *) Das ist der Sinn dieser Mythen,
die also eine ursprünglich sehr ernste Bedeutung haben.

Nur in solcher Beziehung kann Apollon auch ein her-
vorbringender Gott, ein Apollon Genetor sein; so wie
ja auch der h. Geist des Christenthums ein "Lebendigma-
cher" und "Schöpfer" heißt. **) Nicht die erste, natür-
liche Schöpfung ist dieses Geistes Werk, sondern eine zweite,
höhere; aus ihm soll Mensch und Natur wiedergeboren
werden, ein ganz neues erhöhtes und verklärtes Dasein er-

Leib hin. Da gebar sie diesen Sohn, den der Gott liebte und mit
Weissagerkunst begabte. Derselbe gründete das Orakel der Brauchiden
in Didyma bei Miletos, das nächst dem delphischen großes Ansehen
genoß und besonders von Joniern und Äolern befragt ward. Den
Ruhm und Glanz des Tempels verkünden noch die Ruinen. So ist
ferner Jamos Sohn der Euadne und des Apollon; die Erstere ge-
bar im dunklen Hain einen Knaben, den sie aus Scham verlies, zwei
Schlangen aber mit Honig nährten. Zwischen blühenden Veilchen ge-
funden, erhielt er den Namen Jamos, das Veilchenkind. Der
delphische Gott erklärte, es werde ein herrlicher Seher und Haupt ei-
nes Sehergeschlechtes werden. Derselbe Gott führte ihn nach Olympia,
wo dann die Weissagerfamilie der Jamiden ihren Hauptsitz hatte. Das
ist Alles so göttlich-rein und erhaben, als reizend und schön.
*) "Denn wofern du das nicht hast,
Dieses Stirb und Werde,
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde."

Göthe.
**) Veni, creator spiritus!

tern in ihrer Art behandelten Liebſchaften mit ſchönen Kna-
ben und Mädchen betrifft, ſo muß man auf den dabei
herrſchenden Zug merken, daß die von dem Gotte gelieb-
ten Weſen immer unglücklich ſind und untergehen, und
daß dann eine Blume, ein Baum, ein dem Gotte heiliges
Gewächs daraus entſteht, wie der Hyakinthos, der Lorbeer,
die Weihrauchſtaude. Apollon iſt der Geiſt, und wo die-
ſer waltet, da ſtirbt die ihm nicht entſprechende natürliche
Lebendigkeit; aber es blüht aus dieſem Tode ein neues,
höheres Leben empor. *) Das iſt der Sinn dieſer Mythen,
die alſo eine urſprünglich ſehr ernſte Bedeutung haben.

Nur in ſolcher Beziehung kann Apollon auch ein her-
vorbringender Gott, ein Apollon Genetor ſein; ſo wie
ja auch der h. Geiſt des Chriſtenthums ein „Lebendigma-
cher“ und „Schöpfer“ heißt. **) Nicht die erſte, natür-
liche Schöpfung iſt dieſes Geiſtes Werk, ſondern eine zweite,
höhere; aus ihm ſoll Menſch und Natur wiedergeboren
werden, ein ganz neues erhöhtes und verklärtes Daſein er-

Leib hin. Da gebar ſie dieſen Sohn, den der Gott liebte und mit
Weiſſagerkunſt begabte. Derſelbe gründete das Orakel der Brauchiden
in Didyma bei Miletos, das nächſt dem delphiſchen großes Anſehen
genoß und beſonders von Joniern und Äolern befragt ward. Den
Ruhm und Glanz des Tempels verkünden noch die Ruinen. So iſt
ferner Jamos Sohn der Euadne und des Apollon; die Erſtere ge-
bar im dunklen Hain einen Knaben, den ſie aus Scham verlies, zwei
Schlangen aber mit Honig nährten. Zwiſchen blühenden Veilchen ge-
funden, erhielt er den Namen Jamos, das Veilchenkind. Der
delphiſche Gott erklärte, es werde ein herrlicher Seher und Haupt ei-
nes Sehergeſchlechtes werden. Derſelbe Gott führte ihn nach Olympia,
wo dann die Weiſſagerfamilie der Jamiden ihren Hauptſitz hatte. Das
iſt Alles ſo göttlich-rein und erhaben, als reizend und ſchön.
*) „Denn wofern du das nicht haſt,
Dieſes Stirb und Werde,
Biſt du nur ein trüber Gaſt
Auf der dunklen Erde.“

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**) Veni, creator spiritus!
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[46/0068] tern in ihrer Art behandelten Liebſchaften mit ſchönen Kna- ben und Mädchen betrifft, ſo muß man auf den dabei herrſchenden Zug merken, daß die von dem Gotte gelieb- ten Weſen immer unglücklich ſind und untergehen, und daß dann eine Blume, ein Baum, ein dem Gotte heiliges Gewächs daraus entſteht, wie der Hyakinthos, der Lorbeer, die Weihrauchſtaude. Apollon iſt der Geiſt, und wo die- ſer waltet, da ſtirbt die ihm nicht entſprechende natürliche Lebendigkeit; aber es blüht aus dieſem Tode ein neues, höheres Leben empor. *) Das iſt der Sinn dieſer Mythen, die alſo eine urſprünglich ſehr ernſte Bedeutung haben. Nur in ſolcher Beziehung kann Apollon auch ein her- vorbringender Gott, ein Apollon Genetor ſein; ſo wie ja auch der h. Geiſt des Chriſtenthums ein „Lebendigma- cher“ und „Schöpfer“ heißt. **) Nicht die erſte, natür- liche Schöpfung iſt dieſes Geiſtes Werk, ſondern eine zweite, höhere; aus ihm ſoll Menſch und Natur wiedergeboren werden, ein ganz neues erhöhtes und verklärtes Daſein er- *) *) „Denn wofern du das nicht haſt, Dieſes Stirb und Werde, Biſt du nur ein trüber Gaſt Auf der dunklen Erde.“ Göthe. **) Veni, creator spiritus! *) Leib hin. Da gebar ſie dieſen Sohn, den der Gott liebte und mit Weiſſagerkunſt begabte. Derſelbe gründete das Orakel der Brauchiden in Didyma bei Miletos, das nächſt dem delphiſchen großes Anſehen genoß und beſonders von Joniern und Äolern befragt ward. Den Ruhm und Glanz des Tempels verkünden noch die Ruinen. So iſt ferner Jamos Sohn der Euadne und des Apollon; die Erſtere ge- bar im dunklen Hain einen Knaben, den ſie aus Scham verlies, zwei Schlangen aber mit Honig nährten. Zwiſchen blühenden Veilchen ge- funden, erhielt er den Namen Jamos, das Veilchenkind. Der delphiſche Gott erklärte, es werde ein herrlicher Seher und Haupt ei- nes Sehergeſchlechtes werden. Derſelbe Gott führte ihn nach Olympia, wo dann die Weiſſagerfamilie der Jamiden ihren Hauptſitz hatte. Das iſt Alles ſo göttlich-rein und erhaben, als reizend und ſchön.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/68>, abgerufen am 03.05.2024.