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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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welche er vor den anderen Priestern voraus hatte, mit ei-
nem öffentlichen Hause geehrt, das sich auf der heiligen
Straße befand, wo auch Numa Pompilius seine könig-
liche Burg gehabt. Er war der oberste Richter in den die
Heiligthümer und Religionsgebräuche betreffenden Angelegen-
heiten, und konnte nicht nur Privatpersonen, sondern auch
Behörden strafen, wenn sie seinen Anordnungen ungehorsam
waren. Ein Beispiel seiner Macht ist schon oben vorge-
kommen. Man sieht, wie es auch hier schon auf eine
überragend große, geistliche Autorität angelegt war. Am
merkwürdigsten aber ist der Name; denn pontifex heißt
Brückenbauer, was nichts Anderes, als einen priester-
lichen Vermittler zwischen Mensch und Gott, Erde und
Himmel, Diesseits und Jenseits, bedeuten kann. *)

Betrachten wir die Anfänge Roms, so erstaunen wir
billig über die hier sogleich hervortretenden, sich wechselsweise
zur Geltung bringenden Gegensätze, Extreme und Wider-
sprüche. Zunächst sehen die Dinge gar nicht erbaulich aus
und flößen uns mehr Abscheu und Geringschätzung, als
Achtung und Bewunderung ein. Die Stifter Roms wer-
den von einer heidnischen Nonne geboren, ausgesetzt, von
einer Wölfin gesäugt und von Hirten erzogen; ein Bruder
erschlägt im Streit den anderen; Rom ist ein Asyl für
Flüchtlinge, Verbrecher, Unzufriedene; man nimmt Alles
auf, was kommt; die Nachbarstaaten wollen mit einem
solchem Gesindel keine Gemeinschaft haben; um Frauen zu
bekommen, muß man sie rauben; Romulus wird bei
guter Gelegenheit von den "Vätern" hinweggeräumt; dem
Volke sagt man, er sei zum Gotte geworden. Aber wie

*) Es lassen sich hiemit die attischen Gephureis vergleichen, welche von
gephura, Brücke, benannt waren, ihren Ursprung auf Kadmos zurück-
führten und für wohlerfahren in geheimen Dingen gehalten wurden.

welche er vor den anderen Prieſtern voraus hatte, mit ei-
nem öffentlichen Hauſe geehrt, das ſich auf der heiligen
Straße befand, wo auch Numa Pompilius ſeine könig-
liche Burg gehabt. Er war der oberſte Richter in den die
Heiligthümer und Religionsgebräuche betreffenden Angelegen-
heiten, und konnte nicht nur Privatperſonen, ſondern auch
Behörden ſtrafen, wenn ſie ſeinen Anordnungen ungehorſam
waren. Ein Beiſpiel ſeiner Macht iſt ſchon oben vorge-
kommen. Man ſieht, wie es auch hier ſchon auf eine
überragend große, geiſtliche Autorität angelegt war. Am
merkwürdigſten aber iſt der Name; denn pontifex heißt
Brückenbauer, was nichts Anderes, als einen prieſter-
lichen Vermittler zwiſchen Menſch und Gott, Erde und
Himmel, Dieſſeits und Jenſeits, bedeuten kann. *)

Betrachten wir die Anfänge Roms, ſo erſtaunen wir
billig über die hier ſogleich hervortretenden, ſich wechſelsweiſe
zur Geltung bringenden Gegenſätze, Extreme und Wider-
ſprüche. Zunächſt ſehen die Dinge gar nicht erbaulich aus
und flößen uns mehr Abſcheu und Geringſchätzung, als
Achtung und Bewunderung ein. Die Stifter Roms wer-
den von einer heidniſchen Nonne geboren, ausgeſetzt, von
einer Wölfin geſäugt und von Hirten erzogen; ein Bruder
erſchlägt im Streit den anderen; Rom iſt ein Aſyl für
Flüchtlinge, Verbrecher, Unzufriedene; man nimmt Alles
auf, was kommt; die Nachbarſtaaten wollen mit einem
ſolchem Geſindel keine Gemeinſchaft haben; um Frauen zu
bekommen, muß man ſie rauben; Romulus wird bei
guter Gelegenheit von den „Vätern“ hinweggeräumt; dem
Volke ſagt man, er ſei zum Gotte geworden. Aber wie

*) Es laſſen ſich hiemit die attiſchen Γεφυρεις vergleichen, welche von
γεφυρα, Brücke, benannt waren, ihren Urſprung auf Kadmos zurück-
führten und für wohlerfahren in geheimen Dingen gehalten wurden.
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[16/0038] welche er vor den anderen Prieſtern voraus hatte, mit ei- nem öffentlichen Hauſe geehrt, das ſich auf der heiligen Straße befand, wo auch Numa Pompilius ſeine könig- liche Burg gehabt. Er war der oberſte Richter in den die Heiligthümer und Religionsgebräuche betreffenden Angelegen- heiten, und konnte nicht nur Privatperſonen, ſondern auch Behörden ſtrafen, wenn ſie ſeinen Anordnungen ungehorſam waren. Ein Beiſpiel ſeiner Macht iſt ſchon oben vorge- kommen. Man ſieht, wie es auch hier ſchon auf eine überragend große, geiſtliche Autorität angelegt war. Am merkwürdigſten aber iſt der Name; denn pontifex heißt Brückenbauer, was nichts Anderes, als einen prieſter- lichen Vermittler zwiſchen Menſch und Gott, Erde und Himmel, Dieſſeits und Jenſeits, bedeuten kann. *) Betrachten wir die Anfänge Roms, ſo erſtaunen wir billig über die hier ſogleich hervortretenden, ſich wechſelsweiſe zur Geltung bringenden Gegenſätze, Extreme und Wider- ſprüche. Zunächſt ſehen die Dinge gar nicht erbaulich aus und flößen uns mehr Abſcheu und Geringſchätzung, als Achtung und Bewunderung ein. Die Stifter Roms wer- den von einer heidniſchen Nonne geboren, ausgeſetzt, von einer Wölfin geſäugt und von Hirten erzogen; ein Bruder erſchlägt im Streit den anderen; Rom iſt ein Aſyl für Flüchtlinge, Verbrecher, Unzufriedene; man nimmt Alles auf, was kommt; die Nachbarſtaaten wollen mit einem ſolchem Geſindel keine Gemeinſchaft haben; um Frauen zu bekommen, muß man ſie rauben; Romulus wird bei guter Gelegenheit von den „Vätern“ hinweggeräumt; dem Volke ſagt man, er ſei zum Gotte geworden. Aber wie *) Es laſſen ſich hiemit die attiſchen Γεφυρεις vergleichen, welche von γεφυρα, Brücke, benannt waren, ihren Urſprung auf Kadmos zurück- führten und für wohlerfahren in geheimen Dingen gehalten wurden.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/38>, abgerufen am 28.03.2024.