Es wird ganz gut sein, wenn ich zu Gunsten irgend eines Lesers, welcher über die Verdauung zusammengesetzter eiweiszhaltiger Körper durch Thiere nichts weisz, noch vorausschicke, dasz dies mittelst eines Ferments, Pepsin, in Verbindung mit schwacher Salzsäure bewirkt wird, wenngleich beinahe jede andere Säure wirken wird. Doch hat weder das Pepsin noch eine Säure für sich allein irgend eine derartige Kraft1. Wir haben gesehen, dasz wenn die Drüsen der Blattscheibe durch die Berührung irgend eines Gegenstandes, besonders eines, wel- cher stickstoffhaltige Substanz enthält, gereizt werden, die äuszern Tentakeln und häufig auch die Blattscheibe eingebogen werden; das Blatt wird hierdurch zeitweise in eine Schale oder einen Magen ver- wandelt. In derselben Zeit sondern die Drüsen der Scheibe reichlicher ab und die Absonderung wird sauer, Ueberdies übersenden sie einen gewissen Einflusz den Drüsen der äuszern Tentakeln, wodurch sie die- selben veranlassen, eine reichlichere Absonderung zu ergieszen, welche auch sauer oder noch saurer wird, als sie vorher war.
Da dies Resultat ein bedeutungsvolles ist, so will ich das Beweis- material geben. Das Secret vieler Drüsen auf dreiszig Blättern, welche in keiner Weise gereizt worden waren, wurde mit Lackmus-Papier geprüft; die Absonderung von zweiundzwanzig dieser Blätter afficirte nicht im geringsten die Farbe, während die von acht Blättern eine auszerordentlich schwache und zuweilen etwas zweifelhafte rothe Fär- bung verursachte. Indessen wirkten zwei andere alte Blätter, welche allem Anscheine nach mehrere Male eingebogen gewesen waren, viel entschiedener auf das Papier. Stückchen reinen Glases wurden dann auf fünf Blätter, Würfelchen von Eiweisz auf sechs, und Stückchen rohen Fleisches auf drei gelegt, bei deren keinem zu dieser Zeit die Absonderung sauer war. Nach einem Verlauf von 24 Stunden, wo beinahe alle die Tentakeln an diesen vierzehn Blättern mehr oder weniger eingebogen worden waren, prüfte ich nochmals das Secret, wobei ich Drüsen auswählte, welche noch nicht den Mittelpunkt er- reicht oder irgend einen Gegenstand berührt hatten; und nun war es deutlich sauer. Der Grad der sauren Beschaffenheit des Secretes variirte in etwas bei den Drüsen eines und desselben Blattes. Bei einigen
1 Der Angabe Schiff's zufolge und im Gegensatz zur Meinung einiger Physiologen löst indessen augenscheinlich schwache Salzsäure, wenn schon langsam, eine sehr geringe Quantität geronnenen Eiweiszes auf. Schiff, Physiol. de la Digestion, Tom. II, 1867, p. 25.
Cap. 6. Verdauungskraft des Drosera-Secrets.
Es wird ganz gut sein, wenn ich zu Gunsten irgend eines Lesers, welcher über die Verdauung zusammengesetzter eiweiszhaltiger Körper durch Thiere nichts weisz, noch vorausschicke, dasz dies mittelst eines Ferments, Pepsin, in Verbindung mit schwacher Salzsäure bewirkt wird, wenngleich beinahe jede andere Säure wirken wird. Doch hat weder das Pepsin noch eine Säure für sich allein irgend eine derartige Kraft1. Wir haben gesehen, dasz wenn die Drüsen der Blattscheibe durch die Berührung irgend eines Gegenstandes, besonders eines, wel- cher stickstoffhaltige Substanz enthält, gereizt werden, die äuszern Tentakeln und häufig auch die Blattscheibe eingebogen werden; das Blatt wird hierdurch zeitweise in eine Schale oder einen Magen ver- wandelt. In derselben Zeit sondern die Drüsen der Scheibe reichlicher ab und die Absonderung wird sauer, Ueberdies übersenden sie einen gewissen Einflusz den Drüsen der äuszern Tentakeln, wodurch sie die- selben veranlassen, eine reichlichere Absonderung zu ergieszen, welche auch sauer oder noch saurer wird, als sie vorher war.
Da dies Resultat ein bedeutungsvolles ist, so will ich das Beweis- material geben. Das Secret vieler Drüsen auf dreiszig Blättern, welche in keiner Weise gereizt worden waren, wurde mit Lackmus-Papier geprüft; die Absonderung von zweiundzwanzig dieser Blätter afficirte nicht im geringsten die Farbe, während die von acht Blättern eine auszerordentlich schwache und zuweilen etwas zweifelhafte rothe Fär- bung verursachte. Indessen wirkten zwei andere alte Blätter, welche allem Anscheine nach mehrere Male eingebogen gewesen waren, viel entschiedener auf das Papier. Stückchen reinen Glases wurden dann auf fünf Blätter, Würfelchen von Eiweisz auf sechs, und Stückchen rohen Fleisches auf drei gelegt, bei deren keinem zu dieser Zeit die Absonderung sauer war. Nach einem Verlauf von 24 Stunden, wo beinahe alle die Tentakeln an diesen vierzehn Blättern mehr oder weniger eingebogen worden waren, prüfte ich nochmals das Secret, wobei ich Drüsen auswählte, welche noch nicht den Mittelpunkt er- reicht oder irgend einen Gegenstand berührt hatten; und nun war es deutlich sauer. Der Grad der sauren Beschaffenheit des Secretes variirte in etwas bei den Drüsen eines und desselben Blattes. Bei einigen
1 Der Angabe Schiff’s zufolge und im Gegensatz zur Meinung einiger Physiologen löst indessen augenscheinlich schwache Salzsäure, wenn schon langsam, eine sehr geringe Quantität geronnenen Eiweiszes auf. Schiff, Physiol. de la Digestion, Tom. II, 1867, p. 25.
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Cap. 6. Verdauungskraft des Drosera-Secrets.
Es wird ganz gut sein, wenn ich zu Gunsten irgend eines Lesers,
welcher über die Verdauung zusammengesetzter eiweiszhaltiger Körper
durch Thiere nichts weisz, noch vorausschicke, dasz dies mittelst eines
Ferments, Pepsin, in Verbindung mit schwacher Salzsäure bewirkt
wird, wenngleich beinahe jede andere Säure wirken wird. Doch hat
weder das Pepsin noch eine Säure für sich allein irgend eine derartige
Kraft 1. Wir haben gesehen, dasz wenn die Drüsen der Blattscheibe
durch die Berührung irgend eines Gegenstandes, besonders eines, wel-
cher stickstoffhaltige Substanz enthält, gereizt werden, die äuszern
Tentakeln und häufig auch die Blattscheibe eingebogen werden; das
Blatt wird hierdurch zeitweise in eine Schale oder einen Magen ver-
wandelt. In derselben Zeit sondern die Drüsen der Scheibe reichlicher
ab und die Absonderung wird sauer, Ueberdies übersenden sie einen
gewissen Einflusz den Drüsen der äuszern Tentakeln, wodurch sie die-
selben veranlassen, eine reichlichere Absonderung zu ergieszen, welche
auch sauer oder noch saurer wird, als sie vorher war.
Da dies Resultat ein bedeutungsvolles ist, so will ich das Beweis-
material geben. Das Secret vieler Drüsen auf dreiszig Blättern, welche
in keiner Weise gereizt worden waren, wurde mit Lackmus-Papier
geprüft; die Absonderung von zweiundzwanzig dieser Blätter afficirte
nicht im geringsten die Farbe, während die von acht Blättern eine
auszerordentlich schwache und zuweilen etwas zweifelhafte rothe Fär-
bung verursachte. Indessen wirkten zwei andere alte Blätter, welche
allem Anscheine nach mehrere Male eingebogen gewesen waren, viel
entschiedener auf das Papier. Stückchen reinen Glases wurden dann
auf fünf Blätter, Würfelchen von Eiweisz auf sechs, und Stückchen
rohen Fleisches auf drei gelegt, bei deren keinem zu dieser Zeit die
Absonderung sauer war. Nach einem Verlauf von 24 Stunden, wo
beinahe alle die Tentakeln an diesen vierzehn Blättern mehr oder
weniger eingebogen worden waren, prüfte ich nochmals das Secret,
wobei ich Drüsen auswählte, welche noch nicht den Mittelpunkt er-
reicht oder irgend einen Gegenstand berührt hatten; und nun war es
deutlich sauer. Der Grad der sauren Beschaffenheit des Secretes variirte
in etwas bei den Drüsen eines und desselben Blattes. Bei einigen
1 Der Angabe Schiff’s zufolge und im Gegensatz zur Meinung einiger
Physiologen löst indessen augenscheinlich schwache Salzsäure, wenn schon langsam,
eine sehr geringe Quantität geronnenen Eiweiszes auf. Schiff, Physiol. de la
Digestion, Tom. II, 1867, p. 25.
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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/91>, abgerufen am 23.07.2024.
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