Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.Schluszbemerkungen. Cap. 15. nach mit dem Pepsin beinahe identisches Ferment enthält, animaleSubstanz aufzulösen, und dasz sie später die in dieser Weise verdaute Substanz absorbiren. Dies ist sicher bei Drosera, Drosophyllum und Dionaea, beinahe sicher bei Aldrovanda, und der Analogie nach sehr wahrscheinlich bei Roridula und Byblis der Fall. Wir können hier- nach einsehen, woher es kommt, dasz die drei zuerst genannten Gat- tungen mit so kleinen Wurzeln versehen sind, und dasz Aldrovanda völlig wurzellos ist; in Bezug auf die Wurzeln der andern beiden Gattungen ist nichts bekannt. Es ist ohne Zweifel eine überraschende Thatsache, dasz eine ganze Gruppe von Pflanzen (und, wie wir gleich sehen werden, einige andere, nicht mit den Droseraceen verwandte Pflanzen) zum Theil sich dadurch erhalten, dasz sie animale Substanz verdauen und zum Theil dadurch, dasz sie Kohlensäure zersetzen, statt ausschlieszlich durch das letzte Mittel zu leben in Verbindung mit der Absorption von Substanz aus dem Boden mittelst der Wur- zeln. Wir haben indessen einen in gleicher Weise anomalen Fall im Thierreich; die rhizocephalen Krustenthiere ernähren sich nicht wie andere Thiere durch den Mund, denn ihnen fehlt ein Darmcanal, son- dern sie leben so, dasz sie mittelst wurzelartiger Fortsätze die Säfte der Thiere, auf welchen sie Parasiten sind, absorbiren6. Von den sechs Gattungen ist Drosera ganz ausser allem Ver- 6 Fritz Müller, Für Darwin. Leipzig, 1864. p. 63. Die Wurzelfüszer sind
mit den Rankenfüszern verwandt. Es ist kaum möglich, sich einen gröszern Un- terschied vorzustellen als den zwischen einem Thiere mit greifenden Gliedmaszen, einem gut gebildeten Mund und Nahrungscanal, und einem, welchem alle diese Theile fehlen, und welches sich durch Aufsaugung mittelst verästelter wurzel- artiger Fortsätze ernährt. Wenn ein seltner Cirripede, Anelasma squalicola, extinct geworden wäre, so würde es sehr schwierig gewesen sein zu vermuthen, auf welche Weise eine so enorme Veränderung allmählich bewirkt worden sein könnte. Wir haben aber, wie Fritz Müller bemerkt, in Anelasma ein Thier vor uns, wel- ches sich in einem beinahe genau intermediären Zustand befindet; denn seine wurzelartigen Fortsätze sind in der Haut des Haies eingebettet, auf dem es para- sitisch lebt, und seine prehensilen Cirren und sein Mund (in meiner Monographie der Lepadiden, Ray Society, 1851, p. 169, beschrieben) sind in einem äuszerst schwachen und rudimentären Zustand. Dr. R. Kossmann hat eine sehr inter- essante Erörterung über diesen Gegenstand gegeben in seinen "Suctoria und Le- padidae", 1873. S. auch Dohrn, Der Ursprung der Wirbelthiere, 1875, p. 77. Schluszbemerkungen. Cap. 15. nach mit dem Pepsin beinahe identisches Ferment enthält, animaleSubstanz aufzulösen, und dasz sie später die in dieser Weise verdaute Substanz absorbiren. Dies ist sicher bei Drosera, Drosophyllum und Dionaea, beinahe sicher bei Aldrovanda, und der Analogie nach sehr wahrscheinlich bei Roridula und Byblis der Fall. Wir können hier- nach einsehen, woher es kommt, dasz die drei zuerst genannten Gat- tungen mit so kleinen Wurzeln versehen sind, und dasz Aldrovanda völlig wurzellos ist; in Bezug auf die Wurzeln der andern beiden Gattungen ist nichts bekannt. Es ist ohne Zweifel eine überraschende Thatsache, dasz eine ganze Gruppe von Pflanzen (und, wie wir gleich sehen werden, einige andere, nicht mit den Droseraceen verwandte Pflanzen) zum Theil sich dadurch erhalten, dasz sie animale Substanz verdauen und zum Theil dadurch, dasz sie Kohlensäure zersetzen, statt ausschlieszlich durch das letzte Mittel zu leben in Verbindung mit der Absorption von Substanz aus dem Boden mittelst der Wur- zeln. Wir haben indessen einen in gleicher Weise anomalen Fall im Thierreich; die rhizocephalen Krustenthiere ernähren sich nicht wie andere Thiere durch den Mund, denn ihnen fehlt ein Darmcanal, son- dern sie leben so, dasz sie mittelst wurzelartiger Fortsätze die Säfte der Thiere, auf welchen sie Parasiten sind, absorbiren6. Von den sechs Gattungen ist Drosera ganz ausser allem Ver- 6 Fritz Müller, Für Darwin. Leipzig, 1864. p. 63. Die Wurzelfüszer sind
mit den Rankenfüszern verwandt. Es ist kaum möglich, sich einen gröszern Un- terschied vorzustellen als den zwischen einem Thiere mit greifenden Gliedmaszen, einem gut gebildeten Mund und Nahrungscanal, und einem, welchem alle diese Theile fehlen, und welches sich durch Aufsaugung mittelst verästelter wurzel- artiger Fortsätze ernährt. Wenn ein seltner Cirripede, Anelasma squalicola, extinct geworden wäre, so würde es sehr schwierig gewesen sein zu vermuthen, auf welche Weise eine so enorme Veränderung allmählich bewirkt worden sein könnte. Wir haben aber, wie Fritz Müller bemerkt, in Anelasma ein Thier vor uns, wel- ches sich in einem beinahe genau intermediären Zustand befindet; denn seine wurzelartigen Fortsätze sind in der Haut des Haies eingebettet, auf dem es para- sitisch lebt, und seine prehensilen Cirren und sein Mund (in meiner Monographie der Lepadiden, Ray Society, 1851, p. 169, beschrieben) sind in einem äuszerst schwachen und rudimentären Zustand. Dr. R. Kossmann hat eine sehr inter- essante Erörterung über diesen Gegenstand gegeben in seinen „Suctoria und Le- padidae‟, 1873. S. auch Dohrn, Der Ursprung der Wirbelthiere, 1875, p. 77. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0336" n="322"/><fw place="top" type="header">Schluszbemerkungen. Cap. 15.</fw><lb/> nach mit dem Pepsin beinahe identisches Ferment enthält, animale<lb/> Substanz aufzulösen, und dasz sie später die in dieser Weise verdaute<lb/> Substanz absorbiren. Dies ist sicher bei <hi rendition="#i">Drosera, Drosophyllum</hi> und<lb/><hi rendition="#i">Dionaea,</hi> beinahe sicher bei <hi rendition="#i">Aldrovanda,</hi> und der Analogie nach sehr<lb/> wahrscheinlich bei <hi rendition="#i">Roridula</hi> und <hi rendition="#i">Byblis</hi> der Fall. Wir können hier-<lb/> nach einsehen, woher es kommt, dasz die drei zuerst genannten Gat-<lb/> tungen mit so kleinen Wurzeln versehen sind, und dasz <hi rendition="#i">Aldrovanda</hi><lb/> völlig wurzellos ist; in Bezug auf die Wurzeln der andern beiden<lb/> Gattungen ist nichts bekannt. Es ist ohne Zweifel eine überraschende<lb/> Thatsache, dasz eine ganze Gruppe von Pflanzen (und, wie wir gleich<lb/> sehen werden, einige andere, nicht mit den Droseraceen verwandte<lb/> Pflanzen) zum Theil sich dadurch erhalten, dasz sie animale Substanz<lb/> verdauen und zum Theil dadurch, dasz sie Kohlensäure zersetzen,<lb/> statt ausschlieszlich durch das letzte Mittel zu leben in Verbindung<lb/> mit der Absorption von Substanz aus dem Boden mittelst der Wur-<lb/> zeln. Wir haben indessen einen in gleicher Weise anomalen Fall im<lb/> Thierreich; die rhizocephalen Krustenthiere ernähren sich nicht wie<lb/> andere Thiere durch den Mund, denn ihnen fehlt ein Darmcanal, son-<lb/> dern sie leben so, dasz sie mittelst wurzelartiger Fortsätze die Säfte<lb/> der Thiere, auf welchen sie Parasiten sind, absorbiren<note place="foot" n="6"><hi rendition="#g">Fritz Müller,</hi> Für Darwin. Leipzig, 1864. p. 63. Die Wurzelfüszer sind<lb/> mit den Rankenfüszern verwandt. Es ist kaum möglich, sich einen gröszern Un-<lb/> terschied vorzustellen als den zwischen einem Thiere mit greifenden Gliedmaszen,<lb/> einem gut gebildeten Mund und Nahrungscanal, und einem, welchem alle diese<lb/> Theile fehlen, und welches sich durch Aufsaugung mittelst verästelter wurzel-<lb/> artiger Fortsätze ernährt. Wenn ein seltner Cirripede, <hi rendition="#i">Anelasma squalicola,</hi> extinct<lb/> geworden wäre, so würde es sehr schwierig gewesen sein zu vermuthen, auf welche<lb/> Weise eine so enorme Veränderung allmählich bewirkt worden sein könnte. Wir<lb/> haben aber, wie <hi rendition="#g">Fritz Müller</hi> bemerkt, in <hi rendition="#i">Anelasma</hi> ein Thier vor uns, wel-<lb/> ches sich in einem beinahe genau intermediären Zustand befindet; denn seine<lb/> wurzelartigen Fortsätze sind in der Haut des Haies eingebettet, auf dem es para-<lb/> sitisch lebt, und seine prehensilen Cirren und sein Mund (in meiner Monographie<lb/> der Lepadiden, Ray Society, 1851, p. 169, beschrieben) sind in einem äuszerst<lb/> schwachen und rudimentären Zustand. Dr. R. <hi rendition="#g">Kossmann</hi> hat eine sehr inter-<lb/> essante Erörterung über diesen Gegenstand gegeben in seinen „Suctoria und Le-<lb/> padidae‟, 1873. S. auch <hi rendition="#g">Dohrn,</hi> Der Ursprung der Wirbelthiere, 1875, p. 77.</note>.</p><lb/> <p>Von den sechs Gattungen ist <hi rendition="#i">Drosera</hi> ganz ausser allem Ver-<lb/> gleich die erfolgreichste in dem Kampfe um’s Dasein gewesen, und<lb/> ein groszer Theil ihres Erfolges kann der Art und Weise zugeschrie-<lb/> ben werden, wie sie Insecten fängt. Es ist eine herrschende Form,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [322/0336]
Schluszbemerkungen. Cap. 15.
nach mit dem Pepsin beinahe identisches Ferment enthält, animale
Substanz aufzulösen, und dasz sie später die in dieser Weise verdaute
Substanz absorbiren. Dies ist sicher bei Drosera, Drosophyllum und
Dionaea, beinahe sicher bei Aldrovanda, und der Analogie nach sehr
wahrscheinlich bei Roridula und Byblis der Fall. Wir können hier-
nach einsehen, woher es kommt, dasz die drei zuerst genannten Gat-
tungen mit so kleinen Wurzeln versehen sind, und dasz Aldrovanda
völlig wurzellos ist; in Bezug auf die Wurzeln der andern beiden
Gattungen ist nichts bekannt. Es ist ohne Zweifel eine überraschende
Thatsache, dasz eine ganze Gruppe von Pflanzen (und, wie wir gleich
sehen werden, einige andere, nicht mit den Droseraceen verwandte
Pflanzen) zum Theil sich dadurch erhalten, dasz sie animale Substanz
verdauen und zum Theil dadurch, dasz sie Kohlensäure zersetzen,
statt ausschlieszlich durch das letzte Mittel zu leben in Verbindung
mit der Absorption von Substanz aus dem Boden mittelst der Wur-
zeln. Wir haben indessen einen in gleicher Weise anomalen Fall im
Thierreich; die rhizocephalen Krustenthiere ernähren sich nicht wie
andere Thiere durch den Mund, denn ihnen fehlt ein Darmcanal, son-
dern sie leben so, dasz sie mittelst wurzelartiger Fortsätze die Säfte
der Thiere, auf welchen sie Parasiten sind, absorbiren 6.
Von den sechs Gattungen ist Drosera ganz ausser allem Ver-
gleich die erfolgreichste in dem Kampfe um’s Dasein gewesen, und
ein groszer Theil ihres Erfolges kann der Art und Weise zugeschrie-
ben werden, wie sie Insecten fängt. Es ist eine herrschende Form,
6 Fritz Müller, Für Darwin. Leipzig, 1864. p. 63. Die Wurzelfüszer sind
mit den Rankenfüszern verwandt. Es ist kaum möglich, sich einen gröszern Un-
terschied vorzustellen als den zwischen einem Thiere mit greifenden Gliedmaszen,
einem gut gebildeten Mund und Nahrungscanal, und einem, welchem alle diese
Theile fehlen, und welches sich durch Aufsaugung mittelst verästelter wurzel-
artiger Fortsätze ernährt. Wenn ein seltner Cirripede, Anelasma squalicola, extinct
geworden wäre, so würde es sehr schwierig gewesen sein zu vermuthen, auf welche
Weise eine so enorme Veränderung allmählich bewirkt worden sein könnte. Wir
haben aber, wie Fritz Müller bemerkt, in Anelasma ein Thier vor uns, wel-
ches sich in einem beinahe genau intermediären Zustand befindet; denn seine
wurzelartigen Fortsätze sind in der Haut des Haies eingebettet, auf dem es para-
sitisch lebt, und seine prehensilen Cirren und sein Mund (in meiner Monographie
der Lepadiden, Ray Society, 1851, p. 169, beschrieben) sind in einem äuszerst
schwachen und rudimentären Zustand. Dr. R. Kossmann hat eine sehr inter-
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