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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 13. Art Insecten zu fangen.
Blätter viele Tage lang geschlossen zu halten. Dr. Canby theilt mir
mit, dasz Blätter längere Zeit über Insecten geschlossen bleiben als
über Fleisch; und nach dem, was ich gesehen habe, kann ich wohl
glauben, dasz dies der Fall ist, besonders wenn die Insecten grosz sind.

In allen den oben angeführten Fällen und in vielen anderen, in
denen Blätter eine lange aber unbekannte Zeit über natürlich ge-
fangenen Insecten geschlossen blieben, waren sie, wenn sie sich wie-
der geöffnet hatten, mehr oder weniger torpid. Meistens waren sie
während vieler folgender Tage so torpid, dasz keinerlei Reizung der
Filamente die geringste Bewegung bewirkte. In einem Falle indessen
schlosz sich ein Blatt mit äuszerster Langsamkeit, als eines seiner
Filamente berührt wurde, an dem Tage, nachdem es sich wieder ge-
öffnet hatte; es hatte vorher eine Fliege umfaszt; und obgleich dies-
mal kein Gegenstand eingeschlossen wurde, so war es doch so torpid,
dasz es sich das zweite mal nicht vor Verlauf von 44 Stunden wie-
der öffnete. In einem zweiten Falle bewegte ein Blatt, welches sich
ausgebreitet hatte, nachdem es mindestens neun Tage über einer
Fliege geschlossen geblieben war, als es stark gereizt wurde, nur
einen seiner beiden Lappen und behielt diese ungewöhnliche Stellung
die nächsten zwei Tage hindurch bei. Ein dritter Fall bietet die
stärkste Ausnahme dar, welche ich beobachtet habe: nachdem ein
Blatt eine unbekannte Zeit hindurch über einer Fliege geschlossen
geblieben war, öffnete es sich, und als eines seiner Filamente berührt
wurde, schlosz es sich wieder, wenn schon ziemlich langsam. Dr.
Canby, welcher in den Vereinigten Staaten eine grosze Anzahl von
Pflanzen beobachtet hat, welche, obgleich nicht an ihrem eingeborenen
Standorte, doch wahrscheinlich kräftiger waren, als meine Pflanzen,
theilt mir mit, "dasz er mehrere male erfahren habe, wie kräftige
"Pflanzen ihre Beute mehreremale verschlungen hätten; gewöhnlich
"war zweimal, oder sehr häufig, einmal schon hinreichend, sie untaug-
"lich zu machen." Auch Mrs. Treat, welche in New-Jersey viele
Pflanzen cultivirte, theilt mir mit, dasz "mehrere Blätter hinterein-
"ander jedes drei Fliegen fiengen, dasz aber die meisten von ihnen
"nicht im Stande waren, die dritte Fliege zu verdauen, sondern über
"dem Versuch abstarben. Fünf Blätter jedoch verdauten jedes drei
"Fliegen und schlossen sich über der vierten, starben aber bald nach
"dem vierten Fange. Viele Blätter verdauten nicht einmal ein einziges
"groszes Insect." Es scheint hiernach, als sei das Verdauungsver-

Cap. 13. Art Insecten zu fangen.
Blätter viele Tage lang geschlossen zu halten. Dr. Canby theilt mir
mit, dasz Blätter längere Zeit über Insecten geschlossen bleiben als
über Fleisch; und nach dem, was ich gesehen habe, kann ich wohl
glauben, dasz dies der Fall ist, besonders wenn die Insecten grosz sind.

In allen den oben angeführten Fällen und in vielen anderen, in
denen Blätter eine lange aber unbekannte Zeit über natürlich ge-
fangenen Insecten geschlossen blieben, waren sie, wenn sie sich wie-
der geöffnet hatten, mehr oder weniger torpid. Meistens waren sie
während vieler folgender Tage so torpid, dasz keinerlei Reizung der
Filamente die geringste Bewegung bewirkte. In einem Falle indessen
schlosz sich ein Blatt mit äuszerster Langsamkeit, als eines seiner
Filamente berührt wurde, an dem Tage, nachdem es sich wieder ge-
öffnet hatte; es hatte vorher eine Fliege umfaszt; und obgleich dies-
mal kein Gegenstand eingeschlossen wurde, so war es doch so torpid,
dasz es sich das zweite mal nicht vor Verlauf von 44 Stunden wie-
der öffnete. In einem zweiten Falle bewegte ein Blatt, welches sich
ausgebreitet hatte, nachdem es mindestens neun Tage über einer
Fliege geschlossen geblieben war, als es stark gereizt wurde, nur
einen seiner beiden Lappen und behielt diese ungewöhnliche Stellung
die nächsten zwei Tage hindurch bei. Ein dritter Fall bietet die
stärkste Ausnahme dar, welche ich beobachtet habe: nachdem ein
Blatt eine unbekannte Zeit hindurch über einer Fliege geschlossen
geblieben war, öffnete es sich, und als eines seiner Filamente berührt
wurde, schlosz es sich wieder, wenn schon ziemlich langsam. Dr.
Canby, welcher in den Vereinigten Staaten eine grosze Anzahl von
Pflanzen beobachtet hat, welche, obgleich nicht an ihrem eingeborenen
Standorte, doch wahrscheinlich kräftiger waren, als meine Pflanzen,
theilt mir mit, „dasz er mehrere male erfahren habe, wie kräftige
„Pflanzen ihre Beute mehreremale verschlungen hätten; gewöhnlich
„war zweimal, oder sehr häufig, einmal schon hinreichend, sie untaug-
„lich zu machen.‟ Auch Mrs. Treat, welche in New-Jersey viele
Pflanzen cultivirte, theilt mir mit, dasz „mehrere Blätter hinterein-
„ander jedes drei Fliegen fiengen, dasz aber die meisten von ihnen
„nicht im Stande waren, die dritte Fliege zu verdauen, sondern über
„dem Versuch abstarben. Fünf Blätter jedoch verdauten jedes drei
„Fliegen und schlossen sich über der vierten, starben aber bald nach
„dem vierten Fange. Viele Blätter verdauten nicht einmal ein einziges
„groszes Insect.‟ Es scheint hiernach, als sei das Verdauungsver-

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[281/0295] Cap. 13. Art Insecten zu fangen. Blätter viele Tage lang geschlossen zu halten. Dr. Canby theilt mir mit, dasz Blätter längere Zeit über Insecten geschlossen bleiben als über Fleisch; und nach dem, was ich gesehen habe, kann ich wohl glauben, dasz dies der Fall ist, besonders wenn die Insecten grosz sind. In allen den oben angeführten Fällen und in vielen anderen, in denen Blätter eine lange aber unbekannte Zeit über natürlich ge- fangenen Insecten geschlossen blieben, waren sie, wenn sie sich wie- der geöffnet hatten, mehr oder weniger torpid. Meistens waren sie während vieler folgender Tage so torpid, dasz keinerlei Reizung der Filamente die geringste Bewegung bewirkte. In einem Falle indessen schlosz sich ein Blatt mit äuszerster Langsamkeit, als eines seiner Filamente berührt wurde, an dem Tage, nachdem es sich wieder ge- öffnet hatte; es hatte vorher eine Fliege umfaszt; und obgleich dies- mal kein Gegenstand eingeschlossen wurde, so war es doch so torpid, dasz es sich das zweite mal nicht vor Verlauf von 44 Stunden wie- der öffnete. In einem zweiten Falle bewegte ein Blatt, welches sich ausgebreitet hatte, nachdem es mindestens neun Tage über einer Fliege geschlossen geblieben war, als es stark gereizt wurde, nur einen seiner beiden Lappen und behielt diese ungewöhnliche Stellung die nächsten zwei Tage hindurch bei. Ein dritter Fall bietet die stärkste Ausnahme dar, welche ich beobachtet habe: nachdem ein Blatt eine unbekannte Zeit hindurch über einer Fliege geschlossen geblieben war, öffnete es sich, und als eines seiner Filamente berührt wurde, schlosz es sich wieder, wenn schon ziemlich langsam. Dr. Canby, welcher in den Vereinigten Staaten eine grosze Anzahl von Pflanzen beobachtet hat, welche, obgleich nicht an ihrem eingeborenen Standorte, doch wahrscheinlich kräftiger waren, als meine Pflanzen, theilt mir mit, „dasz er mehrere male erfahren habe, wie kräftige „Pflanzen ihre Beute mehreremale verschlungen hätten; gewöhnlich „war zweimal, oder sehr häufig, einmal schon hinreichend, sie untaug- „lich zu machen.‟ Auch Mrs. Treat, welche in New-Jersey viele Pflanzen cultivirte, theilt mir mit, dasz „mehrere Blätter hinterein- „ander jedes drei Fliegen fiengen, dasz aber die meisten von ihnen „nicht im Stande waren, die dritte Fliege zu verdauen, sondern über „dem Versuch abstarben. Fünf Blätter jedoch verdauten jedes drei „Fliegen und schlossen sich über der vierten, starben aber bald nach „dem vierten Fange. Viele Blätter verdauten nicht einmal ein einziges „groszes Insect.‟ Es scheint hiernach, als sei das Verdauungsver-

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/295>, abgerufen am 27.11.2024.