Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 10. Wiederausstrecken der Tentakeln.
allem Anscheine nach eine Folge der Vereinigung von Moleculen von
Protoplasma. Nun scheint es keine unwahrscheinliche Ansicht zu sein,
dasz dieselbe Neigung, -- nämlich die der Molecule sich einander zu
nähern, -- auch der inneren Oberfläche der Zellwandungen mitge-
theilt wird, welche mit dem Protoplasma in Berührung stehen; und
ist dies der Fall, so würden sich ihre Molecule einander nähern und
die Zellenwandung würde sich zusammenziehen.

Dieser Ansicht kann mit Recht entgegen gehalten werden, dasz,
wenn Blätter in verschiedene starke Lösungen eingetaucht oder einer
Wärme von über 54,4° C. (130° F.) ausgesetzt werden, Zusammen-
ballung zwar eintritt aber keine Bewegung erfolgt. Ferner verur-
sachen verschiedene Säuren und einige andere Flüssigkeiten rapide
Bewegung, aber keine Zusammenballung, oder nur eine solche von
abnormer Beschaffenheit, oder nur nach Verlauf langer Zeit; da aber
die meisten dieser Flüssigkeiten mehr oder weniger schädlich sind,
so dürften sie den Procesz der Zusammenballung durch Verletzung
oder Tödtung des Protoplasma unterbrechen oder verhindern. Es
besteht auch ein anderer und bedeutungsvollerer Unterschied zwischen
den beiden Processen: wenn die Drüsen auf der Scheibe gereizt wer-
den, so senden sie einen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf,
welcher auf die Zellen an der Beugungsstelle wirkt, aber nicht eher
Zusammenballung herbeiführt, bis er die Drüsen erreicht hat; diese
senden dann einen andern Einflusz zurück, welcher die Zusammen-
ballung des Protoplasma verursacht und zwar zuerst in den oberen
und dann in den unteren Zellen.

Das Wiederausstrecken der Tentakeln. -- Diese Be-
wegung ist immer langsam und allmählich. Wenn die Mitte des
Blattes gereizt, oder ein Blatt in eine passende Lösung eingetaucht
wird, so biegen sich alle Tentakeln direct nach der Mitte zu und
später direct von ihr zurück. Wenn aber die Reizungsstelle auf einer
Seite der Scheibe liegt, so biegen sich die umgebenden Tentakeln
nach ihr hin, und daher mit Bezug auf ihre normale Richtung schräg;
wenn sie sich später wieder ausstrecken, so biegen sie sich schräg
zurück, so dasz sie ihre ursprüngliche Stellung wieder erlangen. Die
von einem gereizten Punkt am weitesten abstehenden Tentakeln, wo
sie auch stehen mögen, sind die zuletzt und am wenigsten afficirten,
und wahrscheinlich in Folge hiervon sind sie die ersten, welche sich

Cap. 10. Wiederausstrecken der Tentakeln.
allem Anscheine nach eine Folge der Vereinigung von Moleculen von
Protoplasma. Nun scheint es keine unwahrscheinliche Ansicht zu sein,
dasz dieselbe Neigung, — nämlich die der Molecule sich einander zu
nähern, — auch der inneren Oberfläche der Zellwandungen mitge-
theilt wird, welche mit dem Protoplasma in Berührung stehen; und
ist dies der Fall, so würden sich ihre Molecule einander nähern und
die Zellenwandung würde sich zusammenziehen.

Dieser Ansicht kann mit Recht entgegen gehalten werden, dasz,
wenn Blätter in verschiedene starke Lösungen eingetaucht oder einer
Wärme von über 54,4° C. (130° F.) ausgesetzt werden, Zusammen-
ballung zwar eintritt aber keine Bewegung erfolgt. Ferner verur-
sachen verschiedene Säuren und einige andere Flüssigkeiten rapide
Bewegung, aber keine Zusammenballung, oder nur eine solche von
abnormer Beschaffenheit, oder nur nach Verlauf langer Zeit; da aber
die meisten dieser Flüssigkeiten mehr oder weniger schädlich sind,
so dürften sie den Procesz der Zusammenballung durch Verletzung
oder Tödtung des Protoplasma unterbrechen oder verhindern. Es
besteht auch ein anderer und bedeutungsvollerer Unterschied zwischen
den beiden Processen: wenn die Drüsen auf der Scheibe gereizt wer-
den, so senden sie einen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf,
welcher auf die Zellen an der Beugungsstelle wirkt, aber nicht eher
Zusammenballung herbeiführt, bis er die Drüsen erreicht hat; diese
senden dann einen andern Einflusz zurück, welcher die Zusammen-
ballung des Protoplasma verursacht und zwar zuerst in den oberen
und dann in den unteren Zellen.

Das Wiederausstrecken der Tentakeln. — Diese Be-
wegung ist immer langsam und allmählich. Wenn die Mitte des
Blattes gereizt, oder ein Blatt in eine passende Lösung eingetaucht
wird, so biegen sich alle Tentakeln direct nach der Mitte zu und
später direct von ihr zurück. Wenn aber die Reizungsstelle auf einer
Seite der Scheibe liegt, so biegen sich die umgebenden Tentakeln
nach ihr hin, und daher mit Bezug auf ihre normale Richtung schräg;
wenn sie sich später wieder ausstrecken, so biegen sie sich schräg
zurück, so dasz sie ihre ursprüngliche Stellung wieder erlangen. Die
von einem gereizten Punkt am weitesten abstehenden Tentakeln, wo
sie auch stehen mögen, sind die zuletzt und am wenigsten afficirten,
und wahrscheinlich in Folge hiervon sind sie die ersten, welche sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="235"/><fw place="top" type="header">Cap. 10. Wiederausstrecken der Tentakeln.</fw><lb/>
allem Anscheine nach eine Folge der Vereinigung von Moleculen von<lb/>
Protoplasma. Nun scheint es keine unwahrscheinliche Ansicht zu sein,<lb/>
dasz dieselbe Neigung, &#x2014; nämlich die der Molecule sich einander zu<lb/>
nähern, &#x2014; auch der inneren Oberfläche der Zellwandungen mitge-<lb/>
theilt wird, welche mit dem Protoplasma in Berührung stehen; und<lb/>
ist dies der Fall, so würden sich ihre Molecule einander nähern und<lb/>
die Zellenwandung würde sich zusammenziehen.</p><lb/>
        <p>Dieser Ansicht kann mit Recht entgegen gehalten werden, dasz,<lb/>
wenn Blätter in verschiedene starke Lösungen eingetaucht oder einer<lb/>
Wärme von über 54,4° C. (130° F.) ausgesetzt werden, Zusammen-<lb/>
ballung zwar eintritt aber keine Bewegung erfolgt. Ferner verur-<lb/>
sachen verschiedene Säuren und einige andere Flüssigkeiten rapide<lb/>
Bewegung, aber keine Zusammenballung, oder nur eine solche von<lb/>
abnormer Beschaffenheit, oder nur nach Verlauf langer Zeit; da aber<lb/>
die meisten dieser Flüssigkeiten mehr oder weniger schädlich sind,<lb/>
so dürften sie den Procesz der Zusammenballung durch Verletzung<lb/>
oder Tödtung des Protoplasma unterbrechen oder verhindern. Es<lb/>
besteht auch ein anderer und bedeutungsvollerer Unterschied zwischen<lb/>
den beiden Processen: wenn die Drüsen auf der Scheibe gereizt wer-<lb/>
den, so senden sie einen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf,<lb/>
welcher auf die Zellen an der Beugungsstelle wirkt, aber nicht eher<lb/>
Zusammenballung herbeiführt, bis er die Drüsen erreicht hat; diese<lb/>
senden dann einen andern Einflusz zurück, welcher die Zusammen-<lb/>
ballung des Protoplasma verursacht und zwar zuerst in den oberen<lb/>
und dann in den unteren Zellen.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Das Wiederausstrecken der Tentakeln.</hi> &#x2014; Diese Be-<lb/>
wegung ist immer langsam und allmählich. Wenn die Mitte des<lb/>
Blattes gereizt, oder ein Blatt in eine passende Lösung eingetaucht<lb/>
wird, so biegen sich alle Tentakeln direct nach der Mitte zu und<lb/>
später direct von ihr zurück. Wenn aber die Reizungsstelle auf einer<lb/>
Seite der Scheibe liegt, so biegen sich die umgebenden Tentakeln<lb/>
nach ihr hin, und daher mit Bezug auf ihre normale Richtung schräg;<lb/>
wenn sie sich später wieder ausstrecken, so biegen sie sich schräg<lb/>
zurück, so dasz sie ihre ursprüngliche Stellung wieder erlangen. Die<lb/>
von einem gereizten Punkt am weitesten abstehenden Tentakeln, wo<lb/>
sie auch stehen mögen, sind die zuletzt und am wenigsten afficirten,<lb/>
und wahrscheinlich in Folge hiervon sind sie die ersten, welche sich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0249] Cap. 10. Wiederausstrecken der Tentakeln. allem Anscheine nach eine Folge der Vereinigung von Moleculen von Protoplasma. Nun scheint es keine unwahrscheinliche Ansicht zu sein, dasz dieselbe Neigung, — nämlich die der Molecule sich einander zu nähern, — auch der inneren Oberfläche der Zellwandungen mitge- theilt wird, welche mit dem Protoplasma in Berührung stehen; und ist dies der Fall, so würden sich ihre Molecule einander nähern und die Zellenwandung würde sich zusammenziehen. Dieser Ansicht kann mit Recht entgegen gehalten werden, dasz, wenn Blätter in verschiedene starke Lösungen eingetaucht oder einer Wärme von über 54,4° C. (130° F.) ausgesetzt werden, Zusammen- ballung zwar eintritt aber keine Bewegung erfolgt. Ferner verur- sachen verschiedene Säuren und einige andere Flüssigkeiten rapide Bewegung, aber keine Zusammenballung, oder nur eine solche von abnormer Beschaffenheit, oder nur nach Verlauf langer Zeit; da aber die meisten dieser Flüssigkeiten mehr oder weniger schädlich sind, so dürften sie den Procesz der Zusammenballung durch Verletzung oder Tödtung des Protoplasma unterbrechen oder verhindern. Es besteht auch ein anderer und bedeutungsvollerer Unterschied zwischen den beiden Processen: wenn die Drüsen auf der Scheibe gereizt wer- den, so senden sie einen Einflusz die umgebenden Tentakeln hinauf, welcher auf die Zellen an der Beugungsstelle wirkt, aber nicht eher Zusammenballung herbeiführt, bis er die Drüsen erreicht hat; diese senden dann einen andern Einflusz zurück, welcher die Zusammen- ballung des Protoplasma verursacht und zwar zuerst in den oberen und dann in den unteren Zellen. Das Wiederausstrecken der Tentakeln. — Diese Be- wegung ist immer langsam und allmählich. Wenn die Mitte des Blattes gereizt, oder ein Blatt in eine passende Lösung eingetaucht wird, so biegen sich alle Tentakeln direct nach der Mitte zu und später direct von ihr zurück. Wenn aber die Reizungsstelle auf einer Seite der Scheibe liegt, so biegen sich die umgebenden Tentakeln nach ihr hin, und daher mit Bezug auf ihre normale Richtung schräg; wenn sie sich später wieder ausstrecken, so biegen sie sich schräg zurück, so dasz sie ihre ursprüngliche Stellung wieder erlangen. Die von einem gereizten Punkt am weitesten abstehenden Tentakeln, wo sie auch stehen mögen, sind die zuletzt und am wenigsten afficirten, und wahrscheinlich in Folge hiervon sind sie die ersten, welche sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/249
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/249>, abgerufen am 03.05.2024.