Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 10. Mittel der Bewegung.
welche sich durch Elasticität zusammenziehen. Wir können daher
schlieszen, dasz ihre Bewegungen nicht durch die inhärente Elasticität
gewisser Zellen, welcher, so lange sie lebendig und nicht gereizt sind,
der ausgedehnte Zustand ihres Inhaltes entgegenwirkt, erklärt werden
können.

Eine etwas verschiedene Ansicht haben andere Physiologen vorge-
bracht, dasz nämlich das Protoplasma, wenn es gereizt wird, sich
wie die weiche Sarcode der Muskeln von Thieren zusammenzieht. Bei
Drosera erscheint die Flüssigkeit innerhalb der Zellen der Tentakeln
an der Beugungsstelle unter dem Mikroskope dünn und homogen, und
nach der Zusammenballung besteht sie aus weichen Massen von Sub-
stanz, welche beständige Änderungen der Form erleiden und in einer
beinahe farblosen Flüssigkeit schwimmen. Diese Massen werden voll-
ständig wieder aufgelöst, wenn sich die Tentakeln wieder ausstrecken.
Nun scheint es kaum möglich zu sein, dasz derartige Substanz
irgend welche mechanische Kraft äuszern könne; wenn sie aber
in Folge irgend einer molecularen Änderung weniger Raum ein-
nehmen sollte als vorher, so würden sich die Zellenwandungen
über ihnen schlieszen und zusammenziehen. In diesem Falle dürfte
man aber erwarten, dasz die Wände Faltungen darböten; und solche
konnten niemals beobachtet werden. Überdies scheint der Inhalt
aller Zellen von genau derselben Beschaffenheit zu sein, sowohl vor
als auch nach der Zusammenballung; und doch ziehen sich nur einige
wenige der basalen Zellen zusammen, während der übrige Tentakel
gerade bleibt.

Eine dritte, von einigen Physiologen vertretene Ansicht, die frei-
lich von den meisten andern verworfen wird, ist die, dasz die ganze
Zelle mit Einschlusz der Wandungen sich activ zusammenzieht. Wenn
die Zellwände nur aus nichtstickstoffhaltiger Cellulose bestehen, ist
diese Ansicht in hohem Grade unwahrscheinlich; es kann aber kaum
bezweifelt werden, dasz sie von proteinartiger Substanz durchdrungen
werden, wenigstens während sie wachsen. Auch scheint darin nicht
von vornherein eine Unwahrscheinlichkeit zu liegen, dasz sich die
Zellwände der Drosera zusammenziehen, wenn man den hohen Zu-
stand ihrer Organisation in Betracht zieht: ein solcher zeigt sich, was
die Drüsen betrifft, einmal in ihrem Vermögen der Aufsaugung und
Absonderung, und darin, dasz sie so ausgesucht empfindlich sind, so
dasz sie durch den Druck der minutiösesten Theilchen afficirt werden.

Cap. 10. Mittel der Bewegung.
welche sich durch Elasticität zusammenziehen. Wir können daher
schlieszen, dasz ihre Bewegungen nicht durch die inhärente Elasticität
gewisser Zellen, welcher, so lange sie lebendig und nicht gereizt sind,
der ausgedehnte Zustand ihres Inhaltes entgegenwirkt, erklärt werden
können.

Eine etwas verschiedene Ansicht haben andere Physiologen vorge-
bracht, dasz nämlich das Protoplasma, wenn es gereizt wird, sich
wie die weiche Sarcode der Muskeln von Thieren zusammenzieht. Bei
Drosera erscheint die Flüssigkeit innerhalb der Zellen der Tentakeln
an der Beugungsstelle unter dem Mikroskope dünn und homogen, und
nach der Zusammenballung besteht sie aus weichen Massen von Sub-
stanz, welche beständige Änderungen der Form erleiden und in einer
beinahe farblosen Flüssigkeit schwimmen. Diese Massen werden voll-
ständig wieder aufgelöst, wenn sich die Tentakeln wieder ausstrecken.
Nun scheint es kaum möglich zu sein, dasz derartige Substanz
irgend welche mechanische Kraft äuszern könne; wenn sie aber
in Folge irgend einer molecularen Änderung weniger Raum ein-
nehmen sollte als vorher, so würden sich die Zellenwandungen
über ihnen schlieszen und zusammenziehen. In diesem Falle dürfte
man aber erwarten, dasz die Wände Faltungen darböten; und solche
konnten niemals beobachtet werden. Überdies scheint der Inhalt
aller Zellen von genau derselben Beschaffenheit zu sein, sowohl vor
als auch nach der Zusammenballung; und doch ziehen sich nur einige
wenige der basalen Zellen zusammen, während der übrige Tentakel
gerade bleibt.

Eine dritte, von einigen Physiologen vertretene Ansicht, die frei-
lich von den meisten andern verworfen wird, ist die, dasz die ganze
Zelle mit Einschlusz der Wandungen sich activ zusammenzieht. Wenn
die Zellwände nur aus nichtstickstoffhaltiger Cellulose bestehen, ist
diese Ansicht in hohem Grade unwahrscheinlich; es kann aber kaum
bezweifelt werden, dasz sie von protëinartiger Substanz durchdrungen
werden, wenigstens während sie wachsen. Auch scheint darin nicht
von vornherein eine Unwahrscheinlichkeit zu liegen, dasz sich die
Zellwände der Drosera zusammenziehen, wenn man den hohen Zu-
stand ihrer Organisation in Betracht zieht: ein solcher zeigt sich, was
die Drüsen betrifft, einmal in ihrem Vermögen der Aufsaugung und
Absonderung, und darin, dasz sie so ausgesucht empfindlich sind, so
dasz sie durch den Druck der minutiösesten Theilchen afficirt werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0247" n="233"/><fw place="top" type="header">Cap. 10. Mittel der Bewegung.</fw><lb/>
welche sich durch Elasticität zusammenziehen. Wir können daher<lb/>
schlieszen, dasz ihre Bewegungen nicht durch die inhärente Elasticität<lb/>
gewisser Zellen, welcher, so lange sie lebendig und nicht gereizt sind,<lb/>
der ausgedehnte Zustand ihres Inhaltes entgegenwirkt, erklärt werden<lb/>
können.</p><lb/>
        <p>Eine etwas verschiedene Ansicht haben andere Physiologen vorge-<lb/>
bracht, dasz nämlich das Protoplasma, wenn es gereizt wird, sich<lb/>
wie die weiche Sarcode der Muskeln von Thieren zusammenzieht. Bei<lb/><hi rendition="#i">Drosera</hi> erscheint die Flüssigkeit innerhalb der Zellen der Tentakeln<lb/>
an der Beugungsstelle unter dem Mikroskope dünn und homogen, und<lb/>
nach der Zusammenballung besteht sie aus weichen Massen von Sub-<lb/>
stanz, welche beständige Änderungen der Form erleiden und in einer<lb/>
beinahe farblosen Flüssigkeit schwimmen. Diese Massen werden voll-<lb/>
ständig wieder aufgelöst, wenn sich die Tentakeln wieder ausstrecken.<lb/>
Nun scheint es kaum möglich zu sein, dasz derartige Substanz<lb/>
irgend welche mechanische Kraft äuszern könne; wenn sie aber<lb/>
in Folge irgend einer molecularen Änderung weniger Raum ein-<lb/>
nehmen sollte als vorher, so würden sich die Zellenwandungen<lb/>
über ihnen schlieszen und zusammenziehen. In diesem Falle dürfte<lb/>
man aber erwarten, dasz die Wände Faltungen darböten; und solche<lb/>
konnten niemals beobachtet werden. Überdies scheint der Inhalt<lb/>
aller Zellen von genau derselben Beschaffenheit zu sein, sowohl vor<lb/>
als auch nach der Zusammenballung; und doch ziehen sich nur einige<lb/>
wenige der basalen Zellen zusammen, während der übrige Tentakel<lb/>
gerade bleibt.</p><lb/>
        <p>Eine dritte, von einigen Physiologen vertretene Ansicht, die frei-<lb/>
lich von den meisten andern verworfen wird, ist die, dasz die ganze<lb/>
Zelle mit Einschlusz der Wandungen sich activ zusammenzieht. Wenn<lb/>
die Zellwände nur aus nichtstickstoffhaltiger Cellulose bestehen, ist<lb/>
diese Ansicht in hohem Grade unwahrscheinlich; es kann aber kaum<lb/>
bezweifelt werden, dasz sie von protëinartiger Substanz durchdrungen<lb/>
werden, wenigstens während sie wachsen. Auch scheint darin nicht<lb/>
von vornherein eine Unwahrscheinlichkeit zu liegen, dasz sich die<lb/>
Zellwände der <hi rendition="#i">Drosera</hi> zusammenziehen, wenn man den hohen Zu-<lb/>
stand ihrer Organisation in Betracht zieht: ein solcher zeigt sich, was<lb/>
die Drüsen betrifft, einmal in ihrem Vermögen der Aufsaugung und<lb/>
Absonderung, und darin, dasz sie so ausgesucht empfindlich sind, so<lb/>
dasz sie durch den Druck der minutiösesten Theilchen afficirt werden.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0247] Cap. 10. Mittel der Bewegung. welche sich durch Elasticität zusammenziehen. Wir können daher schlieszen, dasz ihre Bewegungen nicht durch die inhärente Elasticität gewisser Zellen, welcher, so lange sie lebendig und nicht gereizt sind, der ausgedehnte Zustand ihres Inhaltes entgegenwirkt, erklärt werden können. Eine etwas verschiedene Ansicht haben andere Physiologen vorge- bracht, dasz nämlich das Protoplasma, wenn es gereizt wird, sich wie die weiche Sarcode der Muskeln von Thieren zusammenzieht. Bei Drosera erscheint die Flüssigkeit innerhalb der Zellen der Tentakeln an der Beugungsstelle unter dem Mikroskope dünn und homogen, und nach der Zusammenballung besteht sie aus weichen Massen von Sub- stanz, welche beständige Änderungen der Form erleiden und in einer beinahe farblosen Flüssigkeit schwimmen. Diese Massen werden voll- ständig wieder aufgelöst, wenn sich die Tentakeln wieder ausstrecken. Nun scheint es kaum möglich zu sein, dasz derartige Substanz irgend welche mechanische Kraft äuszern könne; wenn sie aber in Folge irgend einer molecularen Änderung weniger Raum ein- nehmen sollte als vorher, so würden sich die Zellenwandungen über ihnen schlieszen und zusammenziehen. In diesem Falle dürfte man aber erwarten, dasz die Wände Faltungen darböten; und solche konnten niemals beobachtet werden. Überdies scheint der Inhalt aller Zellen von genau derselben Beschaffenheit zu sein, sowohl vor als auch nach der Zusammenballung; und doch ziehen sich nur einige wenige der basalen Zellen zusammen, während der übrige Tentakel gerade bleibt. Eine dritte, von einigen Physiologen vertretene Ansicht, die frei- lich von den meisten andern verworfen wird, ist die, dasz die ganze Zelle mit Einschlusz der Wandungen sich activ zusammenzieht. Wenn die Zellwände nur aus nichtstickstoffhaltiger Cellulose bestehen, ist diese Ansicht in hohem Grade unwahrscheinlich; es kann aber kaum bezweifelt werden, dasz sie von protëinartiger Substanz durchdrungen werden, wenigstens während sie wachsen. Auch scheint darin nicht von vornherein eine Unwahrscheinlichkeit zu liegen, dasz sich die Zellwände der Drosera zusammenziehen, wenn man den hohen Zu- stand ihrer Organisation in Betracht zieht: ein solcher zeigt sich, was die Drüsen betrifft, einmal in ihrem Vermögen der Aufsaugung und Absonderung, und darin, dasz sie so ausgesucht empfindlich sind, so dasz sie durch den Druck der minutiösesten Theilchen afficirt werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/247
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/247>, abgerufen am 02.05.2024.