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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 10. Mittel der Bewegung.

Das Bewegungsvermögen, welches verschiedene Pflanzen besitzen,
wenn sie gereizt werden, ist von bedeutenden Autoritäten dem rapiden
Austritt von Flüssigkeit aus gewissen Zellen zugeschrieben worden,
welche in Folge ihres vorausgehenden Spannungszustandes sich sofort
zusammenziehen6. Mag dies nun die primäre Ursache solcher Bewe-
gungen sein oder nicht, so musz allerdings Flüssigkeit aus geschlossenen
Zellen austreten, wenn sie sich zusammenziehen oder wenn sie in
einer Richtung zusammengedrückt werden, vorausgesetzt, dasz sie
nicht in derselben Zeit sich in irgend einer anderen Richtung aus-
dehnen. So kann man z. B. sehen, dasz Flüssigkeit aus der Ober-
fläche eines jeden jungen und lebenskräftigen Schöszlings herausquillt,
wenn er in einem Halbkreise gebogen wird7. Was Drosera betrifft,
so findet sicherlich viel Bewegung von Flüssigkeit durch die ganzen
Tentakeln statt, während sie Einbiegung erleiden. Es lassen sich
viele Blätter finden, an denen die purpurne Flüssigkeit innerhalb der
Zellen auf der obern und untern Seite der Tentakeln von einer gleich-
mäszig dunklen Färbung ist und sich auch auf beiden Seiten gleich-
mäszig bis in die Nähe der Basen hinaberstreckt. Wenn die Ten-
takeln eines solchen Blattes zur Bewegung gereizt werden, so wird
man allgemein nach einigen Stunden finden, dasz die Zellen der con-
caven Seite viel blasser sind, als sie vorher waren, oder dasz sie ganz
farblos sind, während die auf der convexen Seite viel dunkler ge-
worden sind. In zwei Fällen, wo Stückchen Haar auf Drüsen gelegt
worden waren und wo im Laufe von 1 Stunde 10 Minuten die Ten-
takeln halbwegs nach dem Centrum des Blattes hin gekrümmt wor-
den waren, war diese Veränderung der Färbung auf den beiden Seiten
ganz auffallend deutlich. In einem andern Falle wurde, nachdem ein
Stückchen Fleisch auf eine Drüse gelegt worden war, beobachtet, wie
die purpurne Färbung in Zeitabsätzen langsam von dem obern nach
dem untern Theile, an der convexen Seite des sich biegenden Tentakels
hinabwanderte. Es folgt aber aus diesen Beobachtungen nicht, dasz
die Zellen auf der convexen Seite mit mehr Flüssigkeit während des
Actes der Einbieguug erfüllt wurden, als sie vorher enthielten; denn
während der ganzen Zeit kann Flüssigkeit in die Scheibe oder in die
Drüsen eintreten, welche nun reichlich absondern.

6 Sachs, Lehrbuch der Botanik, 4. Aufl., 1874, p. 860. Diese Ansicht
sprach, glaube ich, zuerst Lamarck aus.
7 Sachs, ebenda, p. 751.
Cap. 10. Mittel der Bewegung.

Das Bewegungsvermögen, welches verschiedene Pflanzen besitzen,
wenn sie gereizt werden, ist von bedeutenden Autoritäten dem rapiden
Austritt von Flüssigkeit aus gewissen Zellen zugeschrieben worden,
welche in Folge ihres vorausgehenden Spannungszustandes sich sofort
zusammenziehen6. Mag dies nun die primäre Ursache solcher Bewe-
gungen sein oder nicht, so musz allerdings Flüssigkeit aus geschlossenen
Zellen austreten, wenn sie sich zusammenziehen oder wenn sie in
einer Richtung zusammengedrückt werden, vorausgesetzt, dasz sie
nicht in derselben Zeit sich in irgend einer anderen Richtung aus-
dehnen. So kann man z. B. sehen, dasz Flüssigkeit aus der Ober-
fläche eines jeden jungen und lebenskräftigen Schöszlings herausquillt,
wenn er in einem Halbkreise gebogen wird7. Was Drosera betrifft,
so findet sicherlich viel Bewegung von Flüssigkeit durch die ganzen
Tentakeln statt, während sie Einbiegung erleiden. Es lassen sich
viele Blätter finden, an denen die purpurne Flüssigkeit innerhalb der
Zellen auf der obern und untern Seite der Tentakeln von einer gleich-
mäszig dunklen Färbung ist und sich auch auf beiden Seiten gleich-
mäszig bis in die Nähe der Basen hinaberstreckt. Wenn die Ten-
takeln eines solchen Blattes zur Bewegung gereizt werden, so wird
man allgemein nach einigen Stunden finden, dasz die Zellen der con-
caven Seite viel blasser sind, als sie vorher waren, oder dasz sie ganz
farblos sind, während die auf der convexen Seite viel dunkler ge-
worden sind. In zwei Fällen, wo Stückchen Haar auf Drüsen gelegt
worden waren und wo im Laufe von 1 Stunde 10 Minuten die Ten-
takeln halbwegs nach dem Centrum des Blattes hin gekrümmt wor-
den waren, war diese Veränderung der Färbung auf den beiden Seiten
ganz auffallend deutlich. In einem andern Falle wurde, nachdem ein
Stückchen Fleisch auf eine Drüse gelegt worden war, beobachtet, wie
die purpurne Färbung in Zeitabsätzen langsam von dem obern nach
dem untern Theile, an der convexen Seite des sich biegenden Tentakels
hinabwanderte. Es folgt aber aus diesen Beobachtungen nicht, dasz
die Zellen auf der convexen Seite mit mehr Flüssigkeit während des
Actes der Einbieguug erfüllt wurden, als sie vorher enthielten; denn
während der ganzen Zeit kann Flüssigkeit in die Scheibe oder in die
Drüsen eintreten, welche nun reichlich absondern.

6 Sachs, Lehrbuch der Botanik, 4. Aufl., 1874, p. 860. Diese Ansicht
sprach, glaube ich, zuerst Lamarck aus.
7 Sachs, ebenda, p. 751.
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[231/0245] Cap. 10. Mittel der Bewegung. Das Bewegungsvermögen, welches verschiedene Pflanzen besitzen, wenn sie gereizt werden, ist von bedeutenden Autoritäten dem rapiden Austritt von Flüssigkeit aus gewissen Zellen zugeschrieben worden, welche in Folge ihres vorausgehenden Spannungszustandes sich sofort zusammenziehen 6. Mag dies nun die primäre Ursache solcher Bewe- gungen sein oder nicht, so musz allerdings Flüssigkeit aus geschlossenen Zellen austreten, wenn sie sich zusammenziehen oder wenn sie in einer Richtung zusammengedrückt werden, vorausgesetzt, dasz sie nicht in derselben Zeit sich in irgend einer anderen Richtung aus- dehnen. So kann man z. B. sehen, dasz Flüssigkeit aus der Ober- fläche eines jeden jungen und lebenskräftigen Schöszlings herausquillt, wenn er in einem Halbkreise gebogen wird 7. Was Drosera betrifft, so findet sicherlich viel Bewegung von Flüssigkeit durch die ganzen Tentakeln statt, während sie Einbiegung erleiden. Es lassen sich viele Blätter finden, an denen die purpurne Flüssigkeit innerhalb der Zellen auf der obern und untern Seite der Tentakeln von einer gleich- mäszig dunklen Färbung ist und sich auch auf beiden Seiten gleich- mäszig bis in die Nähe der Basen hinaberstreckt. Wenn die Ten- takeln eines solchen Blattes zur Bewegung gereizt werden, so wird man allgemein nach einigen Stunden finden, dasz die Zellen der con- caven Seite viel blasser sind, als sie vorher waren, oder dasz sie ganz farblos sind, während die auf der convexen Seite viel dunkler ge- worden sind. In zwei Fällen, wo Stückchen Haar auf Drüsen gelegt worden waren und wo im Laufe von 1 Stunde 10 Minuten die Ten- takeln halbwegs nach dem Centrum des Blattes hin gekrümmt wor- den waren, war diese Veränderung der Färbung auf den beiden Seiten ganz auffallend deutlich. In einem andern Falle wurde, nachdem ein Stückchen Fleisch auf eine Drüse gelegt worden war, beobachtet, wie die purpurne Färbung in Zeitabsätzen langsam von dem obern nach dem untern Theile, an der convexen Seite des sich biegenden Tentakels hinabwanderte. Es folgt aber aus diesen Beobachtungen nicht, dasz die Zellen auf der convexen Seite mit mehr Flüssigkeit während des Actes der Einbieguug erfüllt wurden, als sie vorher enthielten; denn während der ganzen Zeit kann Flüssigkeit in die Scheibe oder in die Drüsen eintreten, welche nun reichlich absondern. 6 Sachs, Lehrbuch der Botanik, 4. Aufl., 1874, p. 860. Diese Ansicht sprach, glaube ich, zuerst Lamarck aus. 7 Sachs, ebenda, p. 751.

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/245>, abgerufen am 27.11.2024.