Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 10. Ubermittelung des motorischen Impulses.
die Drüsen an einer Seite der Scheibe gereizt werden, so wird der
Impuls beinahe quer über die ganze Breite der Scheibe hinübergesandt.
Eine Drüse übersendet ihren motorischen Impuls viel leichter und
schneller ihren eigenen Tentakel hinab nach der sich biegenden Stelle
als quer über die Scheibe an benachbarte Tentakeln. Wenn hier-
nach eine äuszerst kleine Dosis einer sehr schwachen Ammoniaklösung
einer der Drüsen der äuszeren Tentakeln gegeben wird, so verursacht
sie, dasz sich derselbe biegt und die Mitte erreicht; während ein
groszer Tropfen derselben Lösung, wenn er zwanzig Drüsen auf der
Scheibe gegeben wird, durch deren combinirten Einflusz doch nicht
die mindeste Einbiegung der äuszern Tentakeln verursachen wird.
Wenn ferner ein Stückchen Fleisch auf die Drüse eines äuszeren Ten-
takels gethan wird, so habe ich Bewegung in zehn Secunden und
wiederholt innerhalb einer Minute eintreten sehn; aber ein viel
gröszeres Stück auf mehrere Drüsen auf der Scheibe gelegt, veran-
laszte die äuszeren Tentakeln nicht eher sich zu biegen als bis nach
Verlauf einer oder mehrerer Stunden.

Der motorische Impuls breitet sich von einer oder mehr gereiz-
ten Drüsen allmählich nach allen Seiten hin aus, so dasz die Ten-
takeln, welche am nächsten stehn, immer zuerst afficirt werden.
Wenn daher die Drüsen im Mittelpunkte der Scheibe gereizt werden,
so sind die äuszersten randständigen Tentakeln die zuletzt eingebo-
genen. Aber die Drüsen auf verschiedenen Theilen des Blattes über-
mitteln ihre motorische Kraft in einer etwas verschiedenen Art und
Weise. Wenn ein Stückchen Fleisch auf die langköpfige Drüse eines
randständigen Tentakels gelegt wird, so überliefert sie schnell einen
Impuls dem sich biegenden Theil ihres eigenen Tentakels, niemals
aber, so weit ich beobachtet habe, an benachbarte Tentakeln; denn
diese werden nicht eher afficirt, als bis das Fleisch nach den centralen
Drüsen hin geschafft worden ist, welche dann ihren vereinigten Im-
puls nach allen Seiten hin ausstrahlen. Bei vier Gelegenheiten wur-
den Blätter so präparirt, dasz einige Tage vorher alle Drüsen aus
dem Centrum entfernt wurden, so dasz dieselben nicht durch Fleisch-
stückchen gereizt werden konnten, welche ihnen durch die Einbiegung
der randständigen Tentakeln zugeführt wurden; und nun breiteten
sich diese randständigen Tentakeln nach einiger Zeit wieder aus, ohne
dasz irgend ein anderer Tentakel afficirt worden wäre. Andere Blätter
wurden ähnlich präparirt, und Stückchen Fleisch wurden auf die

Cap. 10. Ubermittelung des motorischen Impulses.
die Drüsen an einer Seite der Scheibe gereizt werden, so wird der
Impuls beinahe quer über die ganze Breite der Scheibe hinübergesandt.
Eine Drüse übersendet ihren motorischen Impuls viel leichter und
schneller ihren eigenen Tentakel hinab nach der sich biegenden Stelle
als quer über die Scheibe an benachbarte Tentakeln. Wenn hier-
nach eine äuszerst kleine Dosis einer sehr schwachen Ammoniaklösung
einer der Drüsen der äuszeren Tentakeln gegeben wird, so verursacht
sie, dasz sich derselbe biegt und die Mitte erreicht; während ein
groszer Tropfen derselben Lösung, wenn er zwanzig Drüsen auf der
Scheibe gegeben wird, durch deren combinirten Einflusz doch nicht
die mindeste Einbiegung der äuszern Tentakeln verursachen wird.
Wenn ferner ein Stückchen Fleisch auf die Drüse eines äuszeren Ten-
takels gethan wird, so habe ich Bewegung in zehn Secunden und
wiederholt innerhalb einer Minute eintreten sehn; aber ein viel
gröszeres Stück auf mehrere Drüsen auf der Scheibe gelegt, veran-
laszte die äuszeren Tentakeln nicht eher sich zu biegen als bis nach
Verlauf einer oder mehrerer Stunden.

Der motorische Impuls breitet sich von einer oder mehr gereiz-
ten Drüsen allmählich nach allen Seiten hin aus, so dasz die Ten-
takeln, welche am nächsten stehn, immer zuerst afficirt werden.
Wenn daher die Drüsen im Mittelpunkte der Scheibe gereizt werden,
so sind die äuszersten randständigen Tentakeln die zuletzt eingebo-
genen. Aber die Drüsen auf verschiedenen Theilen des Blattes über-
mitteln ihre motorische Kraft in einer etwas verschiedenen Art und
Weise. Wenn ein Stückchen Fleisch auf die langköpfige Drüse eines
randständigen Tentakels gelegt wird, so überliefert sie schnell einen
Impuls dem sich biegenden Theil ihres eigenen Tentakels, niemals
aber, so weit ich beobachtet habe, an benachbarte Tentakeln; denn
diese werden nicht eher afficirt, als bis das Fleisch nach den centralen
Drüsen hin geschafft worden ist, welche dann ihren vereinigten Im-
puls nach allen Seiten hin ausstrahlen. Bei vier Gelegenheiten wur-
den Blätter so präparirt, dasz einige Tage vorher alle Drüsen aus
dem Centrum entfernt wurden, so dasz dieselben nicht durch Fleisch-
stückchen gereizt werden konnten, welche ihnen durch die Einbiegung
der randständigen Tentakeln zugeführt wurden; und nun breiteten
sich diese randständigen Tentakeln nach einiger Zeit wieder aus, ohne
dasz irgend ein anderer Tentakel afficirt worden wäre. Andere Blätter
wurden ähnlich präparirt, und Stückchen Fleisch wurden auf die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="213"/><fw place="top" type="header">Cap. 10. Ubermittelung des motorischen Impulses.</fw><lb/>
die Drüsen an einer Seite der Scheibe gereizt werden, so wird der<lb/>
Impuls beinahe quer über die ganze Breite der Scheibe hinübergesandt.<lb/>
Eine Drüse übersendet ihren motorischen Impuls viel leichter und<lb/>
schneller ihren eigenen Tentakel hinab nach der sich biegenden Stelle<lb/>
als quer über die Scheibe an benachbarte Tentakeln. Wenn hier-<lb/>
nach eine äuszerst kleine Dosis einer sehr schwachen Ammoniaklösung<lb/>
einer der Drüsen der äuszeren Tentakeln gegeben wird, so verursacht<lb/>
sie, dasz sich derselbe biegt und die Mitte erreicht; während ein<lb/>
groszer Tropfen derselben Lösung, wenn er zwanzig Drüsen auf der<lb/>
Scheibe gegeben wird, durch deren combinirten Einflusz doch nicht<lb/>
die mindeste Einbiegung der äuszern Tentakeln verursachen wird.<lb/>
Wenn ferner ein Stückchen Fleisch auf die Drüse eines äuszeren Ten-<lb/>
takels gethan wird, so habe ich Bewegung in zehn Secunden und<lb/>
wiederholt innerhalb einer Minute eintreten sehn; aber ein viel<lb/>
gröszeres Stück auf mehrere Drüsen auf der Scheibe gelegt, veran-<lb/>
laszte die äuszeren Tentakeln nicht eher sich zu biegen als bis nach<lb/>
Verlauf einer oder mehrerer Stunden.</p><lb/>
        <p>Der motorische Impuls breitet sich von einer oder mehr gereiz-<lb/>
ten Drüsen allmählich nach allen Seiten hin aus, so dasz die Ten-<lb/>
takeln, welche am nächsten stehn, immer zuerst afficirt werden.<lb/>
Wenn daher die Drüsen im Mittelpunkte der Scheibe gereizt werden,<lb/>
so sind die äuszersten randständigen Tentakeln die zuletzt eingebo-<lb/>
genen. Aber die Drüsen auf verschiedenen Theilen des Blattes über-<lb/>
mitteln ihre motorische Kraft in einer etwas verschiedenen Art und<lb/>
Weise. Wenn ein Stückchen Fleisch auf die langköpfige Drüse eines<lb/>
randständigen Tentakels gelegt wird, so überliefert sie schnell einen<lb/>
Impuls dem sich biegenden Theil ihres eigenen Tentakels, niemals<lb/>
aber, so weit ich beobachtet habe, an benachbarte Tentakeln; denn<lb/>
diese werden nicht eher afficirt, als bis das Fleisch nach den centralen<lb/>
Drüsen hin geschafft worden ist, welche dann ihren vereinigten Im-<lb/>
puls nach allen Seiten hin ausstrahlen. Bei vier Gelegenheiten wur-<lb/>
den Blätter so präparirt, dasz einige Tage vorher alle Drüsen aus<lb/>
dem Centrum entfernt wurden, so dasz dieselben nicht durch Fleisch-<lb/>
stückchen gereizt werden konnten, welche ihnen durch die Einbiegung<lb/>
der randständigen Tentakeln zugeführt wurden; und nun breiteten<lb/>
sich diese randständigen Tentakeln nach einiger Zeit wieder aus, ohne<lb/>
dasz irgend ein anderer Tentakel afficirt worden wäre. Andere Blätter<lb/>
wurden ähnlich präparirt, und Stückchen Fleisch wurden auf die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0227] Cap. 10. Ubermittelung des motorischen Impulses. die Drüsen an einer Seite der Scheibe gereizt werden, so wird der Impuls beinahe quer über die ganze Breite der Scheibe hinübergesandt. Eine Drüse übersendet ihren motorischen Impuls viel leichter und schneller ihren eigenen Tentakel hinab nach der sich biegenden Stelle als quer über die Scheibe an benachbarte Tentakeln. Wenn hier- nach eine äuszerst kleine Dosis einer sehr schwachen Ammoniaklösung einer der Drüsen der äuszeren Tentakeln gegeben wird, so verursacht sie, dasz sich derselbe biegt und die Mitte erreicht; während ein groszer Tropfen derselben Lösung, wenn er zwanzig Drüsen auf der Scheibe gegeben wird, durch deren combinirten Einflusz doch nicht die mindeste Einbiegung der äuszern Tentakeln verursachen wird. Wenn ferner ein Stückchen Fleisch auf die Drüse eines äuszeren Ten- takels gethan wird, so habe ich Bewegung in zehn Secunden und wiederholt innerhalb einer Minute eintreten sehn; aber ein viel gröszeres Stück auf mehrere Drüsen auf der Scheibe gelegt, veran- laszte die äuszeren Tentakeln nicht eher sich zu biegen als bis nach Verlauf einer oder mehrerer Stunden. Der motorische Impuls breitet sich von einer oder mehr gereiz- ten Drüsen allmählich nach allen Seiten hin aus, so dasz die Ten- takeln, welche am nächsten stehn, immer zuerst afficirt werden. Wenn daher die Drüsen im Mittelpunkte der Scheibe gereizt werden, so sind die äuszersten randständigen Tentakeln die zuletzt eingebo- genen. Aber die Drüsen auf verschiedenen Theilen des Blattes über- mitteln ihre motorische Kraft in einer etwas verschiedenen Art und Weise. Wenn ein Stückchen Fleisch auf die langköpfige Drüse eines randständigen Tentakels gelegt wird, so überliefert sie schnell einen Impuls dem sich biegenden Theil ihres eigenen Tentakels, niemals aber, so weit ich beobachtet habe, an benachbarte Tentakeln; denn diese werden nicht eher afficirt, als bis das Fleisch nach den centralen Drüsen hin geschafft worden ist, welche dann ihren vereinigten Im- puls nach allen Seiten hin ausstrahlen. Bei vier Gelegenheiten wur- den Blätter so präparirt, dasz einige Tage vorher alle Drüsen aus dem Centrum entfernt wurden, so dasz dieselben nicht durch Fleisch- stückchen gereizt werden konnten, welche ihnen durch die Einbiegung der randständigen Tentakeln zugeführt wurden; und nun breiteten sich diese randständigen Tentakeln nach einiger Zeit wieder aus, ohne dasz irgend ein anderer Tentakel afficirt worden wäre. Andere Blätter wurden ähnlich präparirt, und Stückchen Fleisch wurden auf die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/227
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/227>, abgerufen am 29.11.2024.