Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite
Drosera rotundifolia Cap. 7.
den war. Die Blätter in den zwei Gruppen wurden in kurzen Zeitinter-
vallen, bis zu 24 Stunden, zuweilen bis zu 48 Stunden verglichen. Sie
wurden in der Weise eingetaucht, dasz sie so sanft als möglich in nume-
rirte Uhrgläser gelegt und dreiszig Minims (1,775 Cub. Cent.) der Lösung
oder destillirten Wassers über sie gegossen wurden.

Einige Lösungen, z. B. die von kohlensaurem Ammoniak, entfärben
die Drüsen schnell; und da alle Drüsen auf einem und dem nämlichen
Blatte gleichzeitig entfärbt wurden, so müssen sie alle etwas von dem
Salze innerhalb der gleichen kurzen Zeitdauer absorbirt haben. Dies
zeigte sich auch durch die gleichzeitige Einbiegung der verschiedenen
äuszeren Reihen von Tentakeln. Wenn wir keine solchen Beweise wie
diese hätten, so hätte vermuthet werden können, dasz nur die Drüsen
der äuszeren und eingebogenen Tentakeln das Salz absorbirt hätten; oder
dasz nur diejenigen auf der Scheibe es absorbirt und dann einen motori-
schen Impuls den äuszeren Tentakeln übermittelt hätten; aber in diesem
letztem Falle würden die äuszeren Tentakeln nicht eher eingebogen wor-
den sein, als bis eine gewisse Zeit verlaufen wäre, anstatt innerhalb einer
halben Stunde oder selbst innerhalb einiger weniger Minuten sich einzu-
biegen, wie es gewöhnlich vorkam. Alle Drüsen auf dem nämlichen
Blatte sind von nahezu derselben Grösze, wie am besten zu sehen ist,
wenn man einen schmalen queren Streifen herausschneidet und ihn auf
den Rand legt; es sind daher auch ihre absorbirenden Oberflächen nahezu
gleich. Die langköpfigen Drüsen am äuszersten Rande müssen ausge-
nommen werden, da sie viel länger als die andern sind; aber nur
die obere Fläche ist der Absorption fähig. Auszer den Drüsen tragen
beide Oberflächen der Blätter und die Stiele der Tentakeln zahlreiche
minutiöse Papillen, welche kohlensaures Ammoniak, einen Aufgusz von
rohem Fleisch, Metallsalze und wahrscheinlich noch viele andere Sub-
stanzen absorbiren; doch bringt die Absorption von Substanz durch diese
Papillen niemals Einbiegung hervor. Wir müssen uns daran erinnern,
dasz die Bewegung jedes einzelnen Tentakels davon abhängt, dasz seine
Drüse gereizt wird, ausgenommen wenn ein motorischer Impuls von den
Drüsen der Scheibe ihm übermittelt wird; und dann findet die Bewegung,
wie eben angegeben wurde, nicht eher statt, als bis eine geringe Zeit
verflossen ist. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, weil sie uns zeigen,
dasz wir, wenn ein Blatt in eine Lösung eingetaucht wird und die Ten-
takeln eingebogen werden, mit einer gewissen Genauigkeit beurtheilen
können, wie viel von dem Salze jede Drüse absorbirt hat. Wenn z. B.
ein Blatt, welches 212 Drüsen trägt, in eine abgemessene Quantität einer
Gran eines Salzes enthaltenden Lösung eingetaucht wird und alle
äuszeren Tentakeln mit Ausnahme von zwölf werden eingebogen, so können
wir sicher sein, dasz jede von den 200 Drüsen im Mittel höchstens
Gran des Salzes absorbirt haben kann. Ich sage: höchstens; denn die
Papillen werden eine gewisse kleine Menge absorbirt haben, ebenso viel-
leicht auch die Drüsen der zwölf ausgeschlossenen Tentakeln, welche
nicht eingebogen wurden. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt zu
merkwürdigen Schluszfolgerungen in Bezug auf die äuszerste Kleinheit der
noch Einbiegung verursachenden Dosen.

Drosera rotundifolia Cap. 7.
den war. Die Blätter in den zwei Gruppen wurden in kurzen Zeitinter-
vallen, bis zu 24 Stunden, zuweilen bis zu 48 Stunden verglichen. Sie
wurden in der Weise eingetaucht, dasz sie so sanft als möglich in nume-
rirte Uhrgläser gelegt und dreiszig Minims (1,775 Cub. Cent.) der Lösung
oder destillirten Wassers über sie gegossen wurden.

Einige Lösungen, z. B. die von kohlensaurem Ammoniak, entfärben
die Drüsen schnell; und da alle Drüsen auf einem und dem nämlichen
Blatte gleichzeitig entfärbt wurden, so müssen sie alle etwas von dem
Salze innerhalb der gleichen kurzen Zeitdauer absorbirt haben. Dies
zeigte sich auch durch die gleichzeitige Einbiegung der verschiedenen
äuszeren Reihen von Tentakeln. Wenn wir keine solchen Beweise wie
diese hätten, so hätte vermuthet werden können, dasz nur die Drüsen
der äuszeren und eingebogenen Tentakeln das Salz absorbirt hätten; oder
dasz nur diejenigen auf der Scheibe es absorbirt und dann einen motori-
schen Impuls den äuszeren Tentakeln übermittelt hätten; aber in diesem
letztem Falle würden die äuszeren Tentakeln nicht eher eingebogen wor-
den sein, als bis eine gewisse Zeit verlaufen wäre, anstatt innerhalb einer
halben Stunde oder selbst innerhalb einiger weniger Minuten sich einzu-
biegen, wie es gewöhnlich vorkam. Alle Drüsen auf dem nämlichen
Blatte sind von nahezu derselben Grösze, wie am besten zu sehen ist,
wenn man einen schmalen queren Streifen herausschneidet und ihn auf
den Rand legt; es sind daher auch ihre absorbirenden Oberflächen nahezu
gleich. Die langköpfigen Drüsen am äuszersten Rande müssen ausge-
nommen werden, da sie viel länger als die andern sind; aber nur
die obere Fläche ist der Absorption fähig. Auszer den Drüsen tragen
beide Oberflächen der Blätter und die Stiele der Tentakeln zahlreiche
minutiöse Papillen, welche kohlensaures Ammoniak, einen Aufgusz von
rohem Fleisch, Metallsalze und wahrscheinlich noch viele andere Sub-
stanzen absorbiren; doch bringt die Absorption von Substanz durch diese
Papillen niemals Einbiegung hervor. Wir müssen uns daran erinnern,
dasz die Bewegung jedes einzelnen Tentakels davon abhängt, dasz seine
Drüse gereizt wird, ausgenommen wenn ein motorischer Impuls von den
Drüsen der Scheibe ihm übermittelt wird; und dann findet die Bewegung,
wie eben angegeben wurde, nicht eher statt, als bis eine geringe Zeit
verflossen ist. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, weil sie uns zeigen,
dasz wir, wenn ein Blatt in eine Lösung eingetaucht wird und die Ten-
takeln eingebogen werden, mit einer gewissen Genauigkeit beurtheilen
können, wie viel von dem Salze jede Drüse absorbirt hat. Wenn z. B.
ein Blatt, welches 212 Drüsen trägt, in eine abgemessene Quantität einer
Gran eines Salzes enthaltenden Lösung eingetaucht wird und alle
äuszeren Tentakeln mit Ausnahme von zwölf werden eingebogen, so können
wir sicher sein, dasz jede von den 200 Drüsen im Mittel höchstens
Gran des Salzes absorbirt haben kann. Ich sage: höchstens; denn die
Papillen werden eine gewisse kleine Menge absorbirt haben, ebenso viel-
leicht auch die Drüsen der zwölf ausgeschlossenen Tentakeln, welche
nicht eingebogen wurden. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt zu
merkwürdigen Schluszfolgerungen in Bezug auf die äuszerste Kleinheit der
noch Einbiegung verursachenden Dosen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <list>
          <item><pb facs="#f0136" n="122"/><fw place="top" type="header">Drosera rotundifolia Cap. 7.</fw><lb/>
den war. Die Blätter in den zwei Gruppen wurden in kurzen Zeitinter-<lb/>
vallen, bis zu 24 Stunden, zuweilen bis zu 48 Stunden verglichen. Sie<lb/>
wurden in der Weise eingetaucht, dasz sie so sanft als möglich in nume-<lb/>
rirte Uhrgläser gelegt und dreiszig Minims (1,775 Cub. Cent.) der Lösung<lb/>
oder destillirten Wassers über sie gegossen wurden.</item>
        </list><lb/>
        <p>Einige Lösungen, z. B. die von kohlensaurem Ammoniak, entfärben<lb/>
die Drüsen schnell; und da alle Drüsen auf einem und dem nämlichen<lb/>
Blatte gleichzeitig entfärbt wurden, so müssen sie alle etwas von dem<lb/>
Salze innerhalb der gleichen kurzen Zeitdauer absorbirt haben. Dies<lb/>
zeigte sich auch durch die gleichzeitige Einbiegung der verschiedenen<lb/>
äuszeren Reihen von Tentakeln. Wenn wir keine solchen Beweise wie<lb/>
diese hätten, so hätte vermuthet werden können, dasz nur die Drüsen<lb/>
der äuszeren und eingebogenen Tentakeln das Salz absorbirt hätten; oder<lb/>
dasz nur diejenigen auf der Scheibe es absorbirt und dann einen motori-<lb/>
schen Impuls den äuszeren Tentakeln übermittelt hätten; aber in diesem<lb/>
letztem Falle würden die äuszeren Tentakeln nicht eher eingebogen wor-<lb/>
den sein, als bis eine gewisse Zeit verlaufen wäre, anstatt innerhalb einer<lb/>
halben Stunde oder selbst innerhalb einiger weniger Minuten sich einzu-<lb/>
biegen, wie es gewöhnlich vorkam. Alle Drüsen auf dem nämlichen<lb/>
Blatte sind von nahezu derselben Grösze, wie am besten zu sehen ist,<lb/>
wenn man einen schmalen queren Streifen herausschneidet und ihn auf<lb/>
den Rand legt; es sind daher auch ihre absorbirenden Oberflächen nahezu<lb/>
gleich. Die langköpfigen Drüsen am äuszersten Rande müssen ausge-<lb/>
nommen werden, da sie viel länger als die andern sind; aber nur<lb/>
die obere Fläche ist der Absorption fähig. Auszer den Drüsen tragen<lb/>
beide Oberflächen der Blätter und die Stiele der Tentakeln zahlreiche<lb/>
minutiöse Papillen, welche kohlensaures Ammoniak, einen Aufgusz von<lb/>
rohem Fleisch, Metallsalze und wahrscheinlich noch viele andere Sub-<lb/>
stanzen absorbiren; doch bringt die Absorption von Substanz durch diese<lb/>
Papillen niemals Einbiegung hervor. Wir müssen uns daran erinnern,<lb/>
dasz die Bewegung jedes einzelnen Tentakels davon abhängt, dasz seine<lb/>
Drüse gereizt wird, ausgenommen wenn ein motorischer Impuls von den<lb/>
Drüsen der Scheibe ihm übermittelt wird; und dann findet die Bewegung,<lb/>
wie eben angegeben wurde, nicht eher statt, als bis eine geringe Zeit<lb/>
verflossen ist. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, weil sie uns zeigen,<lb/>
dasz wir, wenn ein Blatt in eine Lösung eingetaucht wird und die Ten-<lb/>
takeln eingebogen werden, mit einer gewissen Genauigkeit beurtheilen<lb/>
können, wie viel von dem Salze jede Drüse absorbirt hat. Wenn z. B.<lb/>
ein Blatt, welches 212 Drüsen trägt, in eine abgemessene Quantität einer<lb/><formula notation="TeX">\frac {1}{10}</formula> Gran eines Salzes enthaltenden Lösung eingetaucht wird und alle<lb/>
äuszeren Tentakeln mit Ausnahme von zwölf werden eingebogen, so können<lb/>
wir sicher sein, dasz jede von den 200 Drüsen im Mittel höchstens <formula notation="TeX">\frac {1}{2000}</formula><lb/>
Gran des Salzes absorbirt haben kann. Ich sage: höchstens; denn die<lb/>
Papillen werden eine gewisse kleine Menge absorbirt haben, ebenso viel-<lb/>
leicht auch die Drüsen der zwölf ausgeschlossenen Tentakeln, welche<lb/>
nicht eingebogen wurden. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt zu<lb/>
merkwürdigen Schluszfolgerungen in Bezug auf die äuszerste Kleinheit der<lb/>
noch Einbiegung verursachenden Dosen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0136] Drosera rotundifolia Cap. 7. den war. Die Blätter in den zwei Gruppen wurden in kurzen Zeitinter- vallen, bis zu 24 Stunden, zuweilen bis zu 48 Stunden verglichen. Sie wurden in der Weise eingetaucht, dasz sie so sanft als möglich in nume- rirte Uhrgläser gelegt und dreiszig Minims (1,775 Cub. Cent.) der Lösung oder destillirten Wassers über sie gegossen wurden. Einige Lösungen, z. B. die von kohlensaurem Ammoniak, entfärben die Drüsen schnell; und da alle Drüsen auf einem und dem nämlichen Blatte gleichzeitig entfärbt wurden, so müssen sie alle etwas von dem Salze innerhalb der gleichen kurzen Zeitdauer absorbirt haben. Dies zeigte sich auch durch die gleichzeitige Einbiegung der verschiedenen äuszeren Reihen von Tentakeln. Wenn wir keine solchen Beweise wie diese hätten, so hätte vermuthet werden können, dasz nur die Drüsen der äuszeren und eingebogenen Tentakeln das Salz absorbirt hätten; oder dasz nur diejenigen auf der Scheibe es absorbirt und dann einen motori- schen Impuls den äuszeren Tentakeln übermittelt hätten; aber in diesem letztem Falle würden die äuszeren Tentakeln nicht eher eingebogen wor- den sein, als bis eine gewisse Zeit verlaufen wäre, anstatt innerhalb einer halben Stunde oder selbst innerhalb einiger weniger Minuten sich einzu- biegen, wie es gewöhnlich vorkam. Alle Drüsen auf dem nämlichen Blatte sind von nahezu derselben Grösze, wie am besten zu sehen ist, wenn man einen schmalen queren Streifen herausschneidet und ihn auf den Rand legt; es sind daher auch ihre absorbirenden Oberflächen nahezu gleich. Die langköpfigen Drüsen am äuszersten Rande müssen ausge- nommen werden, da sie viel länger als die andern sind; aber nur die obere Fläche ist der Absorption fähig. Auszer den Drüsen tragen beide Oberflächen der Blätter und die Stiele der Tentakeln zahlreiche minutiöse Papillen, welche kohlensaures Ammoniak, einen Aufgusz von rohem Fleisch, Metallsalze und wahrscheinlich noch viele andere Sub- stanzen absorbiren; doch bringt die Absorption von Substanz durch diese Papillen niemals Einbiegung hervor. Wir müssen uns daran erinnern, dasz die Bewegung jedes einzelnen Tentakels davon abhängt, dasz seine Drüse gereizt wird, ausgenommen wenn ein motorischer Impuls von den Drüsen der Scheibe ihm übermittelt wird; und dann findet die Bewegung, wie eben angegeben wurde, nicht eher statt, als bis eine geringe Zeit verflossen ist. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, weil sie uns zeigen, dasz wir, wenn ein Blatt in eine Lösung eingetaucht wird und die Ten- takeln eingebogen werden, mit einer gewissen Genauigkeit beurtheilen können, wie viel von dem Salze jede Drüse absorbirt hat. Wenn z. B. ein Blatt, welches 212 Drüsen trägt, in eine abgemessene Quantität einer [FORMEL] Gran eines Salzes enthaltenden Lösung eingetaucht wird und alle äuszeren Tentakeln mit Ausnahme von zwölf werden eingebogen, so können wir sicher sein, dasz jede von den 200 Drüsen im Mittel höchstens [FORMEL] Gran des Salzes absorbirt haben kann. Ich sage: höchstens; denn die Papillen werden eine gewisse kleine Menge absorbirt haben, ebenso viel- leicht auch die Drüsen der zwölf ausgeschlossenen Tentakeln, welche nicht eingebogen wurden. Die Anwendung dieses Grundsatzes führt zu merkwürdigen Schluszfolgerungen in Bezug auf die äuszerste Kleinheit der noch Einbiegung verursachenden Dosen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/136
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/136>, abgerufen am 05.12.2024.