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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673.

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Vom verlohrnen Sohn.
Josepho l. 13. der alten Geschichten c. 23. darum sie auch auff dem Ca-
theder Mosis gesessen/ und in grossen Ehren geschwebt; sie liessen sich dun-
cken/ sie hätten den Schlüssel der Weißheit/ und aller Erkantnuß/ Luc. 11.
die Schlüssel des Himmelreichs; ohne sie komme niemand in den Him-
mel und wen sie nicht hinein liessen/ der müsse wohl draussen bleiben. Aber
unterdessen waren sie starr- und stock-blind in Göttlichen Sachen/ Jo-
han. 9. deßwegen sie nicht allein coeci & stulti, blinde Thoren/ sondern
auch gar duces coecorum, blinde Leiter/ genennet werden/ Matth. 23.

Blind waren sie/ wie in andern Jrrthummen/ die sie defendirt/ also
sonderlich in defensione fati & metempsukhoseos, daß sie das nothzwingen-
de blinde Geschick/ und die Außziehung der Seelen von einem Leib in den
andern behauptet/ sie verkehrten das Gesetz Mosis/ daß dannenhero Chri-
stus mit einer scharffen Feyel darhinder her gemüßt/ Matth. 5, 10. seqq.
sonderlich aber irreten sie im Fundament und Grund der Seligkeit. Sie
wußten viel vom Gesatz/ aber nichts vom Evangelio/ sie sprachen den
Heyden/ Zöllnern und Sündern den Himmel glatt ab/ die waren novissi-
mi,
die letsten bey ihnen. Sie wußten nichts von der Buß/ noch von
der Barmhertzigkeit GOttes/ und auß derselben fliessenden Schenckung
des Messiae; nichts von seinen Kenn-Zeichen und Ampts-Wercken/ wel-
ches ihnen Christus vorgeworffen: Jhr Heuchler/ des Himmels
Gestalt könnet ihr urtheilen/ könnet ihr dann nicht auch die
Zeichen dieser Zeit urtheilen? Matth. 16, 3. Sie hielten dafür/ der
Messias werde ein Welt-Reich anrichten/ und weil sie dergleichen an
Christo nicht gefunden/ wolten sie ihn nicht annehmen. Sie bochten auch
auff ihre Primogenitur und Erste Geburt/ daß sie GOttes Erb-Volck/
sein Eigenthum/ sein Außerwehltes Volck seyen/ denen das Göttliche Ge-
setz zu verwahren anvertrauet worden/ darum könne es ihnen nicht fehlen.
Sie trotzen auff ihre strenge obedienz und hartes Orden-Leben; auff ihre
gute Wercke und Bußen/ die sie ihnen selbs gauffleten/ wie wir über acht
tag vernehmen werden. Sie wußten nichts/ welches erschröcklich/ von
der Widergeburt/ daß der Mensch Fleisch vom Fleisch/ und wann er gleich
alles thue/ so gefalle es doch Gott nicht ohne die Widergenburt. Also daß
Nicodemus der Meister in Jsrael in diesem Stuck ein pur lauteres Kind
geweßt/ Joh. 3. und davon nicht das geringste verstanden. Dazu dann
auch gekommen die Verblendung und die Verstockung; unangesehen der
himmlische Vater ihnen seinen Sohn geschicket/ seine Vocation, Beruff
mit himmlischer Stimme und kräfftigen Wundern versiegelt und be-
kräfftiget/ sie auch selbs autokatakritoi in ihrem Gewissen überzeügt ge-

weßt/
T iij

Vom verlohrnen Sohn.
Joſepho l. 13. der alten Geſchichten c. 23. darum ſie auch auff dem Ca-
theder Moſis geſeſſen/ und in groſſen Ehren geſchwebt; ſie lieſſen ſich dun-
cken/ ſie haͤtten den Schluͤſſel der Weißheit/ und aller Erkantnuß/ Luc. 11.
die Schluͤſſel des Himmelreichs; ohne ſie komme niemand in den Him-
mel und wen ſie nicht hinein lieſſen/ der muͤſſe wohl drauſſen bleiben. Aber
unterdeſſen waren ſie ſtarꝛ- und ſtock-blind in Goͤttlichen Sachen/ Jo-
han. 9. deßwegen ſie nicht allein cœci & ſtulti, blinde Thoren/ ſondern
auch gar duces cœcorum, blinde Leiter/ genennet werden/ Matth. 23.

Blind waren ſie/ wie in andern Jrꝛthummen/ die ſie defendirt/ alſo
ſonderlich in defenſione fati & μετεμψυχώσεως, daß ſie das nothzwingen-
de blinde Geſchick/ und die Außziehung der Seelen von einem Leib in den
andern behauptet/ ſie verkehrten das Geſetz Moſis/ daß dannenhero Chri-
ſtus mit einer ſcharffen Feyel darhinder her gemuͤßt/ Matth. 5, 10. ſeqq.
ſonderlich aber irreten ſie im Fundament und Grund der Seligkeit. Sie
wußten viel vom Geſatz/ aber nichts vom Evangelio/ ſie ſprachen den
Heyden/ Zoͤllnern und Suͤndern den Himmel glatt ab/ die waren noviſſi-
mi,
die letſten bey ihnen. Sie wußten nichts von der Buß/ noch von
der Barmhertzigkeit GOttes/ und auß derſelben flieſſenden Schenckung
des Meſſiæ; nichts von ſeinen Kenn-Zeichen und Ampts-Wercken/ wel-
ches ihnen Chriſtus vorgeworffen: Jhr Heuchler/ des Himmels
Geſtalt koͤnnet ihr urtheilen/ koͤnnet ihr dann nicht auch die
Zeichen dieſer Zeit urtheilen? Matth. 16, 3. Sie hielten dafuͤr/ der
Meſſias werde ein Welt-Reich anrichten/ und weil ſie dergleichen an
Chriſto nicht gefunden/ wolten ſie ihn nicht annehmen. Sie bochten auch
auff ihre Primogenitur und Erſte Geburt/ daß ſie GOttes Erb-Volck/
ſein Eigenthum/ ſein Außerwehltes Volck ſeyen/ denen das Goͤttliche Ge-
ſetz zu verwahren anvertrauet worden/ darum koͤnne es ihnen nicht fehlen.
Sie trotzen auff ihre ſtrenge obedienz und hartes Orden-Leben; auff ihre
gute Wercke und Bußen/ die ſie ihnen ſelbs gauffleten/ wie wir uͤber acht
tag vernehmen werden. Sie wußten nichts/ welches erſchroͤcklich/ von
der Widergeburt/ daß der Menſch Fleiſch vom Fleiſch/ und wann er gleich
alles thue/ ſo gefalle es doch Gott nicht ohne die Widergēburt. Alſo daß
Nicodemus der Meiſter in Jſrael in dieſem Stuck ein pur lauteres Kind
geweßt/ Joh. 3. und davon nicht das geringſte verſtanden. Dazu dann
auch gekommen die Verblendung und die Verſtockung; unangeſehen der
himmliſche Vater ihnen ſeinen Sohn geſchicket/ ſeine Vocation, Beruff
mit himmliſcher Stimme und kraͤfftigen Wundern verſiegelt und be-
kraͤfftiget/ ſie auch ſelbs ἀυτοκατάκριτοι in ihrem Gewiſſen uͤberzeuͤgt ge-

weßt/
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[149/0167] Vom verlohrnen Sohn. Joſepho l. 13. der alten Geſchichten c. 23. darum ſie auch auff dem Ca- theder Moſis geſeſſen/ und in groſſen Ehren geſchwebt; ſie lieſſen ſich dun- cken/ ſie haͤtten den Schluͤſſel der Weißheit/ und aller Erkantnuß/ Luc. 11. die Schluͤſſel des Himmelreichs; ohne ſie komme niemand in den Him- mel und wen ſie nicht hinein lieſſen/ der muͤſſe wohl drauſſen bleiben. Aber unterdeſſen waren ſie ſtarꝛ- und ſtock-blind in Goͤttlichen Sachen/ Jo- han. 9. deßwegen ſie nicht allein cœci & ſtulti, blinde Thoren/ ſondern auch gar duces cœcorum, blinde Leiter/ genennet werden/ Matth. 23. Blind waren ſie/ wie in andern Jrꝛthummen/ die ſie defendirt/ alſo ſonderlich in defenſione fati & μετεμψυχώσεως, daß ſie das nothzwingen- de blinde Geſchick/ und die Außziehung der Seelen von einem Leib in den andern behauptet/ ſie verkehrten das Geſetz Moſis/ daß dannenhero Chri- ſtus mit einer ſcharffen Feyel darhinder her gemuͤßt/ Matth. 5, 10. ſeqq. ſonderlich aber irreten ſie im Fundament und Grund der Seligkeit. Sie wußten viel vom Geſatz/ aber nichts vom Evangelio/ ſie ſprachen den Heyden/ Zoͤllnern und Suͤndern den Himmel glatt ab/ die waren noviſſi- mi, die letſten bey ihnen. Sie wußten nichts von der Buß/ noch von der Barmhertzigkeit GOttes/ und auß derſelben flieſſenden Schenckung des Meſſiæ; nichts von ſeinen Kenn-Zeichen und Ampts-Wercken/ wel- ches ihnen Chriſtus vorgeworffen: Jhr Heuchler/ des Himmels Geſtalt koͤnnet ihr urtheilen/ koͤnnet ihr dann nicht auch die Zeichen dieſer Zeit urtheilen? Matth. 16, 3. Sie hielten dafuͤr/ der Meſſias werde ein Welt-Reich anrichten/ und weil ſie dergleichen an Chriſto nicht gefunden/ wolten ſie ihn nicht annehmen. Sie bochten auch auff ihre Primogenitur und Erſte Geburt/ daß ſie GOttes Erb-Volck/ ſein Eigenthum/ ſein Außerwehltes Volck ſeyen/ denen das Goͤttliche Ge- ſetz zu verwahren anvertrauet worden/ darum koͤnne es ihnen nicht fehlen. Sie trotzen auff ihre ſtrenge obedienz und hartes Orden-Leben; auff ihre gute Wercke und Bußen/ die ſie ihnen ſelbs gauffleten/ wie wir uͤber acht tag vernehmen werden. Sie wußten nichts/ welches erſchroͤcklich/ von der Widergeburt/ daß der Menſch Fleiſch vom Fleiſch/ und wann er gleich alles thue/ ſo gefalle es doch Gott nicht ohne die Widergēburt. Alſo daß Nicodemus der Meiſter in Jſrael in dieſem Stuck ein pur lauteres Kind geweßt/ Joh. 3. und davon nicht das geringſte verſtanden. Dazu dann auch gekommen die Verblendung und die Verſtockung; unangeſehen der himmliſche Vater ihnen ſeinen Sohn geſchicket/ ſeine Vocation, Beruff mit himmliſcher Stimme und kraͤfftigen Wundern verſiegelt und be- kraͤfftiget/ ſie auch ſelbs ἀυτοκατάκριτοι in ihrem Gewiſſen uͤberzeuͤgt ge- weßt/ T iij

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 10. Straßburg, 1673, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus10_1673/167>, abgerufen am 28.11.2024.