Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Capitel.
es besser um das Reich, heutzutage, da ihr verpurpurt
und vergoldet seyd, mit Steinen aus barbarischen Bergen
und Meeren vom Haupte bis zur Sohle besetzt, gegürtet,
geschnallt, bepolstert, wie Pfauen strahlend in steinernen
Röcken, die bei Homer eine Verwünschung sind, und doch
wie Eidechsen nie aus eurer Höhle hervorgehet, -- oder
damahls als Sonnenverbrannte das Heer führten? Der
kriegerische Herrscher allein vermag auch der wahrhaft fried-
liche zu seyn. Ihr vermeidet den Namen König (in
Athen zur Zeit der Volksfreiheit ein kleines verantwort-
liches Amt) und nennet euch nie mit diesem Namen als
einem verhaßten, weder gegen eine Stadt, noch einen
Privatmann, noch einen barbarischen Fürsten, ihr nennt
euch Imperatoren, aber das bedeutet einen Feldherrn. Mit
Unrecht meidet ihr das Königthum, welches Platon eine
Gottesgabe für die Menschheit heißt. Das ist es auch,
wenn das Königthum nicht aus dem Verborgenen schreck-
haft dann und wann hervorbricht, sondern geräuschlos und
gleichmäßig, wie die Gottheit, die menschlichen Dinge ordnet,
jedem zutheilend, wessen er empfänglich ist. Wird denn die
Sonne verachtet, weil sie sich blicken läßt? Soll das längst
zur Geburt drängende letzte Geschick des Römischen Reiches
nicht hereinbrechen, so muß Gott und ein König helfen"1).

Allein der Fortgang seiner Rede zeigt, daß für das
Königthum auch das Volk schon fehlte, das will sagen,
ein mit Nothwendigkeit zusammengehöriges Menschenwesen,
ein Gemeinwesen der Gesinnung. Wo weder das Zu-
sammengewachsene mehr ist, noch das in Eins Gebildete,
da bleibt bloß eine Bevölkerung übrig, die, jeder ersinn-
lichen Form fähig, keiner durch ihr Wesen angehört.

1) dei theou kai basileos epi ta pragmata. p. 21. der Rede des
Synesius über das Königthum in der Petavischen Ausgabe von
1612. Vgl. sonst pp. 6. 13. 16. 19-21.

Zweites Capitel.
es beſſer um das Reich, heutzutage, da ihr verpurpurt
und vergoldet ſeyd, mit Steinen aus barbariſchen Bergen
und Meeren vom Haupte bis zur Sohle beſetzt, geguͤrtet,
geſchnallt, bepolſtert, wie Pfauen ſtrahlend in ſteinernen
Roͤcken, die bei Homer eine Verwuͤnſchung ſind, und doch
wie Eidechſen nie aus eurer Hoͤhle hervorgehet, — oder
damahls als Sonnenverbrannte das Heer fuͤhrten? Der
kriegeriſche Herrſcher allein vermag auch der wahrhaft fried-
liche zu ſeyn. Ihr vermeidet den Namen Koͤnig (in
Athen zur Zeit der Volksfreiheit ein kleines verantwort-
liches Amt) und nennet euch nie mit dieſem Namen als
einem verhaßten, weder gegen eine Stadt, noch einen
Privatmann, noch einen barbariſchen Fuͤrſten, ihr nennt
euch Imperatoren, aber das bedeutet einen Feldherrn. Mit
Unrecht meidet ihr das Koͤnigthum, welches Platon eine
Gottesgabe fuͤr die Menſchheit heißt. Das iſt es auch,
wenn das Koͤnigthum nicht aus dem Verborgenen ſchreck-
haft dann und wann hervorbricht, ſondern geraͤuſchlos und
gleichmaͤßig, wie die Gottheit, die menſchlichen Dinge ordnet,
jedem zutheilend, weſſen er empfaͤnglich iſt. Wird denn die
Sonne verachtet, weil ſie ſich blicken laͤßt? Soll das laͤngſt
zur Geburt draͤngende letzte Geſchick des Roͤmiſchen Reiches
nicht hereinbrechen, ſo muß Gott und ein Koͤnig helfen“1).

Allein der Fortgang ſeiner Rede zeigt, daß fuͤr das
Koͤnigthum auch das Volk ſchon fehlte, das will ſagen,
ein mit Nothwendigkeit zuſammengehoͤriges Menſchenweſen,
ein Gemeinweſen der Geſinnung. Wo weder das Zu-
ſammengewachſene mehr iſt, noch das in Eins Gebildete,
da bleibt bloß eine Bevoͤlkerung uͤbrig, die, jeder erſinn-
lichen Form faͤhig, keiner durch ihr Weſen angehoͤrt.

1) δεῖ ϑεοῦ καὶ βασιλέως ἐπὶ τὰ πϱάγματα. p. 21. der Rede des
Syneſius uͤber das Koͤnigthum in der Petaviſchen Ausgabe von
1612. Vgl. ſonſt pp. 6. 13. 16. 19‒21.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0062" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/>
es be&#x017F;&#x017F;er um das Reich, heutzutage, da ihr verpurpurt<lb/>
und vergoldet &#x017F;eyd, mit Steinen aus barbari&#x017F;chen Bergen<lb/>
und Meeren vom Haupte bis zur Sohle be&#x017F;etzt, gegu&#x0364;rtet,<lb/>
ge&#x017F;chnallt, bepol&#x017F;tert, wie Pfauen &#x017F;trahlend in &#x017F;teinernen<lb/>
Ro&#x0364;cken, die bei Homer eine Verwu&#x0364;n&#x017F;chung &#x017F;ind, und doch<lb/>
wie Eidech&#x017F;en nie aus eurer Ho&#x0364;hle hervorgehet, &#x2014; oder<lb/>
damahls als Sonnenverbrannte das Heer fu&#x0364;hrten? Der<lb/>
kriegeri&#x017F;che Herr&#x017F;cher allein vermag auch der wahrhaft fried-<lb/>
liche zu &#x017F;eyn. Ihr vermeidet den Namen <hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig</hi> (in<lb/>
Athen zur Zeit der Volksfreiheit ein kleines verantwort-<lb/>
liches Amt) und nennet euch nie mit die&#x017F;em Namen als<lb/>
einem verhaßten, weder gegen eine Stadt, noch einen<lb/>
Privatmann, noch einen barbari&#x017F;chen Fu&#x0364;r&#x017F;ten, ihr nennt<lb/>
euch Imperatoren, aber das bedeutet einen Feldherrn. Mit<lb/>
Unrecht meidet ihr das Ko&#x0364;nigthum, welches Platon eine<lb/>
Gottesgabe fu&#x0364;r die Men&#x017F;chheit heißt. Das i&#x017F;t es auch,<lb/>
wenn das Ko&#x0364;nigthum nicht aus dem Verborgenen &#x017F;chreck-<lb/>
haft dann und wann hervorbricht, &#x017F;ondern gera&#x0364;u&#x017F;chlos und<lb/>
gleichma&#x0364;ßig, wie die Gottheit, die men&#x017F;chlichen Dinge ordnet,<lb/>
jedem zutheilend, we&#x017F;&#x017F;en er empfa&#x0364;nglich i&#x017F;t. Wird denn die<lb/>
Sonne verachtet, weil &#x017F;ie &#x017F;ich blicken la&#x0364;ßt? Soll das la&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
zur Geburt dra&#x0364;ngende letzte Ge&#x017F;chick des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Reiches<lb/>
nicht hereinbrechen, &#x017F;o muß Gott und ein Ko&#x0364;nig helfen&#x201C;<hi rendition="#sup">1</hi>).</p><lb/>
              <p>Allein der Fortgang &#x017F;einer Rede zeigt, daß fu&#x0364;r das<lb/>
Ko&#x0364;nigthum auch das Volk &#x017F;chon fehlte, das will &#x017F;agen,<lb/>
ein mit Nothwendigkeit zu&#x017F;ammengeho&#x0364;riges Men&#x017F;chenwe&#x017F;en,<lb/>
ein Gemeinwe&#x017F;en der Ge&#x017F;innung. Wo weder das Zu-<lb/>
&#x017F;ammengewach&#x017F;ene mehr i&#x017F;t, noch das in Eins Gebildete,<lb/>
da bleibt bloß eine Bevo&#x0364;lkerung u&#x0364;brig, die, jeder er&#x017F;inn-<lb/>
lichen Form fa&#x0364;hig, keiner durch ihr We&#x017F;en angeho&#x0364;rt.</p><lb/>
              <note place="end" n="1)">&#x03B4;&#x03B5;&#x1FD6; &#x03D1;&#x03B5;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03B2;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BB;&#x03AD;&#x03C9;&#x03C2; &#x1F10;&#x03C0;&#x1F76; &#x03C4;&#x1F70; &#x03C0;&#x03F1;&#x03AC;&#x03B3;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1;. <hi rendition="#aq">p.</hi> 21. der Rede des<lb/>
Syne&#x017F;ius u&#x0364;ber das Ko&#x0364;nigthum in der Petavi&#x017F;chen Ausgabe von<lb/>
1612. Vgl. &#x017F;on&#x017F;t <hi rendition="#aq">pp.</hi> 6. 13. 16. 19&#x2012;21.</note><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0062] Zweites Capitel. es beſſer um das Reich, heutzutage, da ihr verpurpurt und vergoldet ſeyd, mit Steinen aus barbariſchen Bergen und Meeren vom Haupte bis zur Sohle beſetzt, geguͤrtet, geſchnallt, bepolſtert, wie Pfauen ſtrahlend in ſteinernen Roͤcken, die bei Homer eine Verwuͤnſchung ſind, und doch wie Eidechſen nie aus eurer Hoͤhle hervorgehet, — oder damahls als Sonnenverbrannte das Heer fuͤhrten? Der kriegeriſche Herrſcher allein vermag auch der wahrhaft fried- liche zu ſeyn. Ihr vermeidet den Namen Koͤnig (in Athen zur Zeit der Volksfreiheit ein kleines verantwort- liches Amt) und nennet euch nie mit dieſem Namen als einem verhaßten, weder gegen eine Stadt, noch einen Privatmann, noch einen barbariſchen Fuͤrſten, ihr nennt euch Imperatoren, aber das bedeutet einen Feldherrn. Mit Unrecht meidet ihr das Koͤnigthum, welches Platon eine Gottesgabe fuͤr die Menſchheit heißt. Das iſt es auch, wenn das Koͤnigthum nicht aus dem Verborgenen ſchreck- haft dann und wann hervorbricht, ſondern geraͤuſchlos und gleichmaͤßig, wie die Gottheit, die menſchlichen Dinge ordnet, jedem zutheilend, weſſen er empfaͤnglich iſt. Wird denn die Sonne verachtet, weil ſie ſich blicken laͤßt? Soll das laͤngſt zur Geburt draͤngende letzte Geſchick des Roͤmiſchen Reiches nicht hereinbrechen, ſo muß Gott und ein Koͤnig helfen“1). Allein der Fortgang ſeiner Rede zeigt, daß fuͤr das Koͤnigthum auch das Volk ſchon fehlte, das will ſagen, ein mit Nothwendigkeit zuſammengehoͤriges Menſchenweſen, ein Gemeinweſen der Geſinnung. Wo weder das Zu- ſammengewachſene mehr iſt, noch das in Eins Gebildete, da bleibt bloß eine Bevoͤlkerung uͤbrig, die, jeder erſinn- lichen Form faͤhig, keiner durch ihr Weſen angehoͤrt. ¹⁾ δεῖ ϑεοῦ καὶ βασιλέως ἐπὶ τὰ πϱάγματα. p. 21. der Rede des Syneſius uͤber das Koͤnigthum in der Petaviſchen Ausgabe von 1612. Vgl. ſonſt pp. 6. 13. 16. 19‒21.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/62
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/62>, abgerufen am 25.11.2024.