Menschenalter wird es der allgemeine Sinn des Volks". So glaubt noch heute die Mehrzahl alles Andere lernen zu müssen nur nicht die Politik, jeden Fall der Politik aber nach dem Lichte der Natur entscheiden zu können. Das Michaelische Buch (denn der Verfasser hat sich doch vor dem vierten Bande dazu bekannt, nachdem er vorher seine Verfasserschaft in dem Grade verheimlicht hat, daß er selbst in der Vorrede zum dritten Bande seinen Tod vom Verleger beklagen läßt) ist übrigens voll von hellen Blicken in das innere Gebiet des Universitätswesens und enthält manche seitdem glücklich erfüllte Weissagung. Wir führen eine an: "Auf welche Deutsche Universität würde ich Den hinweisen, der von seiner Muttersprache die ältern Dialek- ten so wollte kennen lernen, als es zum Verstande aller Denk- mähler, und zur gelehrten Kenntniß unserer eigenen Sprachen nöthig ist? z. E. der die Gothische Sprache, die man in der Nordischen Geschichte gebraucht, lernen, und etwa ein Collegium über die Reste des Ulphilas hören wollte?"
Der mehrmahls in Anregung gekommenen Verlegung unserer Universitäten in die Hauptstädte steht entgegen 1) die verführerische Genußsucht der Hauptstädte; 2) die unaus- bleibliche Verwendung der praktischen Talente zu öffentlichen Geschäften aller Art, dadurch Verwandlung des Lehrberufes, der den ganzen Mann will, in ein Nebengeschäft; 3) der zu unmittelbare Einfluß der Regierungsansichten auf die Freiheit des Lehrvortrages; 4) die zu unmittelbare Berührung der Höchstgestellten mit einzelnen Excessen der akademischen Frei- heit *), die nie ausgeblieben sind, nie ausbleiben werden; 5) der nachtheilige Einfluß einer großen Zahl nichtstudi- render Zuhörer auf die Wissenschaftlichkeit solcher Vorträge, welche auf den zugänglicheren Gebieten des Wissens be- schäftigt sind. Den meisten Eingang dürfen sich folgende Gegengründe versprechen: 6) die störende Nähe der hauptstädtischen Ständeversammlungen; 7) die schweren Kosten des Umzugs.
Vom Univerſitaͤtsweſen.
Menſchenalter wird es der allgemeine Sinn des Volks”. So glaubt noch heute die Mehrzahl alles Andere lernen zu muͤſſen nur nicht die Politik, jeden Fall der Politik aber nach dem Lichte der Natur entſcheiden zu koͤnnen. Das Michaeliſche Buch (denn der Verfaſſer hat ſich doch vor dem vierten Bande dazu bekannt, nachdem er vorher ſeine Verfaſſerſchaft in dem Grade verheimlicht hat, daß er ſelbſt in der Vorrede zum dritten Bande ſeinen Tod vom Verleger beklagen laͤßt) iſt uͤbrigens voll von hellen Blicken in das innere Gebiet des Univerſitaͤtsweſens und enthaͤlt manche ſeitdem gluͤcklich erfuͤllte Weiſſagung. Wir fuͤhren eine an: “Auf welche Deutſche Univerſitaͤt wuͤrde ich Den hinweiſen, der von ſeiner Mutterſprache die aͤltern Dialek- ten ſo wollte kennen lernen, als es zum Verſtande aller Denk- maͤhler, und zur gelehrten Kenntniß unſerer eigenen Sprachen noͤthig iſt? z. E. der die Gothiſche Sprache, die man in der Nordiſchen Geſchichte gebraucht, lernen, und etwa ein Collegium uͤber die Reſte des Ulphilas hoͤren wollte?”
Der mehrmahls in Anregung gekommenen Verlegung unſerer Univerſitaͤten in die Hauptſtaͤdte ſteht entgegen 1) die verfuͤhreriſche Genußſucht der Hauptſtaͤdte; 2) die unaus- bleibliche Verwendung der praktiſchen Talente zu oͤffentlichen Geſchaͤften aller Art, dadurch Verwandlung des Lehrberufes, der den ganzen Mann will, in ein Nebengeſchaͤft; 3) der zu unmittelbare Einfluß der Regierungsanſichten auf die Freiheit des Lehrvortrages; 4) die zu unmittelbare Beruͤhrung der Hoͤchſtgeſtellten mit einzelnen Exceſſen der akademiſchen Frei- heit *), die nie ausgeblieben ſind, nie ausbleiben werden; 5) der nachtheilige Einfluß einer großen Zahl nichtſtudi- render Zuhoͤrer auf die Wiſſenſchaftlichkeit ſolcher Vortraͤge, welche auf den zugaͤnglicheren Gebieten des Wiſſens be- ſchaͤftigt ſind. Den meiſten Eingang duͤrfen ſich folgende Gegengruͤnde verſprechen: 6) die ſtoͤrende Naͤhe der hauptſtaͤdtiſchen Staͤndeverſammlungen; 7) die ſchweren Koſten des Umzugs.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0307"n="295"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Vom Univerſitaͤtsweſen</hi>.</fw><lb/>
Menſchenalter wird es der allgemeine Sinn des Volks”. So<lb/>
glaubt noch heute die Mehrzahl alles Andere lernen zu muͤſſen<lb/>
nur nicht die Politik, jeden Fall der Politik aber nach dem<lb/>
Lichte der Natur entſcheiden zu koͤnnen. Das Michaeliſche Buch<lb/>
(denn der Verfaſſer hat ſich doch vor dem vierten Bande dazu<lb/>
bekannt, nachdem er vorher ſeine Verfaſſerſchaft in dem Grade<lb/>
verheimlicht hat, daß er ſelbſt in der Vorrede zum dritten<lb/>
Bande ſeinen Tod vom Verleger beklagen laͤßt) iſt uͤbrigens voll<lb/>
von hellen Blicken in das innere Gebiet des Univerſitaͤtsweſens<lb/>
und enthaͤlt manche ſeitdem gluͤcklich erfuͤllte Weiſſagung. Wir<lb/>
fuͤhren eine an: <cit><quote>“Auf welche Deutſche Univerſitaͤt wuͤrde ich<lb/><hirendition="#g">Den</hi> hinweiſen, der von ſeiner Mutterſprache die aͤltern Dialek-<lb/>
ten ſo wollte kennen lernen, als es zum Verſtande aller Denk-<lb/>
maͤhler, und zur gelehrten Kenntniß unſerer eigenen Sprachen<lb/>
noͤthig iſt? z. E. der die Gothiſche Sprache, die man in der<lb/>
Nordiſchen Geſchichte gebraucht, lernen, und etwa ein Collegium<lb/>
uͤber die Reſte des Ulphilas hoͤren wollte?”</quote></cit></hi></p><lb/><p>Der mehrmahls in Anregung gekommenen Verlegung<lb/>
unſerer Univerſitaͤten in die Hauptſtaͤdte ſteht entgegen 1) die<lb/>
verfuͤhreriſche Genußſucht der Hauptſtaͤdte; 2) die unaus-<lb/>
bleibliche Verwendung der praktiſchen Talente zu oͤffentlichen<lb/>
Geſchaͤften aller Art, dadurch Verwandlung des Lehrberufes,<lb/>
der den ganzen Mann will, in ein Nebengeſchaͤft; 3) der zu<lb/>
unmittelbare Einfluß der Regierungsanſichten auf die Freiheit<lb/>
des Lehrvortrages; 4) die zu unmittelbare Beruͤhrung der<lb/>
Hoͤchſtgeſtellten mit einzelnen Exceſſen der akademiſchen Frei-<lb/>
heit *), die nie ausgeblieben ſind, nie ausbleiben werden;<lb/>
5) der nachtheilige Einfluß einer großen Zahl nichtſtudi-<lb/>
render Zuhoͤrer auf die Wiſſenſchaftlichkeit ſolcher Vortraͤge,<lb/>
welche auf den zugaͤnglicheren Gebieten des Wiſſens be-<lb/>ſchaͤftigt ſind. Den meiſten Eingang duͤrfen ſich folgende<lb/>
Gegengruͤnde verſprechen: 6) die ſtoͤrende Naͤhe der<lb/>
hauptſtaͤdtiſchen Staͤndeverſammlungen; 7) die ſchweren<lb/>
Koſten des Umzugs.</p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[295/0307]
Vom Univerſitaͤtsweſen.
Menſchenalter wird es der allgemeine Sinn des Volks”. So
glaubt noch heute die Mehrzahl alles Andere lernen zu muͤſſen
nur nicht die Politik, jeden Fall der Politik aber nach dem
Lichte der Natur entſcheiden zu koͤnnen. Das Michaeliſche Buch
(denn der Verfaſſer hat ſich doch vor dem vierten Bande dazu
bekannt, nachdem er vorher ſeine Verfaſſerſchaft in dem Grade
verheimlicht hat, daß er ſelbſt in der Vorrede zum dritten
Bande ſeinen Tod vom Verleger beklagen laͤßt) iſt uͤbrigens voll
von hellen Blicken in das innere Gebiet des Univerſitaͤtsweſens
und enthaͤlt manche ſeitdem gluͤcklich erfuͤllte Weiſſagung. Wir
fuͤhren eine an: “Auf welche Deutſche Univerſitaͤt wuͤrde ich
Den hinweiſen, der von ſeiner Mutterſprache die aͤltern Dialek-
ten ſo wollte kennen lernen, als es zum Verſtande aller Denk-
maͤhler, und zur gelehrten Kenntniß unſerer eigenen Sprachen
noͤthig iſt? z. E. der die Gothiſche Sprache, die man in der
Nordiſchen Geſchichte gebraucht, lernen, und etwa ein Collegium
uͤber die Reſte des Ulphilas hoͤren wollte?”
Der mehrmahls in Anregung gekommenen Verlegung
unſerer Univerſitaͤten in die Hauptſtaͤdte ſteht entgegen 1) die
verfuͤhreriſche Genußſucht der Hauptſtaͤdte; 2) die unaus-
bleibliche Verwendung der praktiſchen Talente zu oͤffentlichen
Geſchaͤften aller Art, dadurch Verwandlung des Lehrberufes,
der den ganzen Mann will, in ein Nebengeſchaͤft; 3) der zu
unmittelbare Einfluß der Regierungsanſichten auf die Freiheit
des Lehrvortrages; 4) die zu unmittelbare Beruͤhrung der
Hoͤchſtgeſtellten mit einzelnen Exceſſen der akademiſchen Frei-
heit *), die nie ausgeblieben ſind, nie ausbleiben werden;
5) der nachtheilige Einfluß einer großen Zahl nichtſtudi-
render Zuhoͤrer auf die Wiſſenſchaftlichkeit ſolcher Vortraͤge,
welche auf den zugaͤnglicheren Gebieten des Wiſſens be-
ſchaͤftigt ſind. Den meiſten Eingang duͤrfen ſich folgende
Gegengruͤnde verſprechen: 6) die ſtoͤrende Naͤhe der
hauptſtaͤdtiſchen Staͤndeverſammlungen; 7) die ſchweren
Koſten des Umzugs.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/307>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.