Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Von d. Rechte d. Staates üb. Erzieh. u. Unterricht.
Bahnen sucht die Volksbildung zu brechen; ihr Zustand
giebt das Zeugniß ab für den Geist einer Nation. Wo
der Geist der Nation einen hohen Schwung nimmt, da
allein ist öffentliche Meinung und diese ist dann eine Macht,
ununterbrochen und mehr aus der Tiefe wirkend als alle
politischen Institutionen.

260. Auch Thiere warten ihre Jungen, bringen ih-
nen die Tradition der Gattung bei und der Mensch als
ein Höherer vermag sie abzurichten; der Mensch allein ist
von seines Gleichen erziehbar. Zu bilden ist an dem Men-
schen so lange er lebt, nur der werdende Mensch wird er-
zogen, durch Zucht, durch Lehre, durch Übung. Die Er-
ziehung umfaßt den ganzen, auch den körperlichen Men-
schen. "Es ist gefährlich die Seele zu üben und nicht
zugleich den Leib".

261. Wie der Staat aus der Familie entspringt, so
alle Menschenbildung aus der Ehe. Sie ist die Bedin-
gung von Allem was ein Volk gut und groß macht. Sie
schafft durch Erziehung Volksbildung, durch Hauswirth-
schaft Volkswirthschaft, Staatswirthschaft. Sie ist völlig
unterschieden von der regellosen Geschlechtsverbindung, die
wieder mit der Vielweiberei nicht einerlei ist; das Wort
Harem bedeutet schon das was abgeschlossen, nicht jeder-
mann zugänglich ist; die wahre Ehe aber ist ihrer Natur
nach einfach, zwischen einem Manne und einer Frau
mit freier Einwilligung beider Theile gestiftet. Durch sie
erwächst aus dem Zusammentritte von zwei verschiedenen
Häusern eine neue Familie; denn Heurath in naher Bluts-
freundschaft hat auch das gegen sich, daß sie ein früheres
Verhältniß zerrüttet, um ein neues unvollkommen zu be-

Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht.
Bahnen ſucht die Volksbildung zu brechen; ihr Zuſtand
giebt das Zeugniß ab fuͤr den Geiſt einer Nation. Wo
der Geiſt der Nation einen hohen Schwung nimmt, da
allein iſt oͤffentliche Meinung und dieſe iſt dann eine Macht,
ununterbrochen und mehr aus der Tiefe wirkend als alle
politiſchen Inſtitutionen.

260. Auch Thiere warten ihre Jungen, bringen ih-
nen die Tradition der Gattung bei und der Menſch als
ein Hoͤherer vermag ſie abzurichten; der Menſch allein iſt
von ſeines Gleichen erziehbar. Zu bilden iſt an dem Men-
ſchen ſo lange er lebt, nur der werdende Menſch wird er-
zogen, durch Zucht, durch Lehre, durch Übung. Die Er-
ziehung umfaßt den ganzen, auch den koͤrperlichen Men-
ſchen. “Es iſt gefaͤhrlich die Seele zu uͤben und nicht
zugleich den Leib”.

261. Wie der Staat aus der Familie entſpringt, ſo
alle Menſchenbildung aus der Ehe. Sie iſt die Bedin-
gung von Allem was ein Volk gut und groß macht. Sie
ſchafft durch Erziehung Volksbildung, durch Hauswirth-
ſchaft Volkswirthſchaft, Staatswirthſchaft. Sie iſt voͤllig
unterſchieden von der regelloſen Geſchlechtsverbindung, die
wieder mit der Vielweiberei nicht einerlei iſt; das Wort
Harem bedeutet ſchon das was abgeſchloſſen, nicht jeder-
mann zugaͤnglich iſt; die wahre Ehe aber iſt ihrer Natur
nach einfach, zwiſchen einem Manne und einer Frau
mit freier Einwilligung beider Theile geſtiftet. Durch ſie
erwaͤchſt aus dem Zuſammentritte von zwei verſchiedenen
Haͤuſern eine neue Familie; denn Heurath in naher Bluts-
freundſchaft hat auch das gegen ſich, daß ſie ein fruͤheres
Verhaͤltniß zerruͤttet, um ein neues unvollkommen zu be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0267" n="255"/><fw place="top" type="header">Von d. Rechte d. Staates u&#x0364;b. Erzieh. u. Unterricht.</fw><lb/>
Bahnen &#x017F;ucht die Volksbildung zu brechen; ihr Zu&#x017F;tand<lb/>
giebt das Zeugniß ab fu&#x0364;r den Gei&#x017F;t einer Nation. Wo<lb/>
der Gei&#x017F;t der Nation einen hohen Schwung nimmt, da<lb/>
allein i&#x017F;t o&#x0364;ffentliche Meinung und die&#x017F;e i&#x017F;t dann eine Macht,<lb/>
ununterbrochen und mehr aus der Tiefe wirkend als alle<lb/>
politi&#x017F;chen In&#x017F;titutionen.</p><lb/>
                <p>260. Auch Thiere warten ihre Jungen, bringen ih-<lb/>
nen die Tradition der Gattung bei und der Men&#x017F;ch als<lb/>
ein Ho&#x0364;herer vermag &#x017F;ie abzurichten; der Men&#x017F;ch allein i&#x017F;t<lb/>
von &#x017F;eines Gleichen erziehbar. Zu bilden i&#x017F;t an dem Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;o lange er lebt, nur der werdende Men&#x017F;ch wird er-<lb/>
zogen, durch Zucht, durch Lehre, durch Übung. Die Er-<lb/>
ziehung umfaßt den ganzen, auch den ko&#x0364;rperlichen Men-<lb/>
&#x017F;chen. &#x201C;Es i&#x017F;t gefa&#x0364;hrlich die Seele zu u&#x0364;ben und nicht<lb/>
zugleich den Leib&#x201D;.</p><lb/>
                <p>261. Wie der Staat aus der Familie ent&#x017F;pringt, &#x017F;o<lb/>
alle Men&#x017F;chenbildung aus der Ehe. Sie i&#x017F;t die Bedin-<lb/>
gung von Allem was ein Volk gut und groß macht. Sie<lb/>
&#x017F;chafft durch Erziehung Volksbildung, durch Hauswirth-<lb/>
&#x017F;chaft Volkswirth&#x017F;chaft, Staatswirth&#x017F;chaft. Sie i&#x017F;t vo&#x0364;llig<lb/>
unter&#x017F;chieden von der regello&#x017F;en Ge&#x017F;chlechtsverbindung, die<lb/>
wieder mit der Vielweiberei nicht einerlei i&#x017F;t; das Wort<lb/><hi rendition="#g">Harem</hi> bedeutet &#x017F;chon das was abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, nicht jeder-<lb/>
mann zuga&#x0364;nglich i&#x017F;t; die wahre Ehe aber i&#x017F;t ihrer Natur<lb/>
nach einfach, zwi&#x017F;chen <hi rendition="#g">einem</hi> Manne und <hi rendition="#g">einer</hi> Frau<lb/>
mit freier Einwilligung beider Theile ge&#x017F;tiftet. Durch &#x017F;ie<lb/>
erwa&#x0364;ch&#x017F;t aus dem Zu&#x017F;ammentritte von zwei ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;ern eine neue Familie; denn Heurath in naher Bluts-<lb/>
freund&#x017F;chaft hat auch das gegen &#x017F;ich, daß &#x017F;ie ein fru&#x0364;heres<lb/>
Verha&#x0364;ltniß zerru&#x0364;ttet, um ein neues unvollkommen zu be-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0267] Von d. Rechte d. Staates uͤb. Erzieh. u. Unterricht. Bahnen ſucht die Volksbildung zu brechen; ihr Zuſtand giebt das Zeugniß ab fuͤr den Geiſt einer Nation. Wo der Geiſt der Nation einen hohen Schwung nimmt, da allein iſt oͤffentliche Meinung und dieſe iſt dann eine Macht, ununterbrochen und mehr aus der Tiefe wirkend als alle politiſchen Inſtitutionen. 260. Auch Thiere warten ihre Jungen, bringen ih- nen die Tradition der Gattung bei und der Menſch als ein Hoͤherer vermag ſie abzurichten; der Menſch allein iſt von ſeines Gleichen erziehbar. Zu bilden iſt an dem Men- ſchen ſo lange er lebt, nur der werdende Menſch wird er- zogen, durch Zucht, durch Lehre, durch Übung. Die Er- ziehung umfaßt den ganzen, auch den koͤrperlichen Men- ſchen. “Es iſt gefaͤhrlich die Seele zu uͤben und nicht zugleich den Leib”. 261. Wie der Staat aus der Familie entſpringt, ſo alle Menſchenbildung aus der Ehe. Sie iſt die Bedin- gung von Allem was ein Volk gut und groß macht. Sie ſchafft durch Erziehung Volksbildung, durch Hauswirth- ſchaft Volkswirthſchaft, Staatswirthſchaft. Sie iſt voͤllig unterſchieden von der regelloſen Geſchlechtsverbindung, die wieder mit der Vielweiberei nicht einerlei iſt; das Wort Harem bedeutet ſchon das was abgeſchloſſen, nicht jeder- mann zugaͤnglich iſt; die wahre Ehe aber iſt ihrer Natur nach einfach, zwiſchen einem Manne und einer Frau mit freier Einwilligung beider Theile geſtiftet. Durch ſie erwaͤchſt aus dem Zuſammentritte von zwei verſchiedenen Haͤuſern eine neue Familie; denn Heurath in naher Bluts- freundſchaft hat auch das gegen ſich, daß ſie ein fruͤheres Verhaͤltniß zerruͤttet, um ein neues unvollkommen zu be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/267
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/267>, abgerufen am 23.11.2024.