Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Blick auf d. Systematik d. Staatswissensch. in großen Staaten durch Föderationen kleinerer Volksge-meinden zu ermäßigen ist. Doch misfallen große Staa- ten dem Genfer überhaupt. Ich verlange, spricht er, kleine Staaten. Niemahls aber können Erwählte des Volks das Volk repräsentiren; die Freiheit der Engländer ist daher ein bloßes Blendwerk; höchstens commissarisch können solche Deputirte verfahren, und was sie beschließen, bleibt stets der Bestätigung der souveränen Volksversamm- lung unterworfen. Nun ist zwar außer ihr eine Regie- rung nöthig, da das Volk in doppelter Gestalt sich dar- stellt, als Ganzes und dann als selbstregierender Souve- rän, und als eine Menge vieler Einzelnen und dann als Unterthan, mithin der Regierung bedürftig. Inzwischen tritt auch diese Regierung selbst dem Einzelnen gegenüber nicht an die Stelle des Souveräns, der aus sich selbst die Gewalt nimmt; sie ist bloß commissarisch, mit nicht so- wohl übertragener als bloß geliehener Gewalt, mithin durch Kündigung auch ohne weiteres vom Souverän wieder zu entfernen (destituer). Da nicht Alle zugleich regieren kön- nen, so ist es gut, wenn es wenige thun, am besten ein Einziger, nur darf er nicht erblich berechtigt seyn. 233. Der Gedanke an Volks-Souveränität ist Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch. in großen Staaten durch Foͤderationen kleinerer Volksge-meinden zu ermaͤßigen iſt. Doch misfallen große Staa- ten dem Genfer uͤberhaupt. Ich verlange, ſpricht er, kleine Staaten. Niemahls aber koͤnnen Erwaͤhlte des Volks das Volk repraͤſentiren; die Freiheit der Englaͤnder iſt daher ein bloßes Blendwerk; hoͤchſtens commiſſariſch koͤnnen ſolche Deputirte verfahren, und was ſie beſchließen, bleibt ſtets der Beſtaͤtigung der ſouveraͤnen Volksverſamm- lung unterworfen. Nun iſt zwar außer ihr eine Regie- rung noͤthig, da das Volk in doppelter Geſtalt ſich dar- ſtellt, als Ganzes und dann als ſelbſtregierender Souve- raͤn, und als eine Menge vieler Einzelnen und dann als Unterthan, mithin der Regierung beduͤrftig. Inzwiſchen tritt auch dieſe Regierung ſelbſt dem Einzelnen gegenuͤber nicht an die Stelle des Souveraͤns, der aus ſich ſelbſt die Gewalt nimmt; ſie iſt bloß commiſſariſch, mit nicht ſo- wohl uͤbertragener als bloß geliehener Gewalt, mithin durch Kuͤndigung auch ohne weiteres vom Souveraͤn wieder zu entfernen (destituer). Da nicht Alle zugleich regieren koͤn- nen, ſo iſt es gut, wenn es wenige thun, am beſten ein Einziger, nur darf er nicht erblich berechtigt ſeyn. 233. Der Gedanke an Volks-Souveraͤnitaͤt iſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0217" n="205"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch</hi>.</fw><lb/> in großen Staaten durch Foͤderationen kleinerer Volksge-<lb/> meinden zu ermaͤßigen iſt. Doch misfallen <hi rendition="#g">große</hi> Staa-<lb/> ten dem Genfer uͤberhaupt. Ich verlange, ſpricht er,<lb/><hi rendition="#g">kleine</hi> Staaten. Niemahls aber koͤnnen Erwaͤhlte des<lb/> Volks das Volk repraͤſentiren; die Freiheit der Englaͤnder<lb/> iſt daher ein bloßes Blendwerk; hoͤchſtens commiſſariſch<lb/> koͤnnen ſolche Deputirte verfahren, und was ſie beſchließen,<lb/> bleibt ſtets der Beſtaͤtigung der ſouveraͤnen Volksverſamm-<lb/> lung unterworfen. Nun iſt zwar außer ihr eine Regie-<lb/> rung noͤthig, da das Volk in doppelter Geſtalt ſich dar-<lb/> ſtellt, als Ganzes und dann als ſelbſtregierender Souve-<lb/> raͤn, und als eine Menge vieler Einzelnen und dann als<lb/> Unterthan, mithin der Regierung beduͤrftig. Inzwiſchen<lb/> tritt auch dieſe Regierung ſelbſt dem Einzelnen gegenuͤber<lb/> nicht an die Stelle des Souveraͤns, der aus ſich ſelbſt die<lb/> Gewalt nimmt; ſie iſt bloß commiſſariſch, mit nicht ſo-<lb/> wohl uͤbertragener als bloß geliehener Gewalt, mithin durch<lb/> Kuͤndigung auch ohne weiteres vom Souveraͤn wieder zu<lb/> entfernen (<hi rendition="#aq">destituer</hi>). Da nicht Alle zugleich regieren koͤn-<lb/> nen, ſo iſt es gut, wenn es wenige thun, am beſten ein<lb/> Einziger, nur darf er nicht erblich berechtigt ſeyn.</p><lb/> <p>233. Der Gedanke an <hi rendition="#g">Volks-Souveraͤnitaͤt</hi> iſt<lb/> wohl uralt. Es liegt ſo nahe anzunehmen, daß das Volk,<lb/> um deſſen willen regiert wird, das Recht habe die Regie-<lb/> rung zu aͤndern, die ihm nicht mehr zuſagt; es iſt klar,<lb/> daß es die Macht dazu hat und es iſt oft geſchehen. Außer-<lb/> dem glaubt der Einzelne gar leicht, daß die innere Unab-<lb/> haͤngigkeit, welcher er ſich als Vernunftweſen ruͤhmt, ihm<lb/> auch ein Recht auf Unabhaͤngigkeit nach Außen gebe und<lb/> wenn er inne wird, dem ſey nicht ſo, glaubt er doch, wenn<lb/> Recht nur goͤlte, muͤßte dem ſo ſeyn. Zur Doctrin aber<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [205/0217]
Blick auf d. Syſtematik d. Staatswiſſenſch.
in großen Staaten durch Foͤderationen kleinerer Volksge-
meinden zu ermaͤßigen iſt. Doch misfallen große Staa-
ten dem Genfer uͤberhaupt. Ich verlange, ſpricht er,
kleine Staaten. Niemahls aber koͤnnen Erwaͤhlte des
Volks das Volk repraͤſentiren; die Freiheit der Englaͤnder
iſt daher ein bloßes Blendwerk; hoͤchſtens commiſſariſch
koͤnnen ſolche Deputirte verfahren, und was ſie beſchließen,
bleibt ſtets der Beſtaͤtigung der ſouveraͤnen Volksverſamm-
lung unterworfen. Nun iſt zwar außer ihr eine Regie-
rung noͤthig, da das Volk in doppelter Geſtalt ſich dar-
ſtellt, als Ganzes und dann als ſelbſtregierender Souve-
raͤn, und als eine Menge vieler Einzelnen und dann als
Unterthan, mithin der Regierung beduͤrftig. Inzwiſchen
tritt auch dieſe Regierung ſelbſt dem Einzelnen gegenuͤber
nicht an die Stelle des Souveraͤns, der aus ſich ſelbſt die
Gewalt nimmt; ſie iſt bloß commiſſariſch, mit nicht ſo-
wohl uͤbertragener als bloß geliehener Gewalt, mithin durch
Kuͤndigung auch ohne weiteres vom Souveraͤn wieder zu
entfernen (destituer). Da nicht Alle zugleich regieren koͤn-
nen, ſo iſt es gut, wenn es wenige thun, am beſten ein
Einziger, nur darf er nicht erblich berechtigt ſeyn.
233. Der Gedanke an Volks-Souveraͤnitaͤt iſt
wohl uralt. Es liegt ſo nahe anzunehmen, daß das Volk,
um deſſen willen regiert wird, das Recht habe die Regie-
rung zu aͤndern, die ihm nicht mehr zuſagt; es iſt klar,
daß es die Macht dazu hat und es iſt oft geſchehen. Außer-
dem glaubt der Einzelne gar leicht, daß die innere Unab-
haͤngigkeit, welcher er ſich als Vernunftweſen ruͤhmt, ihm
auch ein Recht auf Unabhaͤngigkeit nach Außen gebe und
wenn er inne wird, dem ſey nicht ſo, glaubt er doch, wenn
Recht nur goͤlte, muͤßte dem ſo ſeyn. Zur Doctrin aber
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