Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Provinzial-Stände. nisse zu nothwendigen und eben darum streitigen machenmöchte. Bloß einzelne Urkunden hängen sich an ein sol- ches Verfassungsleben an, von bestimmten Verhältnissen zeugend, wie sie einmahl in Streit geriethen, hierauf ge- ändert oder verglichen wurden. So hat England das Be- dürfniß der Verzeichnung aller Verfassungsrechte in einer systematischen Urkunde bisher nie gekannt und selbst den großen Act der Aufnahme von Schottland und Irland in seinen Parlaments-Verband durch Schriften bestätigt, die eben nur das enthalten, was am Herkommen jetzt zu än- dern war; denn trotz aller politischen Stürme hat das Brittische Staatsschiff bis auf diesen Tag seine Bahn stets wieder gefunden. Anders mit Deutschland, dessen Reichs- verfassung als es eben an der Zeit war, jenem Staten- Staate des Mittelalters zu entwachsen, hoffnungslos im Zwiespalt erkrankte, dessen Territorial-Verfassungen starr geworden waren schon vor dem Untergange des Reichs, welches hierauf eine lange Fremden-Herrschaft zu erdul- den hatte, und nach deren Entfernung kein Reich wieder werden sollte, sondern werden was es nie zuvor gewesen, ein Bund von souveränen Deutschen Staaten, in welchen zum großen Theile Fürsten und Unterthanen sich einander als Fremde gegenüber standen. Hier mußte wie auf einer Brandstätte ein politischer Neubau unternommen werden. Er geschah in der Bundesacte, in den Verfassungsurkun- den der einzelnen Bundesstaaten. An diesen ist viel und mit Recht getadelt worden; das erstorbene Naturleben, die noch junge Kunst liegen nur zu klar am Tage; allein die Nothwendigkeit der Sache an sich selber wird allein von denen verkannt und mit den umwälzenden Neigungen der Zeit zusammengeworfen, welche überall in Deutschland unumschränkte Regierungen pflanzen möchten und den Provinzial-Staͤnde. niſſe zu nothwendigen und eben darum ſtreitigen machenmoͤchte. Bloß einzelne Urkunden haͤngen ſich an ein ſol- ches Verfaſſungsleben an, von beſtimmten Verhaͤltniſſen zeugend, wie ſie einmahl in Streit geriethen, hierauf ge- aͤndert oder verglichen wurden. So hat England das Be- duͤrfniß der Verzeichnung aller Verfaſſungsrechte in einer ſyſtematiſchen Urkunde bisher nie gekannt und ſelbſt den großen Act der Aufnahme von Schottland und Irland in ſeinen Parlaments-Verband durch Schriften beſtaͤtigt, die eben nur das enthalten, was am Herkommen jetzt zu aͤn- dern war; denn trotz aller politiſchen Stuͤrme hat das Brittiſche Staatsſchiff bis auf dieſen Tag ſeine Bahn ſtets wieder gefunden. Anders mit Deutſchland, deſſen Reichs- verfaſſung als es eben an der Zeit war, jenem Staten- Staate des Mittelalters zu entwachſen, hoffnungslos im Zwieſpalt erkrankte, deſſen Territorial-Verfaſſungen ſtarr geworden waren ſchon vor dem Untergange des Reichs, welches hierauf eine lange Fremden-Herrſchaft zu erdul- den hatte, und nach deren Entfernung kein Reich wieder werden ſollte, ſondern werden was es nie zuvor geweſen, ein Bund von ſouveraͤnen Deutſchen Staaten, in welchen zum großen Theile Fuͤrſten und Unterthanen ſich einander als Fremde gegenuͤber ſtanden. Hier mußte wie auf einer Brandſtaͤtte ein politiſcher Neubau unternommen werden. Er geſchah in der Bundesacte, in den Verfaſſungsurkun- den der einzelnen Bundesſtaaten. An dieſen iſt viel und mit Recht getadelt worden; das erſtorbene Naturleben, die noch junge Kunſt liegen nur zu klar am Tage; allein die Nothwendigkeit der Sache an ſich ſelber wird allein von denen verkannt und mit den umwaͤlzenden Neigungen der Zeit zuſammengeworfen, welche uͤberall in Deutſchland unumſchraͤnkte Regierungen pflanzen moͤchten und den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0171" n="159"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Provinzial-Staͤnde</hi>.</fw><lb/> niſſe zu nothwendigen und eben darum ſtreitigen machen<lb/> moͤchte. Bloß einzelne Urkunden haͤngen ſich an ein ſol-<lb/> ches Verfaſſungsleben an, von beſtimmten Verhaͤltniſſen<lb/> zeugend, wie ſie einmahl in Streit geriethen, hierauf ge-<lb/> aͤndert oder verglichen wurden. 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Provinzial-Staͤnde.
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moͤchte. Bloß einzelne Urkunden haͤngen ſich an ein ſol-
ches Verfaſſungsleben an, von beſtimmten Verhaͤltniſſen
zeugend, wie ſie einmahl in Streit geriethen, hierauf ge-
aͤndert oder verglichen wurden. So hat England das Be-
duͤrfniß der Verzeichnung aller Verfaſſungsrechte in einer
ſyſtematiſchen Urkunde bisher nie gekannt und ſelbſt den
großen Act der Aufnahme von Schottland und Irland in
ſeinen Parlaments-Verband durch Schriften beſtaͤtigt, die
eben nur das enthalten, was am Herkommen jetzt zu aͤn-
dern war; denn trotz aller politiſchen Stuͤrme hat das
Brittiſche Staatsſchiff bis auf dieſen Tag ſeine Bahn ſtets
wieder gefunden. Anders mit Deutſchland, deſſen Reichs-
verfaſſung als es eben an der Zeit war, jenem Staten-
Staate des Mittelalters zu entwachſen, hoffnungslos im
Zwieſpalt erkrankte, deſſen Territorial-Verfaſſungen ſtarr
geworden waren ſchon vor dem Untergange des Reichs,
welches hierauf eine lange Fremden-Herrſchaft zu erdul-
den hatte, und nach deren Entfernung kein Reich wieder
werden ſollte, ſondern werden was es nie zuvor geweſen,
ein Bund von ſouveraͤnen Deutſchen Staaten, in welchen
zum großen Theile Fuͤrſten und Unterthanen ſich einander
als Fremde gegenuͤber ſtanden. Hier mußte wie auf einer
Brandſtaͤtte ein politiſcher Neubau unternommen werden.
Er geſchah in der Bundesacte, in den Verfaſſungsurkun-
den der einzelnen Bundesſtaaten. An dieſen iſt viel und
mit Recht getadelt worden; das erſtorbene Naturleben, die
noch junge Kunſt liegen nur zu klar am Tage; allein die
Nothwendigkeit der Sache an ſich ſelber wird allein von
denen verkannt und mit den umwaͤlzenden Neigungen der
Zeit zuſammengeworfen, welche uͤberall in Deutſchland
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