führen; eine Verfassung trägt nicht ungestraft den Charak- ter despotischer Erinnerungen an sich; eine solche schafft Despoten.
181. Jeder Kammer für sich gebührt das Recht durch eine Adresse ihre Gesinnungen und Wünsche gegen den König oder die Regierung auszusprechen. Sie bildet die Physiognomie der Versammlung ab. Glücklich wenn beide Kammern in der Adresse einig zu seyn vermögen, aber sie zur Einheit zusammenzwingen, führt wo nicht zur Unbe- deutendheit, so zur Lüge. Alle Anträge dahingegen, welche geradezu eine rechtliche Folge beabsichtigen, müssen von der Ständeversammlung als solcher ausgehn.
182. Weder eine einzelne Kammer, noch die Stände- versammlung hat das Recht Erklärungen oder Rechtsver- wahrungen an das Volk oder an die Landesbehörden zu richten. Sie steht allein in unmittelbarem Verhältniß zur höchsten Regierungs- und Verwaltungs-Behörde und alle ständischen Mittheilungen gehen durch diese. Hiervon sind allein die Antworten auf Bittschriften ausgenommen.
183. Jeder Landstand hat das Recht einer unverhoh- lenen Opposition; er kann seine Treue so gut im Nein als im Ja bewähren. Aber eben weil Wahrheit sein Ziel ist, verwirft er die systematische Opposition (von der man auch in England als von einer Maasregel der noch in der Partheiung befangenen, ungeläuterten Verfassung zurück- zukommen anfängt), hilft keine Parthey von Ja oder Nein bilden, sondern stimmt wie die Sache es jedes Mahl von seiner Überzeugung fordert -- measures, not men, so lange nur irgend thunlich.
Sechstes Capitel.
fuͤhren; eine Verfaſſung traͤgt nicht ungeſtraft den Charak- ter despotiſcher Erinnerungen an ſich; eine ſolche ſchafft Despoten.
181. Jeder Kammer fuͤr ſich gebuͤhrt das Recht durch eine Adreſſe ihre Geſinnungen und Wuͤnſche gegen den Koͤnig oder die Regierung auszuſprechen. Sie bildet die Phyſiognomie der Verſammlung ab. Gluͤcklich wenn beide Kammern in der Adreſſe einig zu ſeyn vermoͤgen, aber ſie zur Einheit zuſammenzwingen, fuͤhrt wo nicht zur Unbe- deutendheit, ſo zur Luͤge. Alle Antraͤge dahingegen, welche geradezu eine rechtliche Folge beabſichtigen, muͤſſen von der Staͤndeverſammlung als ſolcher ausgehn.
182. Weder eine einzelne Kammer, noch die Staͤnde- verſammlung hat das Recht Erklaͤrungen oder Rechtsver- wahrungen an das Volk oder an die Landesbehoͤrden zu richten. Sie ſteht allein in unmittelbarem Verhaͤltniß zur hoͤchſten Regierungs- und Verwaltungs-Behoͤrde und alle ſtaͤndiſchen Mittheilungen gehen durch dieſe. Hiervon ſind allein die Antworten auf Bittſchriften ausgenommen.
183. Jeder Landſtand hat das Recht einer unverhoh- lenen Oppoſition; er kann ſeine Treue ſo gut im Nein als im Ja bewaͤhren. Aber eben weil Wahrheit ſein Ziel iſt, verwirft er die ſyſtematiſche Oppoſition (von der man auch in England als von einer Maasregel der noch in der Partheiung befangenen, ungelaͤuterten Verfaſſung zuruͤck- zukommen anfaͤngt), hilft keine Parthey von Ja oder Nein bilden, ſondern ſtimmt wie die Sache es jedes Mahl von ſeiner Überzeugung fordert — measures, not men, ſo lange nur irgend thunlich.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0164"n="152"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Sechstes Capitel</hi>.</fw><lb/>
fuͤhren; eine Verfaſſung traͤgt nicht ungeſtraft den Charak-<lb/>
ter despotiſcher Erinnerungen an ſich; eine ſolche ſchafft<lb/>
Despoten.</p><lb/><p>181. Jeder Kammer fuͤr ſich gebuͤhrt das Recht durch<lb/>
eine Adreſſe ihre Geſinnungen und Wuͤnſche gegen den<lb/>
Koͤnig oder die Regierung auszuſprechen. Sie bildet die<lb/>
Phyſiognomie der Verſammlung ab. Gluͤcklich wenn beide<lb/>
Kammern in der Adreſſe einig zu ſeyn vermoͤgen, aber ſie<lb/>
zur Einheit zuſammenzwingen, fuͤhrt wo nicht zur Unbe-<lb/>
deutendheit, ſo zur Luͤge. Alle Antraͤge dahingegen, welche<lb/>
geradezu eine rechtliche Folge beabſichtigen, muͤſſen von der<lb/>
Staͤndeverſammlung als ſolcher ausgehn.</p><lb/><p>182. Weder eine einzelne Kammer, noch die Staͤnde-<lb/>
verſammlung hat das Recht Erklaͤrungen oder Rechtsver-<lb/>
wahrungen an das Volk oder an die Landesbehoͤrden zu<lb/>
richten. Sie ſteht allein in unmittelbarem Verhaͤltniß zur<lb/>
hoͤchſten Regierungs- und Verwaltungs-Behoͤrde und alle<lb/>ſtaͤndiſchen Mittheilungen gehen durch dieſe. Hiervon ſind<lb/>
allein die Antworten auf Bittſchriften ausgenommen.</p><lb/><p>183. Jeder Landſtand hat das Recht einer unverhoh-<lb/>
lenen Oppoſition; er kann ſeine Treue ſo gut im Nein<lb/>
als im Ja bewaͤhren. Aber eben weil Wahrheit ſein Ziel<lb/>
iſt, verwirft er die ſyſtematiſche Oppoſition (von der man<lb/>
auch in England als von einer Maasregel der noch in der<lb/>
Partheiung befangenen, ungelaͤuterten Verfaſſung zuruͤck-<lb/>
zukommen anfaͤngt), hilft keine Parthey von Ja oder<lb/>
Nein bilden, ſondern ſtimmt wie die Sache es jedes Mahl<lb/>
von ſeiner Überzeugung fordert —<hirendition="#aq">measures, not men,</hi><lb/>ſo lange nur irgend thunlich.</p><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[152/0164]
Sechstes Capitel.
fuͤhren; eine Verfaſſung traͤgt nicht ungeſtraft den Charak-
ter despotiſcher Erinnerungen an ſich; eine ſolche ſchafft
Despoten.
181. Jeder Kammer fuͤr ſich gebuͤhrt das Recht durch
eine Adreſſe ihre Geſinnungen und Wuͤnſche gegen den
Koͤnig oder die Regierung auszuſprechen. Sie bildet die
Phyſiognomie der Verſammlung ab. Gluͤcklich wenn beide
Kammern in der Adreſſe einig zu ſeyn vermoͤgen, aber ſie
zur Einheit zuſammenzwingen, fuͤhrt wo nicht zur Unbe-
deutendheit, ſo zur Luͤge. Alle Antraͤge dahingegen, welche
geradezu eine rechtliche Folge beabſichtigen, muͤſſen von der
Staͤndeverſammlung als ſolcher ausgehn.
182. Weder eine einzelne Kammer, noch die Staͤnde-
verſammlung hat das Recht Erklaͤrungen oder Rechtsver-
wahrungen an das Volk oder an die Landesbehoͤrden zu
richten. Sie ſteht allein in unmittelbarem Verhaͤltniß zur
hoͤchſten Regierungs- und Verwaltungs-Behoͤrde und alle
ſtaͤndiſchen Mittheilungen gehen durch dieſe. Hiervon ſind
allein die Antworten auf Bittſchriften ausgenommen.
183. Jeder Landſtand hat das Recht einer unverhoh-
lenen Oppoſition; er kann ſeine Treue ſo gut im Nein
als im Ja bewaͤhren. Aber eben weil Wahrheit ſein Ziel
iſt, verwirft er die ſyſtematiſche Oppoſition (von der man
auch in England als von einer Maasregel der noch in der
Partheiung befangenen, ungelaͤuterten Verfaſſung zuruͤck-
zukommen anfaͤngt), hilft keine Parthey von Ja oder
Nein bilden, ſondern ſtimmt wie die Sache es jedes Mahl
von ſeiner Überzeugung fordert — measures, not men,
ſo lange nur irgend thunlich.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/164>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.