Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

geize noch seiner Bildung, er that den Kaufmann ab,1772.
lebte fortan als Geschäftsträger von Genf und Millionär
in Paris, und wie er schon früher sich schriftstellerisch im
Fache der Staatswirthschaft versucht und durch seine Lob-
rede auf Colbert selbst einen Preis der Akademie gewonnen
hatte, so trat er nun dem Minister Turgot mit einer Schrift
über die Korngesetzgebung entgegen. Turgot, immer groß1775.
gesinnt, ließ den Schriftsteller frei walten, der ihm seine
Laufbahn erschweren wollte, indem er in dem praktischen
Staatsmanne ein System bekämpfte, mochte von einem
Verbote des Buches nichts wissen. Lag es doch jedermann
vor Augen, daß die Maßregeln Turgots für die Befreiung
des Getraidehandels im Innern keineswegs die Ausfuhr
aus dem Reiche freigaben, und wer Galiani's Dialogen
über den Getraidehandel kannte, wußte auch daß in die-
sen schon fünf Jahre früher mit überlegener Meisterschaft
Alles das entwickelt war, was sich an Bedenken gegen die
unbedingte Freiheit der Ausfuhr aufstellen läßt. Aber
Neckers Ruf wuchs eben durch diese klug gewählte Gegner-
schaft und wenig Monate nach dem Sturze Turgots erhielt
er eine Anstellung in den Finanzen, zuerst als Director1776. Oct.
des Schatzes, dann als Generaldirector der Finanzen;1777. Jun.
denn daß ein Ausländer, ein Protestant und ein vorma-
liger Banquier, nicht von Familie, Finanzminister hieße
wollte sich nicht schicken. Gleichwohl sollte er der Minister
seyn, und es war daher eine keineswegs unbedeutende
Kleinigkeit daß ihm der mangelnde Titel eines Controleur-

6*

geize noch ſeiner Bildung, er that den Kaufmann ab,1772.
lebte fortan als Geſchäftsträger von Genf und Millionär
in Paris, und wie er ſchon früher ſich ſchriftſtelleriſch im
Fache der Staatswirthſchaft verſucht und durch ſeine Lob-
rede auf Colbert ſelbſt einen Preis der Akademie gewonnen
hatte, ſo trat er nun dem Miniſter Turgot mit einer Schrift
über die Korngeſetzgebung entgegen. Turgot, immer groß1775.
geſinnt, ließ den Schriftſteller frei walten, der ihm ſeine
Laufbahn erſchweren wollte, indem er in dem praktiſchen
Staatsmanne ein Syſtem bekämpfte, mochte von einem
Verbote des Buches nichts wiſſen. Lag es doch jedermann
vor Augen, daß die Maßregeln Turgots für die Befreiung
des Getraidehandels im Innern keineswegs die Ausfuhr
aus dem Reiche freigaben, und wer Galiani’s Dialogen
über den Getraidehandel kannte, wußte auch daß in die-
ſen ſchon fünf Jahre früher mit überlegener Meiſterſchaft
Alles das entwickelt war, was ſich an Bedenken gegen die
unbedingte Freiheit der Ausfuhr aufſtellen läßt. Aber
Neckers Ruf wuchs eben durch dieſe klug gewählte Gegner-
ſchaft und wenig Monate nach dem Sturze Turgots erhielt
er eine Anſtellung in den Finanzen, zuerſt als Director1776. Oct.
des Schatzes, dann als Generaldirector der Finanzen;1777. Jun.
denn daß ein Ausländer, ein Proteſtant und ein vorma-
liger Banquier, nicht von Familie, Finanzminiſter hieße
wollte ſich nicht ſchicken. Gleichwohl ſollte er der Miniſter
ſeyn, und es war daher eine keineswegs unbedeutende
Kleinigkeit daß ihm der mangelnde Titel eines Controleur-

6*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0093" n="83"/>
geize noch &#x017F;einer Bildung, er that den Kaufmann ab,<note place="right">1772.</note><lb/>
lebte fortan als Ge&#x017F;chäftsträger von Genf und Millionär<lb/>
in Paris, und wie er &#x017F;chon früher &#x017F;ich &#x017F;chrift&#x017F;telleri&#x017F;ch im<lb/>
Fache der Staatswirth&#x017F;chaft ver&#x017F;ucht und durch &#x017F;eine Lob-<lb/>
rede auf Colbert &#x017F;elb&#x017F;t einen Preis der Akademie gewonnen<lb/>
hatte, &#x017F;o trat er nun dem Mini&#x017F;ter Turgot mit einer Schrift<lb/>
über die Kornge&#x017F;etzgebung entgegen. Turgot, immer groß<note place="right">1775.</note><lb/>
ge&#x017F;innt, ließ den Schrift&#x017F;teller frei walten, der ihm &#x017F;eine<lb/>
Laufbahn er&#x017F;chweren wollte, indem er in dem prakti&#x017F;chen<lb/>
Staatsmanne ein Sy&#x017F;tem bekämpfte, mochte von einem<lb/>
Verbote des Buches nichts wi&#x017F;&#x017F;en. Lag es doch jedermann<lb/>
vor Augen, daß die Maßregeln Turgots für die Befreiung<lb/>
des Getraidehandels im Innern keineswegs die Ausfuhr<lb/>
aus dem Reiche freigaben, und wer Galiani&#x2019;s Dialogen<lb/>
über den Getraidehandel kannte, wußte auch daß in die-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;chon fünf Jahre früher mit überlegener Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft<lb/>
Alles das entwickelt war, was &#x017F;ich an Bedenken gegen die<lb/>
unbedingte Freiheit der Ausfuhr auf&#x017F;tellen läßt. Aber<lb/>
Neckers Ruf wuchs eben durch die&#x017F;e klug gewählte Gegner-<lb/>
&#x017F;chaft und wenig Monate nach dem Sturze Turgots erhielt<lb/>
er eine An&#x017F;tellung in den Finanzen, zuer&#x017F;t als Director<note place="right">1776. Oct.</note><lb/>
des Schatzes, dann als Generaldirector der Finanzen;<note place="right">1777. Jun.</note><lb/>
denn daß ein Ausländer, ein Prote&#x017F;tant und ein vorma-<lb/>
liger Banquier, nicht von Familie, Finanzmini&#x017F;ter hieße<lb/>
wollte &#x017F;ich nicht &#x017F;chicken. Gleichwohl &#x017F;ollte er der Mini&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;eyn, und es war daher eine keineswegs unbedeutende<lb/>
Kleinigkeit daß ihm der mangelnde Titel eines Controleur-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0093] geize noch ſeiner Bildung, er that den Kaufmann ab, lebte fortan als Geſchäftsträger von Genf und Millionär in Paris, und wie er ſchon früher ſich ſchriftſtelleriſch im Fache der Staatswirthſchaft verſucht und durch ſeine Lob- rede auf Colbert ſelbſt einen Preis der Akademie gewonnen hatte, ſo trat er nun dem Miniſter Turgot mit einer Schrift über die Korngeſetzgebung entgegen. Turgot, immer groß geſinnt, ließ den Schriftſteller frei walten, der ihm ſeine Laufbahn erſchweren wollte, indem er in dem praktiſchen Staatsmanne ein Syſtem bekämpfte, mochte von einem Verbote des Buches nichts wiſſen. Lag es doch jedermann vor Augen, daß die Maßregeln Turgots für die Befreiung des Getraidehandels im Innern keineswegs die Ausfuhr aus dem Reiche freigaben, und wer Galiani’s Dialogen über den Getraidehandel kannte, wußte auch daß in die- ſen ſchon fünf Jahre früher mit überlegener Meiſterſchaft Alles das entwickelt war, was ſich an Bedenken gegen die unbedingte Freiheit der Ausfuhr aufſtellen läßt. Aber Neckers Ruf wuchs eben durch dieſe klug gewählte Gegner- ſchaft und wenig Monate nach dem Sturze Turgots erhielt er eine Anſtellung in den Finanzen, zuerſt als Director des Schatzes, dann als Generaldirector der Finanzen; denn daß ein Ausländer, ein Proteſtant und ein vorma- liger Banquier, nicht von Familie, Finanzminiſter hieße wollte ſich nicht ſchicken. Gleichwohl ſollte er der Miniſter ſeyn, und es war daher eine keineswegs unbedeutende Kleinigkeit daß ihm der mangelnde Titel eines Controleur- 1772. 1775. 1776. Oct. 1777. Jun. 6*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/93
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/93>, abgerufen am 24.11.2024.