der List gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu einem kühnen Entschlusse. Ohne etwas zuzugestehen, fragte er einen Vertrauten um Rath. Dieser rieth, schleunig sich auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären, was falsch ist, ihm sey Alles fremd, was den Favras an- gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieser billigt zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit gethan. Monsieur soll auf dem Stadthause erklären, und Mirabeau schreibt für ihn die Phrase auf: "seit dem Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des dritten Standes sich ausgesprochen, habe er auch erkannt daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der König berufen sey sich an ihre Spitze als Gründer der Freiheit zu stellen." Dieses Bekenntniß legte Monsieur auf dem Stadthause ab, und der Maire antwortete mitDec. 26. Bezeugungen der ehrfurchtsvollsten Ergebenheit. Aber Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängnisse eine schriftliche Erklärung aufgesetzt, deren umständliche Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un- fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute- nant des pariser Stadtgerichtes, welches von seinem Sitze im alten Kastell an der Wechsler-Brücke, die zur Cite führt, den Namen Chatelet trägt, zu sich laden, damit dieser sein Geständniß empfange. Allein Talon, so hieß der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches Unglück er durch diesen Schritt verschulde, ohne Hoffnung sich selbst zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare
Französische Revolution. 20
der Liſt gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu einem kühnen Entſchluſſe. Ohne etwas zuzugeſtehen, fragte er einen Vertrauten um Rath. Dieſer rieth, ſchleunig ſich auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären, was falſch iſt, ihm ſey Alles fremd, was den Favras an- gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieſer billigt zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit gethan. Monſieur ſoll auf dem Stadthauſe erklären, und Mirabeau ſchreibt für ihn die Phraſe auf: „ſeit dem Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des dritten Standes ſich ausgeſprochen, habe er auch erkannt daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der König berufen ſey ſich an ihre Spitze als Gründer der Freiheit zu ſtellen.“ Dieſes Bekenntniß legte Monſieur auf dem Stadthauſe ab, und der Maire antwortete mitDec. 26. Bezeugungen der ehrfurchtsvollſten Ergebenheit. Aber Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängniſſe eine ſchriftliche Erklärung aufgeſetzt, deren umſtändliche Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un- fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute- nant des pariſer Stadtgerichtes, welches von ſeinem Sitze im alten Kaſtell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité führt, den Namen Chatelet trägt, zu ſich laden, damit dieſer ſein Geſtändniß empfange. Allein Talon, ſo hieß der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches Unglück er durch dieſen Schritt verſchulde, ohne Hoffnung ſich ſelbſt zu retten, dahingegen die Geretteten dankbare
Franzöſiſche Revolution. 20
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der Liſt gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu
einem kühnen Entſchluſſe. Ohne etwas zuzugeſtehen, fragte
er einen Vertrauten um Rath. Dieſer rieth, ſchleunig ſich
auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären,
was falſch iſt, ihm ſey Alles fremd, was den Favras an-
gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieſer billigt
zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit
gethan. Monſieur ſoll auf dem Stadthauſe erklären, und
Mirabeau ſchreibt für ihn die Phraſe auf: „ſeit dem
Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des
dritten Standes ſich ausgeſprochen, habe er auch erkannt
daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der
König berufen ſey ſich an ihre Spitze als Gründer der
Freiheit zu ſtellen.“ Dieſes Bekenntniß legte Monſieur
auf dem Stadthauſe ab, und der Maire antwortete mit
Bezeugungen der ehrfurchtsvollſten Ergebenheit. Aber
Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängniſſe
eine ſchriftliche Erklärung aufgeſetzt, deren umſtändliche
Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un-
fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute-
nant des pariſer Stadtgerichtes, welches von ſeinem Sitze
im alten Kaſtell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité
führt, den Namen Chatelet trägt, zu ſich laden, damit
dieſer ſein Geſtändniß empfange. Allein Talon, ſo hieß
der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/315>, abgerufen am 28.11.2024.
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