cher er sich in späteren Tagen ein Gewissen machte. Ein Kreis von jungen Leuten von gehobenerer Lebensart aus den ersten Familien, den Noailles, den Dillons, den Se- gurs, den Lafayettes tauschte hier kühne Freiheitsideen aus und es fiel den arglosen Jünglingen nicht ein, daß, wenn diese sich einmal verwirklichten, es keine Obristen von sieben Jahren in ihrer Verwandtschaft mehr geben werde. Die veränderte Grundrichtung der Zeit ließ sich nicht verheimlichen, sie brach aller Orten hervor, war Lud- wig dem XV. selber ehemals in seiner Liebhaberei für die Ökonomisten nahe getreten, und dieser ruchlose Greis, dessen natürliche Gaben nie ganz erstarben in dem Schlamme der Lüste, dachte sicherlich nicht allein an seine vier Milliarden Schulden und sein großes jährliches De- ficit bei einer Einnahme wie kein anderes Reich in der Welt sie besaß, wenn er in seiner letzten Zeit manchmal wiederholte: "Nun ich komme schon durch, ich alter Mann, aber mein Enkel mag sich in Acht nehmen."
Dieser Enkel ward am 23. August 1754 geboren, seine Mutter Maria Josepha, Tochter des Kurfürsten Frie- drich August II. von Sachsen, der als König von Polen der dritte August hieß. Am 10. Mai 1774 folgte er sei- nem Großvater auf dem Throne, kaum zwanzigjährig, nur funfzehn Jahre älter als der Knabe, der junge Corse, wel- cher dereinst sein Nachfolger werden sollte.
An dem wohlwollenden Charakter, der Sittenreinheit des jungen Königs zweifeln auch seine Widersacher nicht;
cher er ſich in ſpäteren Tagen ein Gewiſſen machte. Ein Kreis von jungen Leuten von gehobenerer Lebensart aus den erſten Familien, den Noailles, den Dillons, den Se- gurs, den Lafayettes tauſchte hier kühne Freiheitsideen aus und es fiel den argloſen Jünglingen nicht ein, daß, wenn dieſe ſich einmal verwirklichten, es keine Obriſten von ſieben Jahren in ihrer Verwandtſchaft mehr geben werde. Die veränderte Grundrichtung der Zeit ließ ſich nicht verheimlichen, ſie brach aller Orten hervor, war Lud- wig dem XV. ſelber ehemals in ſeiner Liebhaberei für die Ökonomiſten nahe getreten, und dieſer ruchloſe Greis, deſſen natürliche Gaben nie ganz erſtarben in dem Schlamme der Lüſte, dachte ſicherlich nicht allein an ſeine vier Milliarden Schulden und ſein großes jährliches De- ficit bei einer Einnahme wie kein anderes Reich in der Welt ſie beſaß, wenn er in ſeiner letzten Zeit manchmal wiederholte: „Nun ich komme ſchon durch, ich alter Mann, aber mein Enkel mag ſich in Acht nehmen.“
Dieſer Enkel ward am 23. Auguſt 1754 geboren, ſeine Mutter Maria Joſepha, Tochter des Kurfürſten Frie- drich Auguſt II. von Sachſen, der als König von Polen der dritte Auguſt hieß. Am 10. Mai 1774 folgte er ſei- nem Großvater auf dem Throne, kaum zwanzigjährig, nur funfzehn Jahre älter als der Knabe, der junge Corſe, wel- cher dereinſt ſein Nachfolger werden ſollte.
An dem wohlwollenden Charakter, der Sittenreinheit des jungen Königs zweifeln auch ſeine Widerſacher nicht;
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cher er ſich in ſpäteren Tagen ein Gewiſſen machte. Ein
Kreis von jungen Leuten von gehobenerer Lebensart aus
den erſten Familien, den Noailles, den Dillons, den Se-
gurs, den Lafayettes tauſchte hier kühne Freiheitsideen
aus und es fiel den argloſen Jünglingen nicht ein, daß,
wenn dieſe ſich einmal verwirklichten, es keine Obriſten
von ſieben Jahren in ihrer Verwandtſchaft mehr geben
werde. Die veränderte Grundrichtung der Zeit ließ ſich
nicht verheimlichen, ſie brach aller Orten hervor, war Lud-
wig dem XV. ſelber ehemals in ſeiner Liebhaberei für
die Ökonomiſten nahe getreten, und dieſer ruchloſe
Greis, deſſen natürliche Gaben nie ganz erſtarben in dem
Schlamme der Lüſte, dachte ſicherlich nicht allein an ſeine
vier Milliarden Schulden und ſein großes jährliches De-
ficit bei einer Einnahme wie kein anderes Reich in der
Welt ſie beſaß, wenn er in ſeiner letzten Zeit manchmal
wiederholte: „Nun ich komme ſchon durch, ich alter
Mann, aber mein Enkel mag ſich in Acht nehmen.“
Dieſer Enkel ward am 23. Auguſt 1754 geboren,
ſeine Mutter Maria Joſepha, Tochter des Kurfürſten Frie-
drich Auguſt II. von Sachſen, der als König von Polen
der dritte Auguſt hieß. Am 10. Mai 1774 folgte er ſei-
nem Großvater auf dem Throne, kaum zwanzigjährig, nur
funfzehn Jahre älter als der Knabe, der junge Corſe, wel-
cher dereinſt ſein Nachfolger werden ſollte.
An dem wohlwollenden Charakter, der Sittenreinheit
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/22>, abgerufen am 24.11.2024.
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