angefertigt in Form kniefälliger Vorstellungen über Local- und Provinzialverhältnisse, jetzt lockte man von einer zahlreichen Versammlung, deren Mitglieder als Neulinge zusammentrafen, ein langes Register von Nationalbe- schwerden hervor. Denn die begangenen Finanzsünden waren männiglich bekannt. Es hieß der Tadelsucht Flü- gel geben, um in Formen sich auszusprechen, deren Mi- schung von Alt und Neu kaum unglücklicher erdacht werden konnte. Eine Instruction widersprach der anderen und gleichwohl wollte jede nach ihrer Art den Staat neuaufgebaut wissen. Aber auch die beiden privilegir- ten Stände, deren Cahiers sonst mehrentheils darin übereinstimmten daß sie die Erhaltung der alten Ver- fassung mit drei von einander abgesonderten Ständen befahlen, verwickelten sich in einen seltsamen Wider- spruch; denn man las in vielen doch zu gleicher Zeit das Begehren regelmäßig versammelter Reichsstände, keine Steuer ohne Reichsstände, Theilung der gesetzge- benden Gewalt mit dem Könige, kurz Alles was den Ministern wehthun konnte ohne dem dritten Stande wohl- zuthun. Nichts dergleichen aber enthielt die alte Ver- fassung; denn schon manches Menschenalter vor 1614 wurden die Etats-generaux nach Belieben berufen, ward besteuert und Gesetze gegeben ohne sie. Aus den meisten Cahiers der Geistlichkeit sprach ein Geist der Unduld- samkeit: Ehen zwischen Katholischen und Protestanten sollen verboten seyn, keine Taufe als in katholischen
angefertigt in Form kniefälliger Vorſtellungen über Local- und Provinzialverhältniſſe, jetzt lockte man von einer zahlreichen Verſammlung, deren Mitglieder als Neulinge zuſammentrafen, ein langes Regiſter von Nationalbe- ſchwerden hervor. Denn die begangenen Finanzſünden waren männiglich bekannt. Es hieß der Tadelſucht Flü- gel geben, um in Formen ſich auszuſprechen, deren Mi- ſchung von Alt und Neu kaum unglücklicher erdacht werden konnte. Eine Inſtruction widerſprach der anderen und gleichwohl wollte jede nach ihrer Art den Staat neuaufgebaut wiſſen. Aber auch die beiden privilegir- ten Stände, deren Cahiers ſonſt mehrentheils darin übereinſtimmten daß ſie die Erhaltung der alten Ver- faſſung mit drei von einander abgeſonderten Ständen befahlen, verwickelten ſich in einen ſeltſamen Wider- ſpruch; denn man las in vielen doch zu gleicher Zeit das Begehren regelmäßig verſammelter Reichsſtände, keine Steuer ohne Reichsſtände, Theilung der geſetzge- benden Gewalt mit dem Könige, kurz Alles was den Miniſtern wehthun konnte ohne dem dritten Stande wohl- zuthun. Nichts dergleichen aber enthielt die alte Ver- faſſung; denn ſchon manches Menſchenalter vor 1614 wurden die Etats-généraux nach Belieben berufen, ward beſteuert und Geſetze gegeben ohne ſie. Aus den meiſten Cahiers der Geiſtlichkeit ſprach ein Geiſt der Unduld- ſamkeit: Ehen zwiſchen Katholiſchen und Proteſtanten ſollen verboten ſeyn, keine Taufe als in katholiſchen
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angefertigt in Form kniefälliger Vorſtellungen über Local-
und Provinzialverhältniſſe, jetzt lockte man von einer
zahlreichen Verſammlung, deren Mitglieder als Neulinge
zuſammentrafen, ein langes Regiſter von Nationalbe-
ſchwerden hervor. Denn die begangenen Finanzſünden
waren männiglich bekannt. Es hieß der Tadelſucht Flü-
gel geben, um in Formen ſich auszuſprechen, deren Mi-
ſchung von Alt und Neu kaum unglücklicher erdacht
werden konnte. Eine Inſtruction widerſprach der anderen
und gleichwohl wollte jede nach ihrer Art den Staat
neuaufgebaut wiſſen. Aber auch die beiden privilegir-
ten Stände, deren Cahiers ſonſt mehrentheils darin
übereinſtimmten daß ſie die Erhaltung der alten Ver-
faſſung mit drei von einander abgeſonderten Ständen
befahlen, verwickelten ſich in einen ſeltſamen Wider-
ſpruch; denn man las in vielen doch zu gleicher Zeit
das Begehren regelmäßig verſammelter Reichsſtände,
keine Steuer ohne Reichsſtände, Theilung der geſetzge-
benden Gewalt mit dem Könige, kurz Alles was den
Miniſtern wehthun konnte ohne dem dritten Stande wohl-
zuthun. Nichts dergleichen aber enthielt die alte Ver-
faſſung; denn ſchon manches Menſchenalter vor 1614
wurden die Etats-généraux nach Belieben berufen, ward
beſteuert und Geſetze gegeben ohne ſie. Aus den meiſten
Cahiers der Geiſtlichkeit ſprach ein Geiſt der Unduld-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/168>, abgerufen am 23.11.2024.
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