Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.bar zusammenstossenden Silben mancherlei Kürzungen vorge- bar zusammenstossenden Silben mancherlei Kürzungen vorge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0094" n="86"/> bar zusammenstossenden Silben mancherlei Kürzungen vorge-<lb/> nommen, die durchaus nicht rein aus Laut<hi rendition="#g">gesetzen</hi>, aber<lb/> auch nicht aus Analogie erklärt werden können. Ich verweise<lb/> auf meine Grundz.⁵ 706 ff. und meine Abhandlung über „die<lb/> Tragweite der Lautgesetze“. Aus welchem Lautgesetz oder<lb/> welcher Analogiebildung könnte man das in gut attischen In-<lb/> schriften überlieferte <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἡμέδιμνον</foreign></hi> statt <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἡμμιέδιμνον</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀμφορεύς</foreign></hi><lb/> statt <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀμφιφορεύς</foreign></hi> erklären? Ich verweise namentlich auf die<lb/> mannigfaltigen Kürzungen der Reduplicationssilbe, z. B. sanskr.<lb/><hi rendition="#i">pa</hi>-<hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">sparc̹a</foreign></hi> (Perfect von der W. <hi rendition="#i">spṛc̹</hi> berühren), gr. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">κασκαλίζειν</foreign></hi>,<lb/> lat. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">qui-squiliae</foreign></hi> auch auf Formen wie <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">τίθημι</foreign></hi> und ähnliches,<lb/> bei denen von einer laut<hi rendition="#g">gesetzlichen</hi> Verwandlung der<lb/> Aspirata in die Tenuis (vgl. G. Meyer § 300) nicht die Rede<lb/> sein kann, ferner auf <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἕσταμεν</foreign></hi> neben lat. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">sistimus</foreign></hi>. Die Erschei-<lb/> nung der Dissimilation ist in keinem grammatischen System<lb/> entbehrlich. Aber da sie nirgends mit völliger Consequenz<lb/> auftritt, widerspricht sie im Princip dem jetzt beliebten laut-<lb/> lichen Rigorismus. Die Vereinfachung des <hi rendition="#i">λ</hi> im dor. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἀλλάλων</foreign></hi><lb/> ist von gleicher Art. Auf das Eintreten des <hi rendition="#i">ε</hi> statt einer vollen<lb/> Reduplicationssilbe, z. B. in <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἔστικται</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἔσπαρται</foreign></hi>, bin ich Verb.<lb/> II<hi rendition="#sup">2</hi> 141 ff. näher eingegangen. Wer diesen Vorgang etwa nach<lb/> alter Manier aus einer Verwechslung des Augments mit der<lb/> Reduplication erklären wollte, der bedenke doch, wie scharf<lb/> die Griechen den Exponenten der vergangenen von dem der<lb/> vollendeten Handlung syntaktisch unterschieden. Gust. Meyer<lb/> (§ 542) weist diese Deutung mit den Worten ab: „Dass dies <hi rendition="#i">ε</hi><lb/> durch die Modi festgehalten wurde, beweist, dass man es immer<lb/> als vom Augment verschieden empfand“. Hier ist der Aus-<lb/> druck „empfinden“ (vgl. S. 55) am Platze, denn es handelt sich<lb/> um die Festhaltung eines bedeutungsvollen Unterschiedes. Ich<lb/> verstehe aber nicht, wie G. Meyer kurz vorher sagen kann:<lb/> „Das Eintreten von <hi rendition="#i">ε</hi> statt der vollen Reduplicationssilbe ist<lb/> auf lautlichem Wege nicht zu begreifen“. Denn es handelt<lb/> sich hier um eine Lautbewegung, freilich um keine, die man<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [86/0094]
bar zusammenstossenden Silben mancherlei Kürzungen vorge-
nommen, die durchaus nicht rein aus Lautgesetzen, aber
auch nicht aus Analogie erklärt werden können. Ich verweise
auf meine Grundz.⁵ 706 ff. und meine Abhandlung über „die
Tragweite der Lautgesetze“. Aus welchem Lautgesetz oder
welcher Analogiebildung könnte man das in gut attischen In-
schriften überlieferte ἡμέδιμνον statt ἡμμιέδιμνον, ἀμφορεύς
statt ἀμφιφορεύς erklären? Ich verweise namentlich auf die
mannigfaltigen Kürzungen der Reduplicationssilbe, z. B. sanskr.
pa-sparc̹a (Perfect von der W. spṛc̹ berühren), gr. κασκαλίζειν,
lat. qui-squiliae auch auf Formen wie τίθημι und ähnliches,
bei denen von einer lautgesetzlichen Verwandlung der
Aspirata in die Tenuis (vgl. G. Meyer § 300) nicht die Rede
sein kann, ferner auf ἕσταμεν neben lat. sistimus. Die Erschei-
nung der Dissimilation ist in keinem grammatischen System
entbehrlich. Aber da sie nirgends mit völliger Consequenz
auftritt, widerspricht sie im Princip dem jetzt beliebten laut-
lichen Rigorismus. Die Vereinfachung des λ im dor. ἀλλάλων
ist von gleicher Art. Auf das Eintreten des ε statt einer vollen
Reduplicationssilbe, z. B. in ἔστικται, ἔσπαρται, bin ich Verb.
II2 141 ff. näher eingegangen. Wer diesen Vorgang etwa nach
alter Manier aus einer Verwechslung des Augments mit der
Reduplication erklären wollte, der bedenke doch, wie scharf
die Griechen den Exponenten der vergangenen von dem der
vollendeten Handlung syntaktisch unterschieden. Gust. Meyer
(§ 542) weist diese Deutung mit den Worten ab: „Dass dies ε
durch die Modi festgehalten wurde, beweist, dass man es immer
als vom Augment verschieden empfand“. Hier ist der Aus-
druck „empfinden“ (vgl. S. 55) am Platze, denn es handelt sich
um die Festhaltung eines bedeutungsvollen Unterschiedes. Ich
verstehe aber nicht, wie G. Meyer kurz vorher sagen kann:
„Das Eintreten von ε statt der vollen Reduplicationssilbe ist
auf lautlichem Wege nicht zu begreifen“. Denn es handelt
sich hier um eine Lautbewegung, freilich um keine, die man
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