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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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gemachte Wahrnehmung, dass associative Umwandlung nicht
überall gleich häufig auftritt und darum, je nach ihrem Sitze,
bald wahrscheinlicher ist, bald unwahrscheinlicher. Nach
patronymischen Formen wie Aineiades werden solche wie
Telamoniades, Peleiades nicht ohne Einfluss des homerischen
Verses gebildet sein (Angermann, Stud. I, 1). Im Anschluss an
Wörter wie doulosune, dikaiosune erscheint schon bei Homer
kerdosune, später mantosune, eleemosune und andre Wörter,
deren Stämme von den Stämmen jener schon weiter abliegen.
Der Ausgang -uros kam ursprünglich wohl nur solchen Ad-
jectiven zu, die aus kürzeren Nominalstämmen auf -u hervor-
gingen, z. B. eleemosune, eleemosune, wurde aber von da aus schon
in früher Zeit auf andere übertragen, z. B. liguros, glaphuros. Bil-
dungen der ersten Art, deren Stammvocal schon dem stamm-
haften Substantiv zukommt, sind ekhuros, oizunros. In ähn-
lichem Verhältniss stehen zu einander die aus A-Stämmen
hervorgegangenen Adjectiva, wie siganlos (Pindar), siopelos
(Tragiker), zu solchen wie upnelos (Hippokr.) und ganz ent-
sprechend ateros zu poneros, mokhtheros. Auch in den Com-
positis liegt die gleiche Erscheinung vor. Wir dürfen die Glei-
chung aufstellen, poneros:ateros = thanatephoros:nikephoros.
Dass das Lateinische eine Menge ähnlicher Vorgänge darbietet,
z. B. nasuntus nach cornuntus, von wo aus der Ausgang -uto be-
kanntlich in den romanischen Sprachen, aber erst in diesen,
zu einer beliebten Form der passivischen Participien wurde,
z. B. ital. veduto, dass natalis, novalis, annalis nach Wörtern wie
animalis, vitalis geformt sind, bedarf kaum der Hervorhebung.
Dennoch bleibt hier manches unentschieden, weil für beide
Sprachen Sammlungen, aus denen man den Umfang der ein-
zelnen Bildungen, nach Zeit, Ort und Anwendung geordnet,
genau überblicken könnte, noch durchaus nicht vorhanden
sind. Dies ist ein Gebiet, innerhalb dessen ich die Methode
Brugmann's für viel berechtigter und fruchtbarer halte als an-
derswo. Beispielsweise hebe ich die griechischen Neutra auf

gemachte Wahrnehmung, dass associative Umwandlung nicht
überall gleich häufig auftritt und darum, je nach ihrem Sitze,
bald wahrscheinlicher ist, bald unwahrscheinlicher. Nach
patronymischen Formen wie Αἰνειάδης werden solche wie
Τελαμωνιάδης, Πηληιάδης nicht ohne Einfluss des homerischen
Verses gebildet sein (Angermann, Stud. I, 1). Im Anschluss an
Wörter wie δουλοσύνη, δικαιοσύνη erscheint schon bei Homer
κερδοσύνη, später μαντοσύνη, ἐλεημοσύνη und andre Wörter,
deren Stämme von den Stämmen jener schon weiter abliegen.
Der Ausgang -υρος kam ursprünglich wohl nur solchen Ad-
jectiven zu, die aus kürzeren Nominalstämmen auf hervor-
gingen, z. B. ἐλεημοσύνη, ἐλεημοσύνη, wurde aber von da aus schon
in früher Zeit auf andere übertragen, z. B. λιγυρός, γλαφυρός. Bil-
dungen der ersten Art, deren Stammvocal schon dem stamm-
haften Substantiv zukommt, sind ἐχυρός, ὀϊζῡρός. In ähn-
lichem Verhältniss stehen zu einander die aus Α-Stämmen
hervorgegangenen Adjectiva, wie σιγᾱλος (Pindar), σιωπηλός
(Tragiker), zu solchen wie ὑπνηλός (Hippokr.) und ganz ent-
sprechend ἀτηρός zu πονηρός, μοχθηρός. Auch in den Com-
positis liegt die gleiche Erscheinung vor. Wir dürfen die Glei-
chung aufstellen, πονηρός:ἀτηρός = θανατηφόρος:νικηφόρος.
Dass das Lateinische eine Menge ähnlicher Vorgänge darbietet,
z. B. nasūtus nach cornūtus, von wo aus der Ausgang -uto be-
kanntlich in den romanischen Sprachen, aber erst in diesen,
zu einer beliebten Form der passivischen Participien wurde,
z. B. ital. veduto, dass natalis, novalis, annalis nach Wörtern wie
animalis, vitalis geformt sind, bedarf kaum der Hervorhebung.
Dennoch bleibt hier manches unentschieden, weil für beide
Sprachen Sammlungen, aus denen man den Umfang der ein-
zelnen Bildungen, nach Zeit, Ort und Anwendung geordnet,
genau überblicken könnte, noch durchaus nicht vorhanden
sind. Dies ist ein Gebiet, innerhalb dessen ich die Methode
Brugmann's für viel berechtigter und fruchtbarer halte als an-
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[79/0087] gemachte Wahrnehmung, dass associative Umwandlung nicht überall gleich häufig auftritt und darum, je nach ihrem Sitze, bald wahrscheinlicher ist, bald unwahrscheinlicher. Nach patronymischen Formen wie Αἰνειάδης werden solche wie Τελαμωνιάδης, Πηληιάδης nicht ohne Einfluss des homerischen Verses gebildet sein (Angermann, Stud. I, 1). Im Anschluss an Wörter wie δουλοσύνη, δικαιοσύνη erscheint schon bei Homer κερδοσύνη, später μαντοσύνη, ἐλεημοσύνη und andre Wörter, deren Stämme von den Stämmen jener schon weiter abliegen. Der Ausgang -υρος kam ursprünglich wohl nur solchen Ad- jectiven zu, die aus kürzeren Nominalstämmen auf -υ hervor- gingen, z. B. ἐλεημοσύνη, ἐλεημοσύνη, wurde aber von da aus schon in früher Zeit auf andere übertragen, z. B. λιγυρός, γλαφυρός. Bil- dungen der ersten Art, deren Stammvocal schon dem stamm- haften Substantiv zukommt, sind ἐχυρός, ὀϊζῡρός. In ähn- lichem Verhältniss stehen zu einander die aus Α-Stämmen hervorgegangenen Adjectiva, wie σιγᾱλος (Pindar), σιωπηλός (Tragiker), zu solchen wie ὑπνηλός (Hippokr.) und ganz ent- sprechend ἀτηρός zu πονηρός, μοχθηρός. Auch in den Com- positis liegt die gleiche Erscheinung vor. Wir dürfen die Glei- chung aufstellen, πονηρός:ἀτηρός = θανατηφόρος:νικηφόρος. Dass das Lateinische eine Menge ähnlicher Vorgänge darbietet, z. B. nasūtus nach cornūtus, von wo aus der Ausgang -uto be- kanntlich in den romanischen Sprachen, aber erst in diesen, zu einer beliebten Form der passivischen Participien wurde, z. B. ital. veduto, dass natalis, novalis, annalis nach Wörtern wie animalis, vitalis geformt sind, bedarf kaum der Hervorhebung. Dennoch bleibt hier manches unentschieden, weil für beide Sprachen Sammlungen, aus denen man den Umfang der ein- zelnen Bildungen, nach Zeit, Ort und Anwendung geordnet, genau überblicken könnte, noch durchaus nicht vorhanden sind. Dies ist ein Gebiet, innerhalb dessen ich die Methode Brugmann's für viel berechtigter und fruchtbarer halte als an- derswo. Beispielsweise hebe ich die griechischen Neutra auf

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/87>, abgerufen am 03.05.2024.