Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.wahrscheinlich ist, und ob gerade in der Verbindung mit dem Wir werden durch diese Erwägungen wieder auf eine wahrscheinlich ist, und ob gerade in der Verbindung mit dem Wir werden durch diese Erwägungen wieder auf eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0145" n="137"/> wahrscheinlich ist, und ob gerade in der Verbindung mit dem<lb/> Stamme pad, ist nicht zu entscheiden. Es <hi rendition="#g">kann</hi> blosser Zu-<lb/> fall sein, dass gerade in mehreren Sprachen dieselben Ele-<lb/> mente zu einem ganzen verbunden wurden.</p><lb/> <p>Wir werden durch diese Erwägungen wieder auf eine<lb/> Frage zurückgeführt, die uns schon einmal S. 55 beschäftigte,<lb/> nämlich die, wie weit bei den sprechenden ein Bewusstsein<lb/> von den Stämmen und Endungen vorauszusetzen sei. Wir<lb/> konnten uns nicht davon überzeugen, dass ein solches bis in<lb/> späte Zeiten fortgedauert habe und dass der Unterschied zwi-<lb/> schen den stammhaften und den angebildeten Elementen je-<lb/> mals ein völlig deutlicher, ja auch nur „gefühlter“ oder „em-<lb/> pfundener“ gewesen sei. Freilich mag in dieser Beziehung,<lb/> also in Bezug auf den Grad, in welchem ein Volk sich seines<lb/> Sprachbaues bewusst ist, zwischen den verschiedenen Sprachen<lb/> und Sprachperioden zu unterscheiden sein. Es ist kaum Zu-<lb/> fall, dass die Inder zuerst von allen Völkern unseres Stammes<lb/> zu einem deutlichen Bewusstsein des Wurzel- und Stamm-<lb/> begriffs gelangten. Die grosse Durchsichtigkeit ihres Sprach-<lb/> baues, die auf der getreuen Erhaltung und der gleichmäs-<lb/> sigen Umbildung des alten Sprachgutes beruht, erleichterte<lb/> ihnen dies wesentlich. Für Sprachen wie das Griechische und<lb/> Lateinische, vielleicht auch für andere, wird in der Regel<lb/> wenigstens das Gefühl bewahrt sein, dass die Bestandtheile<lb/> der zusammengesetzten Wörter in mehr oder weniger gleicher<lb/> Gestalt auch einzeln im Gebrauche waren, dass also z. B. die<lb/> Stammsilbe in <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">δίς</foreign></hi>, <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">δύο</foreign></hi> dieselbe ist wie in <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">δίπους</foreign></hi>, während<lb/> das Verhältniss von <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">bis</foreign></hi> zu <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">duo</foreign></hi> schon nicht so klar zu Tage<lb/> liegt. Da Composita vorzugsweise der Dichtersprache ange-<lb/> hören, so erhielt sich hier der uralte Typus sicherlich dadurch,<lb/> dass dem Dichter Bildungen früherer Zeiten im Gedächtniss<lb/> schwebten, denen er mehr oder weniger unwillkürlich neue<lb/> Wörter schöpferisch nachbildete. So hatte gewiss der Dichter<lb/> ein besonders lebendiges Gefühl für das, was das uralte Sprach-<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [137/0145]
wahrscheinlich ist, und ob gerade in der Verbindung mit dem
Stamme pad, ist nicht zu entscheiden. Es kann blosser Zu-
fall sein, dass gerade in mehreren Sprachen dieselben Ele-
mente zu einem ganzen verbunden wurden.
Wir werden durch diese Erwägungen wieder auf eine
Frage zurückgeführt, die uns schon einmal S. 55 beschäftigte,
nämlich die, wie weit bei den sprechenden ein Bewusstsein
von den Stämmen und Endungen vorauszusetzen sei. Wir
konnten uns nicht davon überzeugen, dass ein solches bis in
späte Zeiten fortgedauert habe und dass der Unterschied zwi-
schen den stammhaften und den angebildeten Elementen je-
mals ein völlig deutlicher, ja auch nur „gefühlter“ oder „em-
pfundener“ gewesen sei. Freilich mag in dieser Beziehung,
also in Bezug auf den Grad, in welchem ein Volk sich seines
Sprachbaues bewusst ist, zwischen den verschiedenen Sprachen
und Sprachperioden zu unterscheiden sein. Es ist kaum Zu-
fall, dass die Inder zuerst von allen Völkern unseres Stammes
zu einem deutlichen Bewusstsein des Wurzel- und Stamm-
begriffs gelangten. Die grosse Durchsichtigkeit ihres Sprach-
baues, die auf der getreuen Erhaltung und der gleichmäs-
sigen Umbildung des alten Sprachgutes beruht, erleichterte
ihnen dies wesentlich. Für Sprachen wie das Griechische und
Lateinische, vielleicht auch für andere, wird in der Regel
wenigstens das Gefühl bewahrt sein, dass die Bestandtheile
der zusammengesetzten Wörter in mehr oder weniger gleicher
Gestalt auch einzeln im Gebrauche waren, dass also z. B. die
Stammsilbe in δίς, δύο dieselbe ist wie in δίπους, während
das Verhältniss von bis zu duo schon nicht so klar zu Tage
liegt. Da Composita vorzugsweise der Dichtersprache ange-
hören, so erhielt sich hier der uralte Typus sicherlich dadurch,
dass dem Dichter Bildungen früherer Zeiten im Gedächtniss
schwebten, denen er mehr oder weniger unwillkürlich neue
Wörter schöpferisch nachbildete. So hatte gewiss der Dichter
ein besonders lebendiges Gefühl für das, was das uralte Sprach-
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