nicht gelingt, solche Anlässe zu finden, ist deshalb nicht jede Erklärung richtig, die von irgend einem neuen Gesichtspunkte aus die feststehenden Thatsachen anders zu deuten sucht ? Auch diese neue Erklärung kann ihre Schwierigkeiten haben, und auf diese hin ist die neue A-Theorie wenig geprüft worden. Freilich stellte man sich diese Spaltung lange Zeit in der Weise vor, als ob das eine a bis in das Sonderleben aller einzelnen Sprachen hinein unversehrt geblieben, ja gewisser- massen überall und in jeder Art von Formen als ein altererbter Laut zu erwarten sei. Man begegnet dieser Auffassung un- gemein häufig noch bei Corssen, bei Westphal und andern. Ersterer bestreitet z. B. die jetzt wohl allgemein geltende An- nahme, dass die lateinischen Verba der A-Conjugation zwi- schen dem Conjugations - und dem thematischen Vocal ein j eingebüsst hätten, dass also domant einem indischen Verbum wie damaja-ti entspricht, mit dem Einwände, es lasse sich nicht nachweisen, dass im Lateinischen je ein j zwischen zwei A-Lauten ausfalle. Corssen setzte also noch für das Sonder- leben des Lateinischen ein damajat(i) voraus, was ohne Zweifel falsch war. Die älteren Gelehrten wunderten sich über kein einziges a, das irgendwo im Lateinischen oder im Griechischen vorliegt, man hielt jedes a für eine Antiquität, die gegenüber dem, wie Bopp dies nannte, "entarteten" e oder o von dem Sprachforscher als ein urindogermanischer Laut mit Freuden zu begrüssen sei. Die Ueberwindung dieses offenbar verfehl- ten Standpunktes, die Einsicht, dass der bunte Vocalismus etwas viel älteres sei, als man bisher glaubte, dass er ent- schieden über das Sonderleben der Einzelsprachen hinausgehe, dass überall auch für ihn ein geregeltes Vorkommen zu er- warten sei, brach sich von verschiedenen Seiten Bahn. Zu dieser Einsicht suchte ich durch meine Abhandlung "über die Spaltung des A-Lautes" (Berichte der k. sächs. G. d. Wissensch. Philolog.-histor. Cl. 1864) beizutragen, indem ich den bunten Vocalismus zwar nicht als indogermanisch, wohl aber als
nicht gelingt, solche Anlässe zu finden, ist deshalb nicht jede Erklärung richtig, die von irgend einem neuen Gesichtspunkte aus die feststehenden Thatsachen anders zu deuten sucht ? Auch diese neue Erklärung kann ihre Schwierigkeiten haben, und auf diese hin ist die neue A-Theorie wenig geprüft worden. Freilich stellte man sich diese Spaltung lange Zeit in der Weise vor, als ob das eine a bis in das Sonderleben aller einzelnen Sprachen hinein unversehrt geblieben, ja gewisser- massen überall und in jeder Art von Formen als ein altererbter Laut zu erwarten sei. Man begegnet dieser Auffassung un- gemein häufig noch bei Corssen, bei Westphal und andern. Ersterer bestreitet z. B. die jetzt wohl allgemein geltende An- nahme, dass die lateinischen Verba der A-Conjugation zwi- schen dem Conjugations - und dem thematischen Vocal ein j eingebüsst hätten, dass also domāt einem indischen Verbum wie damaja-ti entspricht, mit dem Einwände, es lasse sich nicht nachweisen, dass im Lateinischen je ein j zwischen zwei Α-Lauten ausfalle. Corssen setzte also noch für das Sonder- leben des Lateinischen ein damajat(i) voraus, was ohne Zweifel falsch war. Die älteren Gelehrten wunderten sich über kein einziges a, das irgendwo im Lateinischen oder im Griechischen vorliegt, man hielt jedes a für eine Antiquität, die gegenüber dem, wie Bopp dies nannte, „entarteten“ e oder o von dem Sprachforscher als ein urindogermanischer Laut mit Freuden zu begrüssen sei. Die Ueberwindung dieses offenbar verfehl- ten Standpunktes, die Einsicht, dass der bunte Vocalismus etwas viel älteres sei, als man bisher glaubte, dass er ent- schieden über das Sonderleben der Einzelsprachen hinausgehe, dass überall auch für ihn ein geregeltes Vorkommen zu er- warten sei, brach sich von verschiedenen Seiten Bahn. Zu dieser Einsicht suchte ich durch meine Abhandlung „über die Spaltung des Α-Lautes“ (Berichte der k. sächs. G. d. Wissensch. Philolog.-histor. Cl. 1864) beizutragen, indem ich den bunten Vocalismus zwar nicht als indogermanisch, wohl aber als
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0102"n="94"/>
nicht gelingt, solche Anlässe zu finden, ist deshalb nicht jede<lb/>
Erklärung richtig, die von irgend einem neuen Gesichtspunkte<lb/>
aus die feststehenden Thatsachen anders zu deuten sucht ? Auch<lb/>
diese neue Erklärung kann ihre Schwierigkeiten haben, und<lb/>
auf diese hin ist die neue A-Theorie wenig geprüft worden.<lb/>
Freilich stellte man sich diese Spaltung lange Zeit in der<lb/>
Weise vor, als ob das eine <hirendition="#i">a</hi> bis in das Sonderleben aller<lb/>
einzelnen Sprachen hinein unversehrt geblieben, ja gewisser-<lb/>
massen überall und in jeder Art von Formen als ein altererbter<lb/>
Laut zu erwarten sei. Man begegnet dieser Auffassung un-<lb/>
gemein häufig noch bei Corssen, bei Westphal und andern.<lb/>
Ersterer bestreitet z. B. die jetzt wohl allgemein geltende An-<lb/>
nahme, dass die lateinischen Verba der A-Conjugation zwi-<lb/>
schen dem Conjugations - und dem thematischen Vocal ein <hirendition="#i">j</hi><lb/>
eingebüsst hätten, dass also <hirendition="#i"><foreignxml:lang="lat">domāt</foreign></hi> einem indischen Verbum<lb/>
wie <hirendition="#i">damaja-ti</hi> entspricht, mit dem Einwände, es lasse sich<lb/>
nicht nachweisen, dass im Lateinischen je ein <hirendition="#i">j</hi> zwischen zwei<lb/>Α-Lauten ausfalle. Corssen setzte also noch für das Sonder-<lb/>
leben des Lateinischen ein <hirendition="#i">damajat(i)</hi> voraus, was ohne Zweifel<lb/>
falsch war. Die älteren Gelehrten wunderten sich über kein<lb/>
einziges <hirendition="#i">a</hi>, das irgendwo im Lateinischen oder im Griechischen<lb/>
vorliegt, man hielt jedes <hirendition="#i">a</hi> für eine Antiquität, die gegenüber<lb/>
dem, wie Bopp dies nannte, „entarteten“<hirendition="#i">e</hi> oder <hirendition="#i">o</hi> von dem<lb/>
Sprachforscher als ein urindogermanischer Laut mit Freuden<lb/>
zu begrüssen sei. Die Ueberwindung dieses offenbar verfehl-<lb/>
ten Standpunktes, die Einsicht, dass der bunte Vocalismus<lb/>
etwas viel älteres sei, als man bisher glaubte, dass er ent-<lb/>
schieden über das Sonderleben der Einzelsprachen hinausgehe,<lb/>
dass überall auch für ihn ein geregeltes Vorkommen zu er-<lb/>
warten sei, brach sich von verschiedenen Seiten Bahn. Zu<lb/>
dieser Einsicht suchte ich durch meine Abhandlung „über die<lb/>
Spaltung des Α-Lautes“ (Berichte der k. sächs. G. d. Wissensch.<lb/>
Philolog.-histor. Cl. 1864) beizutragen, indem ich den bunten<lb/>
Vocalismus zwar nicht als indogermanisch, wohl aber als<lb/><lb/></p></div></body></text></TEI>
[94/0102]
nicht gelingt, solche Anlässe zu finden, ist deshalb nicht jede
Erklärung richtig, die von irgend einem neuen Gesichtspunkte
aus die feststehenden Thatsachen anders zu deuten sucht ? Auch
diese neue Erklärung kann ihre Schwierigkeiten haben, und
auf diese hin ist die neue A-Theorie wenig geprüft worden.
Freilich stellte man sich diese Spaltung lange Zeit in der
Weise vor, als ob das eine a bis in das Sonderleben aller
einzelnen Sprachen hinein unversehrt geblieben, ja gewisser-
massen überall und in jeder Art von Formen als ein altererbter
Laut zu erwarten sei. Man begegnet dieser Auffassung un-
gemein häufig noch bei Corssen, bei Westphal und andern.
Ersterer bestreitet z. B. die jetzt wohl allgemein geltende An-
nahme, dass die lateinischen Verba der A-Conjugation zwi-
schen dem Conjugations - und dem thematischen Vocal ein j
eingebüsst hätten, dass also domāt einem indischen Verbum
wie damaja-ti entspricht, mit dem Einwände, es lasse sich
nicht nachweisen, dass im Lateinischen je ein j zwischen zwei
Α-Lauten ausfalle. Corssen setzte also noch für das Sonder-
leben des Lateinischen ein damajat(i) voraus, was ohne Zweifel
falsch war. Die älteren Gelehrten wunderten sich über kein
einziges a, das irgendwo im Lateinischen oder im Griechischen
vorliegt, man hielt jedes a für eine Antiquität, die gegenüber
dem, wie Bopp dies nannte, „entarteten“ e oder o von dem
Sprachforscher als ein urindogermanischer Laut mit Freuden
zu begrüssen sei. Die Ueberwindung dieses offenbar verfehl-
ten Standpunktes, die Einsicht, dass der bunte Vocalismus
etwas viel älteres sei, als man bisher glaubte, dass er ent-
schieden über das Sonderleben der Einzelsprachen hinausgehe,
dass überall auch für ihn ein geregeltes Vorkommen zu er-
warten sei, brach sich von verschiedenen Seiten Bahn. Zu
dieser Einsicht suchte ich durch meine Abhandlung „über die
Spaltung des Α-Lautes“ (Berichte der k. sächs. G. d. Wissensch.
Philolog.-histor. Cl. 1864) beizutragen, indem ich den bunten
Vocalismus zwar nicht als indogermanisch, wohl aber als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/102>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.