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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Weltgang der griechischen Cultur.
schritt bei beiden in der Weise erfolgt, daß immer eine äußere
Demüthigung und Bedrängniß der siegreichen Ausbreitung
voranzugehen pflegte, so daß die Hellenen sagen konnten, wie
die Christen: Wir siegen, wenn wir getödtet werden? Ferner
hat die hellenische Cultur, wie das Christenthum, ein geistiges
Wesen, welches nicht in äußere Formen aufgeht, innerlich er¬
griffen aber zu einer Kraft wird, welche den ganzen Menschen
faßt und aus träger Gewohnheit aufrüttelt, eine Macht, welche
bezwingt und zugleich befreit, welche das Ursprüngliche und
Angeborene nicht unterdrückt, sondern erzieht und läutert, um
die Menschen zu ihrer wahren Natur zurückzuführen. Denn
die Verklärung des Menschlichen ist es ja, was auch die hel¬
lenische Lebensweisheit erzielt, und Paulus konnte sich in
Athen auf die Dichter des Volks berufen, welche bezeugten,
daß die Sterblichen von göttlicher Natur und Herkunft, also
zur Gottähnlichkeit geschaffen und in ein persönliches Verhält¬
niß zu Gott zu treten berufen seien.

In aller Stille und ohne äußerliches Aufsehen ist in Hellas
die Weltbildung, in Judäa die Weltreligion gereift, und wie
die Römer trotz alles Sträubens sich vor den verachteten
Griechen haben demüthigen müssen und wie die größten Helden
der alten Welt, Alexander und Cäsar, nichts Dauerhaftes zu
Stande gebracht haben, als was sie im Dienste der griechischen
Bildung gethan haben, so haben sich die Gebieter der Erde
auch der neuen Weltmacht nicht entziehen können; wider Willen
sind sie im Kampfe gegen, dieselbe nur die Werkzeuge ihrer
Ausbreitung geworden und am Ende haben die stolzen Cä¬
saren das Kreuz zu ihrem Feldzeichen gemacht und an der¬
selben Religion, welche sie als einen wahnsinnigen und gefähr¬
lichen Aberglauben Jahrhunderte lang verfolgt hatten, das
Reich zu verjüngen gesucht, wie ihre Vorgänger am Hellenismus.

Ihr Staat war keiner Wiedergeburt fähig. Er dauerte
fort, auf daß durch seine Vermittelung die griechisch-römische
Bildung und das Christenthum den neuen Völkern mitgetheilt
werde, welche sich an des Reiches Gränzen gelagert hatten.
Jene Bildung war zu matt und abgestanden, als daß sie im

Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
ſchritt bei beiden in der Weiſe erfolgt, daß immer eine äußere
Demüthigung und Bedrängniß der ſiegreichen Ausbreitung
voranzugehen pflegte, ſo daß die Hellenen ſagen konnten, wie
die Chriſten: Wir ſiegen, wenn wir getödtet werden? Ferner
hat die helleniſche Cultur, wie das Chriſtenthum, ein geiſtiges
Weſen, welches nicht in äußere Formen aufgeht, innerlich er¬
griffen aber zu einer Kraft wird, welche den ganzen Menſchen
faßt und aus träger Gewohnheit aufrüttelt, eine Macht, welche
bezwingt und zugleich befreit, welche das Urſprüngliche und
Angeborene nicht unterdrückt, ſondern erzieht und läutert, um
die Menſchen zu ihrer wahren Natur zurückzuführen. Denn
die Verklärung des Menſchlichen iſt es ja, was auch die hel¬
leniſche Lebensweisheit erzielt, und Paulus konnte ſich in
Athen auf die Dichter des Volks berufen, welche bezeugten,
daß die Sterblichen von göttlicher Natur und Herkunft, alſo
zur Gottähnlichkeit geſchaffen und in ein perſönliches Verhält¬
niß zu Gott zu treten berufen ſeien.

In aller Stille und ohne äußerliches Aufſehen iſt in Hellas
die Weltbildung, in Judäa die Weltreligion gereift, und wie
die Römer trotz alles Sträubens ſich vor den verachteten
Griechen haben demüthigen müſſen und wie die größten Helden
der alten Welt, Alexander und Cäſar, nichts Dauerhaftes zu
Stande gebracht haben, als was ſie im Dienſte der griechiſchen
Bildung gethan haben, ſo haben ſich die Gebieter der Erde
auch der neuen Weltmacht nicht entziehen können; wider Willen
ſind ſie im Kampfe gegen, dieſelbe nur die Werkzeuge ihrer
Ausbreitung geworden und am Ende haben die ſtolzen Cä¬
ſaren das Kreuz zu ihrem Feldzeichen gemacht und an der¬
ſelben Religion, welche ſie als einen wahnſinnigen und gefähr¬
lichen Aberglauben Jahrhunderte lang verfolgt hatten, das
Reich zu verjüngen geſucht, wie ihre Vorgänger am Hellenismus.

Ihr Staat war keiner Wiedergeburt fähig. Er dauerte
fort, auf daß durch ſeine Vermittelung die griechiſch-römiſche
Bildung und das Chriſtenthum den neuen Völkern mitgetheilt
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[71/0087] Der Weltgang der griechiſchen Cultur. ſchritt bei beiden in der Weiſe erfolgt, daß immer eine äußere Demüthigung und Bedrängniß der ſiegreichen Ausbreitung voranzugehen pflegte, ſo daß die Hellenen ſagen konnten, wie die Chriſten: Wir ſiegen, wenn wir getödtet werden? Ferner hat die helleniſche Cultur, wie das Chriſtenthum, ein geiſtiges Weſen, welches nicht in äußere Formen aufgeht, innerlich er¬ griffen aber zu einer Kraft wird, welche den ganzen Menſchen faßt und aus träger Gewohnheit aufrüttelt, eine Macht, welche bezwingt und zugleich befreit, welche das Urſprüngliche und Angeborene nicht unterdrückt, ſondern erzieht und läutert, um die Menſchen zu ihrer wahren Natur zurückzuführen. Denn die Verklärung des Menſchlichen iſt es ja, was auch die hel¬ leniſche Lebensweisheit erzielt, und Paulus konnte ſich in Athen auf die Dichter des Volks berufen, welche bezeugten, daß die Sterblichen von göttlicher Natur und Herkunft, alſo zur Gottähnlichkeit geſchaffen und in ein perſönliches Verhält¬ niß zu Gott zu treten berufen ſeien. In aller Stille und ohne äußerliches Aufſehen iſt in Hellas die Weltbildung, in Judäa die Weltreligion gereift, und wie die Römer trotz alles Sträubens ſich vor den verachteten Griechen haben demüthigen müſſen und wie die größten Helden der alten Welt, Alexander und Cäſar, nichts Dauerhaftes zu Stande gebracht haben, als was ſie im Dienſte der griechiſchen Bildung gethan haben, ſo haben ſich die Gebieter der Erde auch der neuen Weltmacht nicht entziehen können; wider Willen ſind ſie im Kampfe gegen, dieſelbe nur die Werkzeuge ihrer Ausbreitung geworden und am Ende haben die ſtolzen Cä¬ ſaren das Kreuz zu ihrem Feldzeichen gemacht und an der¬ ſelben Religion, welche ſie als einen wahnſinnigen und gefähr¬ lichen Aberglauben Jahrhunderte lang verfolgt hatten, das Reich zu verjüngen geſucht, wie ihre Vorgänger am Hellenismus. Ihr Staat war keiner Wiedergeburt fähig. Er dauerte fort, auf daß durch ſeine Vermittelung die griechiſch-römiſche Bildung und das Chriſtenthum den neuen Völkern mitgetheilt werde, welche ſich an des Reiches Gränzen gelagert hatten. Jene Bildung war zu matt und abgeſtanden, als daß ſie im

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/87>, abgerufen am 23.11.2024.