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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Rom und die Deutschen.
entschiedener Gegensatz zwischen welscher und deutscher Wissen¬
schaft. Denn gerade weil die Deutschen dem klassischen Alter¬
thume von Hause aus so viel fremder und unbeholfener gegen¬
über standen, haben sie um so mehr ihre ganze Kraft daran
gesetzt, um diese Nachtheile zu überwinden, und sind deshalb,
anstatt sich in einer spielenden Nachahmung des Alterthums
zu gefallen, um so tiefer in den Kern desselben eingedrungen.
Sie konnten nicht daran denken, es in seinen äußeren Formen
künstlich wieder herzustellen oder das Eigene für das Fremde
hinzugeben. Sie nahmen es wie einen Bildungsstoff in ihr
Inneres auf, um an Erkenntniß zu wachsen. Während die
Italiäner genießen wollten und deshalb an den Texten der
Dichter wie an den Statuen die Schäden versteckten, um nur
etwas Ganzes vor Augen zu haben, wurde der deutsche Fleiß
nicht müde, die Ueberlieferung zu prüfen und das Echte vom
Unechten zu scheiden. So hat sich, wie auf dem kirchlichen
Gebiete, so auch in der Wissenschaft der Norden vom Süden
frei gemacht, und der von Rom frei gewordene Geist ist es
in Frankreich, in Holland, England und Deutschland gewesen,
welcher die eigentliche Alterthumswissenschaft gegründet hat.
Kaum ein Jahrhundert hat der italiänische Humanismus, sein
Monopol aufrecht zu erhalten vermocht; ja, die Deutschen
griffen selbst schon frühzeitig in die Entwickelung der italiäni¬
schen Studien ein. Während Aeneas Sylvius, der Apostel
des Humanismus, Deutschland noch wie ein Heidenland durch¬
zog, führten die Deutschen drüben schon die Buchdruckerei ein
und riefen in Rom eine Litteratur der Klassiker ins Leben.

Denn es konnte ja bei dem spröden Gegensatze, welcher
zunächst eintreten mußte, als Deutschland sich der Bevormun¬
dung Italiens entzog, auf die Dauer nicht bleiben. Rom
war nicht mehr das Ziel deutscher Kaiserpolitik, es war nicht
mehr die geweihte Stätte, wo man der sündentilgenden Macht
der Gottheit gewisser zu sein glaubte; auch das Orakel in
Sachen der feineren Bildung war es nicht mehr. Aber der
Zug blieb, welcher das nördliche Binnenland und die südliche
Halbinsel unauflöslich mit einander zusammenhält, und wenn

Rom und die Deutſchen.
entſchiedener Gegenſatz zwiſchen welſcher und deutſcher Wiſſen¬
ſchaft. Denn gerade weil die Deutſchen dem klaſſiſchen Alter¬
thume von Hauſe aus ſo viel fremder und unbeholfener gegen¬
über ſtanden, haben ſie um ſo mehr ihre ganze Kraft daran
geſetzt, um dieſe Nachtheile zu überwinden, und ſind deshalb,
anſtatt ſich in einer ſpielenden Nachahmung des Alterthums
zu gefallen, um ſo tiefer in den Kern deſſelben eingedrungen.
Sie konnten nicht daran denken, es in ſeinen äußeren Formen
künſtlich wieder herzuſtellen oder das Eigene für das Fremde
hinzugeben. Sie nahmen es wie einen Bildungsſtoff in ihr
Inneres auf, um an Erkenntniß zu wachſen. Während die
Italiäner genießen wollten und deshalb an den Texten der
Dichter wie an den Statuen die Schäden verſteckten, um nur
etwas Ganzes vor Augen zu haben, wurde der deutſche Fleiß
nicht müde, die Ueberlieferung zu prüfen und das Echte vom
Unechten zu ſcheiden. So hat ſich, wie auf dem kirchlichen
Gebiete, ſo auch in der Wiſſenſchaft der Norden vom Süden
frei gemacht, und der von Rom frei gewordene Geiſt iſt es
in Frankreich, in Holland, England und Deutſchland geweſen,
welcher die eigentliche Alterthumswiſſenſchaft gegründet hat.
Kaum ein Jahrhundert hat der italiäniſche Humanismus, ſein
Monopol aufrecht zu erhalten vermocht; ja, die Deutſchen
griffen ſelbſt ſchon frühzeitig in die Entwickelung der italiäni¬
ſchen Studien ein. Während Aeneas Sylvius, der Apoſtel
des Humanismus, Deutſchland noch wie ein Heidenland durch¬
zog, führten die Deutſchen drüben ſchon die Buchdruckerei ein
und riefen in Rom eine Litteratur der Klaſſiker ins Leben.

Denn es konnte ja bei dem ſpröden Gegenſatze, welcher
zunächſt eintreten mußte, als Deutſchland ſich der Bevormun¬
dung Italiens entzog, auf die Dauer nicht bleiben. Rom
war nicht mehr das Ziel deutſcher Kaiſerpolitik, es war nicht
mehr die geweihte Stätte, wo man der ſündentilgenden Macht
der Gottheit gewiſſer zu ſein glaubte; auch das Orakel in
Sachen der feineren Bildung war es nicht mehr. Aber der
Zug blieb, welcher das nördliche Binnenland und die ſüdliche
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[48/0064] Rom und die Deutſchen. entſchiedener Gegenſatz zwiſchen welſcher und deutſcher Wiſſen¬ ſchaft. Denn gerade weil die Deutſchen dem klaſſiſchen Alter¬ thume von Hauſe aus ſo viel fremder und unbeholfener gegen¬ über ſtanden, haben ſie um ſo mehr ihre ganze Kraft daran geſetzt, um dieſe Nachtheile zu überwinden, und ſind deshalb, anſtatt ſich in einer ſpielenden Nachahmung des Alterthums zu gefallen, um ſo tiefer in den Kern deſſelben eingedrungen. Sie konnten nicht daran denken, es in ſeinen äußeren Formen künſtlich wieder herzuſtellen oder das Eigene für das Fremde hinzugeben. Sie nahmen es wie einen Bildungsſtoff in ihr Inneres auf, um an Erkenntniß zu wachſen. Während die Italiäner genießen wollten und deshalb an den Texten der Dichter wie an den Statuen die Schäden verſteckten, um nur etwas Ganzes vor Augen zu haben, wurde der deutſche Fleiß nicht müde, die Ueberlieferung zu prüfen und das Echte vom Unechten zu ſcheiden. So hat ſich, wie auf dem kirchlichen Gebiete, ſo auch in der Wiſſenſchaft der Norden vom Süden frei gemacht, und der von Rom frei gewordene Geiſt iſt es in Frankreich, in Holland, England und Deutſchland geweſen, welcher die eigentliche Alterthumswiſſenſchaft gegründet hat. Kaum ein Jahrhundert hat der italiäniſche Humanismus, ſein Monopol aufrecht zu erhalten vermocht; ja, die Deutſchen griffen ſelbſt ſchon frühzeitig in die Entwickelung der italiäni¬ ſchen Studien ein. Während Aeneas Sylvius, der Apoſtel des Humanismus, Deutſchland noch wie ein Heidenland durch¬ zog, führten die Deutſchen drüben ſchon die Buchdruckerei ein und riefen in Rom eine Litteratur der Klaſſiker ins Leben. Denn es konnte ja bei dem ſpröden Gegenſatze, welcher zunächſt eintreten mußte, als Deutſchland ſich der Bevormun¬ dung Italiens entzog, auf die Dauer nicht bleiben. Rom war nicht mehr das Ziel deutſcher Kaiſerpolitik, es war nicht mehr die geweihte Stätte, wo man der ſündentilgenden Macht der Gottheit gewiſſer zu ſein glaubte; auch das Orakel in Sachen der feineren Bildung war es nicht mehr. Aber der Zug blieb, welcher das nördliche Binnenland und die ſüdliche Halbinſel unauflöslich mit einander zuſammenhält, und wenn

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/64>, abgerufen am 23.11.2024.