gezogen. Es giebt keine Epoche der Stadt, welche nicht in Denkmälern bezeugt wäre, und sind die Werke selbst ver¬ schwunden, so sind, wie bei manchen Theilen der Stadtmauern, wenigstens die zur Aufnahme der Steinquadern gemachten Ebnungen und Einschnitte des Felsens sichtbar, ähnlich den Fußspuren, welche untergegangene Thiergeschlechter der Ober¬ fläche des Bodens eingedrückt und als einzige Zeugen ihres Daseins zurückgelassen haben.
Wer begreift nicht die Freude jeder gelungenen Wande¬ rung, die Genugthuung, welche nach langem Suchen in Staub und Sonnengluth die kleinste Entdeckung gewährt! Dazu kommen die zahlreichen Spuren alter Fuß- und Fahrwege, welche uns die Bewegung des täglichen Lebens deutlich machen, die wie Kunstwerke anzuschauenden Hafenanlagen mit den genau zu messenden Schiffshäusern, die Quellgebäude und die im Felsen gehauenen Kanäle, in denen noch heute das Ge¬ birgswasser in vollen Strömen unter den Gassen der Stadt hinrauscht, die heimlichen Grotten, im Felsen ausgehöhlt, mit ihren Vorplätzen, Stufen und zahlreichen Nischen, in denen die Weihgeschenke aufgestellt waren, die ehrwürdigen Inschriften, die an alter Stelle dem gewachsenen Felsboden eingegraben stehn, als sollten sie für ewige Zeiten den Platz der dort ver¬ ehrten Gottheit zueignen. Sie erkennen, in eine wie vielseitige und lebendige Berührung man mit dem Alterthume tritt, wie lehrreich und erfreulich es ist, in allen diesen Anlagen den Gedanken und Absichten der Alten an Ort und Stelle forschend nachzugehen und wie allen Schwierigkeiten zum Trotze eine historische Topographie doch auf ein allmähliches Gelingen hoffen kann. Ja, die Schwierigkeit des Aufspürens erhöht den Reiz, während an einem Orte wie Pompeji das Interesse dadurch abgestumpft wird, daß man hier Alles gar zu bequem hat und sich ohne viel Mühe ein Adreßbuch anlegen kann, in welchem man Haus für Haus mit Namen und Stand des Bewohners einträgt.
Endlich gehört zu dem, was auf klassischem Boden den Philologen anzieht und beschäftigt, die im Volke lebende
Curtius, Alterthum. 3
Das alte und neue Griechenland.
gezogen. Es giebt keine Epoche der Stadt, welche nicht in Denkmälern bezeugt wäre, und ſind die Werke ſelbſt ver¬ ſchwunden, ſo ſind, wie bei manchen Theilen der Stadtmauern, wenigſtens die zur Aufnahme der Steinquadern gemachten Ebnungen und Einſchnitte des Felſens ſichtbar, ähnlich den Fußſpuren, welche untergegangene Thiergeſchlechter der Ober¬ fläche des Bodens eingedrückt und als einzige Zeugen ihres Daſeins zurückgelaſſen haben.
Wer begreift nicht die Freude jeder gelungenen Wande¬ rung, die Genugthuung, welche nach langem Suchen in Staub und Sonnengluth die kleinſte Entdeckung gewährt! Dazu kommen die zahlreichen Spuren alter Fuß- und Fahrwege, welche uns die Bewegung des täglichen Lebens deutlich machen, die wie Kunſtwerke anzuſchauenden Hafenanlagen mit den genau zu meſſenden Schiffshäuſern, die Quellgebäude und die im Felſen gehauenen Kanäle, in denen noch heute das Ge¬ birgswaſſer in vollen Strömen unter den Gaſſen der Stadt hinrauſcht, die heimlichen Grotten, im Felſen ausgehöhlt, mit ihren Vorplätzen, Stufen und zahlreichen Niſchen, in denen die Weihgeſchenke aufgeſtellt waren, die ehrwürdigen Inſchriften, die an alter Stelle dem gewachſenen Felsboden eingegraben ſtehn, als ſollten ſie für ewige Zeiten den Platz der dort ver¬ ehrten Gottheit zueignen. Sie erkennen, in eine wie vielſeitige und lebendige Berührung man mit dem Alterthume tritt, wie lehrreich und erfreulich es iſt, in allen dieſen Anlagen den Gedanken und Abſichten der Alten an Ort und Stelle forſchend nachzugehen und wie allen Schwierigkeiten zum Trotze eine hiſtoriſche Topographie doch auf ein allmähliches Gelingen hoffen kann. Ja, die Schwierigkeit des Aufſpürens erhöht den Reiz, während an einem Orte wie Pompeji das Intereſſe dadurch abgeſtumpft wird, daß man hier Alles gar zu bequem hat und ſich ohne viel Mühe ein Adreßbuch anlegen kann, in welchem man Haus für Haus mit Namen und Stand des Bewohners einträgt.
Endlich gehört zu dem, was auf klaſſiſchem Boden den Philologen anzieht und beſchäftigt, die im Volke lebende
Curtius, Alterthum. 3
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Das alte und neue Griechenland.
gezogen. Es giebt keine Epoche der Stadt, welche nicht in
Denkmälern bezeugt wäre, und ſind die Werke ſelbſt ver¬
ſchwunden, ſo ſind, wie bei manchen Theilen der Stadtmauern,
wenigſtens die zur Aufnahme der Steinquadern gemachten
Ebnungen und Einſchnitte des Felſens ſichtbar, ähnlich den
Fußſpuren, welche untergegangene Thiergeſchlechter der Ober¬
fläche des Bodens eingedrückt und als einzige Zeugen ihres
Daſeins zurückgelaſſen haben.
Wer begreift nicht die Freude jeder gelungenen Wande¬
rung, die Genugthuung, welche nach langem Suchen in Staub
und Sonnengluth die kleinſte Entdeckung gewährt! Dazu
kommen die zahlreichen Spuren alter Fuß- und Fahrwege,
welche uns die Bewegung des täglichen Lebens deutlich machen,
die wie Kunſtwerke anzuſchauenden Hafenanlagen mit den
genau zu meſſenden Schiffshäuſern, die Quellgebäude und die
im Felſen gehauenen Kanäle, in denen noch heute das Ge¬
birgswaſſer in vollen Strömen unter den Gaſſen der Stadt
hinrauſcht, die heimlichen Grotten, im Felſen ausgehöhlt, mit
ihren Vorplätzen, Stufen und zahlreichen Niſchen, in denen
die Weihgeſchenke aufgeſtellt waren, die ehrwürdigen Inſchriften,
die an alter Stelle dem gewachſenen Felsboden eingegraben
ſtehn, als ſollten ſie für ewige Zeiten den Platz der dort ver¬
ehrten Gottheit zueignen. Sie erkennen, in eine wie vielſeitige
und lebendige Berührung man mit dem Alterthume tritt, wie
lehrreich und erfreulich es iſt, in allen dieſen Anlagen den
Gedanken und Abſichten der Alten an Ort und Stelle forſchend
nachzugehen und wie allen Schwierigkeiten zum Trotze eine
hiſtoriſche Topographie doch auf ein allmähliches Gelingen
hoffen kann. Ja, die Schwierigkeit des Aufſpürens erhöht
den Reiz, während an einem Orte wie Pompeji das Intereſſe
dadurch abgeſtumpft wird, daß man hier Alles gar zu bequem
hat und ſich ohne viel Mühe ein Adreßbuch anlegen kann,
in welchem man Haus für Haus mit Namen und Stand des
Bewohners einträgt.
Endlich gehört zu dem, was auf klaſſiſchem Boden den
Philologen anzieht und beſchäftigt, die im Volke lebende
Curtius, Alterthum. 3
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/49>, abgerufen am 22.07.2024.
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