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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die patriotische Pflicht der Parteinahme.
zu verbreiten, Freundschaften zu zerstören und krankhaften Ver¬
stimmungen einen chronischen Charakter zu geben; sie können
den Keim des Uebels, an dem Völker zu Grunde gehen, in die
harmlosen Kinderseelen übertragen und dadurch das Wohl des
Vaterlandes schwer beschädigen; sie können aber auch reichen
Segen stiften, wenn sie ihren Beruf darin erkennen, die über
allem Parteigeist erhabenen Güter des Lebens mit treuer
Hand zu pflegen; in allem Wechsel das Ewige, bei allen
Spaltungen das Gemeinsame festzuhalten, die Gegensätze zu
mildern, den Frieden zu hüten und in der Liebe zum Vater¬
lande ihre Kinder zu erziehen.

Das sind die wesentlichsten Gesichtspunkte, unter denen
sich die Parteien der neuen Zeit denen des Alterthums gegen¬
über stellen lassen. Nun lassen Sie mich zum Schlusse noch
einige Worte darüber sagen, welches die Stellung einer deutschen
Universität in den Tagen des Parteigegensatzes sein soll, wo¬
bei ich keinen sehnlicheren Wunsch habe, als daß ich das, was
ich sage, im vollen Einverständnisse mit Ihnen und gleichsam
aus Ihrer Aller Herzen heraus rede.

Die Wissenschaft hat zum öffentlichen Leben im Laufe
der Zeit sehr verschiedene Stellungen eingenommen, und es ist
merkwürdig, daß dort, wo praktische Politik und forschende
Speculation sich zuerst entwickelt haben, zwischen beiden Rich¬
tungen sehr früh ein schroffer Gegensatz eingetreten ist. Hera¬
kleitos verurtheilte mit unbedingter Verachtung das gesammte
Treiben des Volks, und Platon wendete sich mit so tiefer Ver¬
stimmung von den öffentlichen Angelegenheiten ab, daß er des¬
halb von Niebuhr als ein schlechter Patriot gescholten worden
ist, der nicht werth sei, ein Athener zu heißen. Heutzutage
wird Keiner die Ansicht vertreten, daß völlige Parteilosigkeit
und ungestörtes Stillleben die mit einem wissenschaftlichen
Berufe allein verträgliche Lebensweise sei. Wir sind Alle über¬
zeugt, daß der Wissenschaft zu ihrem eignen Gedeihen die freie
Luft des Lebens unentbehrlich ist; sie soll aber ihren Werth
auch darin bewähren, daß sie für die Beurtheilung der Tages¬
fragen den Blick schärft und den Geist aufhellt. Denn wenn

Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
zu verbreiten, Freundſchaften zu zerſtören und krankhaften Ver¬
ſtimmungen einen chroniſchen Charakter zu geben; ſie können
den Keim des Uebels, an dem Völker zu Grunde gehen, in die
harmloſen Kinderſeelen übertragen und dadurch das Wohl des
Vaterlandes ſchwer beſchädigen; ſie können aber auch reichen
Segen ſtiften, wenn ſie ihren Beruf darin erkennen, die über
allem Parteigeiſt erhabenen Güter des Lebens mit treuer
Hand zu pflegen; in allem Wechſel das Ewige, bei allen
Spaltungen das Gemeinſame feſtzuhalten, die Gegenſätze zu
mildern, den Frieden zu hüten und in der Liebe zum Vater¬
lande ihre Kinder zu erziehen.

Das ſind die weſentlichſten Geſichtspunkte, unter denen
ſich die Parteien der neuen Zeit denen des Alterthums gegen¬
über ſtellen laſſen. Nun laſſen Sie mich zum Schluſſe noch
einige Worte darüber ſagen, welches die Stellung einer deutſchen
Univerſität in den Tagen des Parteigegenſatzes ſein ſoll, wo¬
bei ich keinen ſehnlicheren Wunſch habe, als daß ich das, was
ich ſage, im vollen Einverſtändniſſe mit Ihnen und gleichſam
aus Ihrer Aller Herzen heraus rede.

Die Wiſſenſchaft hat zum öffentlichen Leben im Laufe
der Zeit ſehr verſchiedene Stellungen eingenommen, und es iſt
merkwürdig, daß dort, wo praktiſche Politik und forſchende
Speculation ſich zuerſt entwickelt haben, zwiſchen beiden Rich¬
tungen ſehr früh ein ſchroffer Gegenſatz eingetreten iſt. Hera¬
kleitos verurtheilte mit unbedingter Verachtung das geſammte
Treiben des Volks, und Platon wendete ſich mit ſo tiefer Ver¬
ſtimmung von den öffentlichen Angelegenheiten ab, daß er des¬
halb von Niebuhr als ein ſchlechter Patriot geſcholten worden
iſt, der nicht werth ſei, ein Athener zu heißen. Heutzutage
wird Keiner die Anſicht vertreten, daß völlige Parteiloſigkeit
und ungeſtörtes Stillleben die mit einem wiſſenſchaftlichen
Berufe allein verträgliche Lebensweiſe ſei. Wir ſind Alle über¬
zeugt, daß der Wiſſenſchaft zu ihrem eignen Gedeihen die freie
Luft des Lebens unentbehrlich iſt; ſie ſoll aber ihren Werth
auch darin bewähren, daß ſie für die Beurtheilung der Tages¬
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[336/0352] Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. zu verbreiten, Freundſchaften zu zerſtören und krankhaften Ver¬ ſtimmungen einen chroniſchen Charakter zu geben; ſie können den Keim des Uebels, an dem Völker zu Grunde gehen, in die harmloſen Kinderſeelen übertragen und dadurch das Wohl des Vaterlandes ſchwer beſchädigen; ſie können aber auch reichen Segen ſtiften, wenn ſie ihren Beruf darin erkennen, die über allem Parteigeiſt erhabenen Güter des Lebens mit treuer Hand zu pflegen; in allem Wechſel das Ewige, bei allen Spaltungen das Gemeinſame feſtzuhalten, die Gegenſätze zu mildern, den Frieden zu hüten und in der Liebe zum Vater¬ lande ihre Kinder zu erziehen. Das ſind die weſentlichſten Geſichtspunkte, unter denen ſich die Parteien der neuen Zeit denen des Alterthums gegen¬ über ſtellen laſſen. Nun laſſen Sie mich zum Schluſſe noch einige Worte darüber ſagen, welches die Stellung einer deutſchen Univerſität in den Tagen des Parteigegenſatzes ſein ſoll, wo¬ bei ich keinen ſehnlicheren Wunſch habe, als daß ich das, was ich ſage, im vollen Einverſtändniſſe mit Ihnen und gleichſam aus Ihrer Aller Herzen heraus rede. Die Wiſſenſchaft hat zum öffentlichen Leben im Laufe der Zeit ſehr verſchiedene Stellungen eingenommen, und es iſt merkwürdig, daß dort, wo praktiſche Politik und forſchende Speculation ſich zuerſt entwickelt haben, zwiſchen beiden Rich¬ tungen ſehr früh ein ſchroffer Gegenſatz eingetreten iſt. Hera¬ kleitos verurtheilte mit unbedingter Verachtung das geſammte Treiben des Volks, und Platon wendete ſich mit ſo tiefer Ver¬ ſtimmung von den öffentlichen Angelegenheiten ab, daß er des¬ halb von Niebuhr als ein ſchlechter Patriot geſcholten worden iſt, der nicht werth ſei, ein Athener zu heißen. Heutzutage wird Keiner die Anſicht vertreten, daß völlige Parteiloſigkeit und ungeſtörtes Stillleben die mit einem wiſſenſchaftlichen Berufe allein verträgliche Lebensweiſe ſei. Wir ſind Alle über¬ zeugt, daß der Wiſſenſchaft zu ihrem eignen Gedeihen die freie Luft des Lebens unentbehrlich iſt; ſie ſoll aber ihren Werth auch darin bewähren, daß ſie für die Beurtheilung der Tages¬ fragen den Blick ſchärft und den Geiſt aufhellt. Denn wenn

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/352>, abgerufen am 23.11.2024.