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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
in ihrer Bedeutung erkannt. Freilich giebt es Viele, welche
sich nicht eher beruhigen, bis sie an jeder Größe die Schwächen
und Gebrechen aufgespürt haben, um sich dem unbequemen
Gefühle bewundernder Anerkennung zu entziehen. Aber das
Wesen und die Bedeutung eines Mannes liegt doch nicht in
den Schwächen und Unvollkommenheiten, die er mit allen
Sterblichen theilt, sondern in dem, was ihn auszeichnet vor
der Menge derselben und ihm seinen historischen Charakter
giebt. Mißgünstigen Menschen mag es ärgerlich sein, daß
uns nichts Glaubwürdiges überliefert ist, was die sittliche
Würde des Perikles beeinträchtigt; wir prägen nur um
so lieber die Züge des großen Mannes unserem Gedächt¬
nisse ein und freuen uns der dauernden Bedeutung seines
Lebenswerks.

Denn wir, denen im perikleischen Athen das merkwür¬
digste Staatsleben vor Augen tritt, die wir in seinen Denk¬
mälern das Wesen echter Kunst wieder gefunden haben, die
wir die belebende Berührung jener Geister, die Perikles wie
ein Musaget um sich sammelte, täglich an uns spüren, wir
werden doch nicht von kurzen und vergeblichen Bestrebungen
jener Zeit reden? Bloßer Nachruhm ist ein eitles Ding, aber
nicht so eine durch Jahrhunderte dauernde Wirkung, welche
unter den verschiedensten Völkern die Liebe zum Guten und
Schönen weckt. Das Bewußtsein, nicht für eine kurze Gegen¬
wart, sondern für die kommenden Geschlechter zu wirken, hat¬
ten Perikles und seine großen Zeitgenossen, und dies Be¬
wußtsein war ihnen ein Trost für vielfältige Verkennung,
Lästerung und Verfolgung und ein Quell des Lebensmuths;
es war zugleich die höchste Weihe, welche auf dem Glücke des
perikleischen Athens lag.

Also auch wir haben unseren Antheil daran. Auch für
uns, die wir heute hier versammelt sind, hat Perikles gewirkt,
und die Wissenschaft ist es, welche uns diese Wirkung zu gute
kommen läßt. Sie ist das Band, welches alle Generationen
verbindet und die Nachgeborenen zurückweist auf die Wohl¬
thäter unseres Geschlechts. Es ist kein guter Geist, welcher

Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
in ihrer Bedeutung erkannt. Freilich giebt es Viele, welche
ſich nicht eher beruhigen, bis ſie an jeder Größe die Schwächen
und Gebrechen aufgeſpürt haben, um ſich dem unbequemen
Gefühle bewundernder Anerkennung zu entziehen. Aber das
Weſen und die Bedeutung eines Mannes liegt doch nicht in
den Schwächen und Unvollkommenheiten, die er mit allen
Sterblichen theilt, ſondern in dem, was ihn auszeichnet vor
der Menge derſelben und ihm ſeinen hiſtoriſchen Charakter
giebt. Mißgünſtigen Menſchen mag es ärgerlich ſein, daß
uns nichts Glaubwürdiges überliefert iſt, was die ſittliche
Würde des Perikles beeinträchtigt; wir prägen nur um
ſo lieber die Züge des großen Mannes unſerem Gedächt¬
niſſe ein und freuen uns der dauernden Bedeutung ſeines
Lebenswerks.

Denn wir, denen im perikleiſchen Athen das merkwür¬
digſte Staatsleben vor Augen tritt, die wir in ſeinen Denk¬
mälern das Weſen echter Kunſt wieder gefunden haben, die
wir die belebende Berührung jener Geiſter, die Perikles wie
ein Muſaget um ſich ſammelte, täglich an uns ſpüren, wir
werden doch nicht von kurzen und vergeblichen Beſtrebungen
jener Zeit reden? Bloßer Nachruhm iſt ein eitles Ding, aber
nicht ſo eine durch Jahrhunderte dauernde Wirkung, welche
unter den verſchiedenſten Völkern die Liebe zum Guten und
Schönen weckt. Das Bewußtſein, nicht für eine kurze Gegen¬
wart, ſondern für die kommenden Geſchlechter zu wirken, hat¬
ten Perikles und ſeine großen Zeitgenoſſen, und dies Be¬
wußtſein war ihnen ein Troſt für vielfältige Verkennung,
Läſterung und Verfolgung und ein Quell des Lebensmuths;
es war zugleich die höchſte Weihe, welche auf dem Glücke des
perikleiſchen Athens lag.

Alſo auch wir haben unſeren Antheil daran. Auch für
uns, die wir heute hier verſammelt ſind, hat Perikles gewirkt,
und die Wiſſenſchaft iſt es, welche uns dieſe Wirkung zu gute
kommen läßt. Sie iſt das Band, welches alle Generationen
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[319/0335] Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens. in ihrer Bedeutung erkannt. Freilich giebt es Viele, welche ſich nicht eher beruhigen, bis ſie an jeder Größe die Schwächen und Gebrechen aufgeſpürt haben, um ſich dem unbequemen Gefühle bewundernder Anerkennung zu entziehen. Aber das Weſen und die Bedeutung eines Mannes liegt doch nicht in den Schwächen und Unvollkommenheiten, die er mit allen Sterblichen theilt, ſondern in dem, was ihn auszeichnet vor der Menge derſelben und ihm ſeinen hiſtoriſchen Charakter giebt. Mißgünſtigen Menſchen mag es ärgerlich ſein, daß uns nichts Glaubwürdiges überliefert iſt, was die ſittliche Würde des Perikles beeinträchtigt; wir prägen nur um ſo lieber die Züge des großen Mannes unſerem Gedächt¬ niſſe ein und freuen uns der dauernden Bedeutung ſeines Lebenswerks. Denn wir, denen im perikleiſchen Athen das merkwür¬ digſte Staatsleben vor Augen tritt, die wir in ſeinen Denk¬ mälern das Weſen echter Kunſt wieder gefunden haben, die wir die belebende Berührung jener Geiſter, die Perikles wie ein Muſaget um ſich ſammelte, täglich an uns ſpüren, wir werden doch nicht von kurzen und vergeblichen Beſtrebungen jener Zeit reden? Bloßer Nachruhm iſt ein eitles Ding, aber nicht ſo eine durch Jahrhunderte dauernde Wirkung, welche unter den verſchiedenſten Völkern die Liebe zum Guten und Schönen weckt. Das Bewußtſein, nicht für eine kurze Gegen¬ wart, ſondern für die kommenden Geſchlechter zu wirken, hat¬ ten Perikles und ſeine großen Zeitgenoſſen, und dies Be¬ wußtſein war ihnen ein Troſt für vielfältige Verkennung, Läſterung und Verfolgung und ein Quell des Lebensmuths; es war zugleich die höchſte Weihe, welche auf dem Glücke des perikleiſchen Athens lag. Alſo auch wir haben unſeren Antheil daran. Auch für uns, die wir heute hier verſammelt ſind, hat Perikles gewirkt, und die Wiſſenſchaft iſt es, welche uns dieſe Wirkung zu gute kommen läßt. Sie iſt das Band, welches alle Generationen verbindet und die Nachgeborenen zurückweiſt auf die Wohl¬ thäter unſeres Geſchlechts. Es iſt kein guter Geiſt, welcher

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/335>, abgerufen am 22.07.2024.