XVIII. Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
Man hört unter den Menschen von nichts mehr reden, als von guten und schlechten Zeiten, und darunter werden nicht bloß vorübergehende Verhältnisse verstanden, welche günstig oder ungünstig auf den Wohlstand einwirken, sondern man glaubt auch ganze Geschichtsperioden in dieser Weise unter¬ scheiden zu können und hört wohl gar Einzelne darüber klagen, daß es ihnen nicht beschieden sei, einer anderen, glück¬ licheren Generation anzugehören. Denn der Grundzug solcher Betrachtungen ist immer ein Gefühl des Mißbehagens und der Unzufriedenheit mit den Zuständen der Gegenwart, und so lange wir die Menschen kennen, betrauern sie ein verlorenes Glück und hoffen immer von Neuem auf die Herstellung eines Zustandes, welchen sie als den normalen ansehen und auf den sie ein gewisses Anrecht zu haben glauben. Wie viel Mittel sind nicht ersonnen worden, um diese Hoffnung zu verwirk¬ lichen! Da wurden wichtige Begebenheiten benutzt, um von ihnen eine neue Zeitrechnung zu beginnen, als sollte nun auf einmal das Alte vergessen und zu guter Stunde ein neuer Anfang gemacht werden. Neue Gottesdienste und Opferbräuche wurden eingeführt, Tempel geweiht, Feste und Festspiele ge¬ stiftet, Sühnungen ganzer Gemeinden, Städte und Länder vorgenommen, um einen neuen, reinen Anfang zu gewinnen. Oder man knüpfte seine Hoffnungen an solche Wendepunkte,
XVIII. Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
Man hört unter den Menſchen von nichts mehr reden, als von guten und ſchlechten Zeiten, und darunter werden nicht bloß vorübergehende Verhältniſſe verſtanden, welche günſtig oder ungünſtig auf den Wohlſtand einwirken, ſondern man glaubt auch ganze Geſchichtsperioden in dieſer Weiſe unter¬ ſcheiden zu können und hört wohl gar Einzelne darüber klagen, daß es ihnen nicht beſchieden ſei, einer anderen, glück¬ licheren Generation anzugehören. Denn der Grundzug ſolcher Betrachtungen iſt immer ein Gefühl des Mißbehagens und der Unzufriedenheit mit den Zuſtänden der Gegenwart, und ſo lange wir die Menſchen kennen, betrauern ſie ein verlorenes Glück und hoffen immer von Neuem auf die Herſtellung eines Zuſtandes, welchen ſie als den normalen anſehen und auf den ſie ein gewiſſes Anrecht zu haben glauben. Wie viel Mittel ſind nicht erſonnen worden, um dieſe Hoffnung zu verwirk¬ lichen! Da wurden wichtige Begebenheiten benutzt, um von ihnen eine neue Zeitrechnung zu beginnen, als ſollte nun auf einmal das Alte vergeſſen und zu guter Stunde ein neuer Anfang gemacht werden. Neue Gottesdienſte und Opferbräuche wurden eingeführt, Tempel geweiht, Feſte und Feſtſpiele ge¬ ſtiftet, Sühnungen ganzer Gemeinden, Städte und Länder vorgenommen, um einen neuen, reinen Anfang zu gewinnen. Oder man knüpfte ſeine Hoffnungen an ſolche Wendepunkte,
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XVIII.
Die Bedingungen eines glücklichen Staatslebens.
Man hört unter den Menſchen von nichts mehr reden,
als von guten und ſchlechten Zeiten, und darunter werden
nicht bloß vorübergehende Verhältniſſe verſtanden, welche günſtig
oder ungünſtig auf den Wohlſtand einwirken, ſondern man
glaubt auch ganze Geſchichtsperioden in dieſer Weiſe unter¬
ſcheiden zu können und hört wohl gar Einzelne darüber
klagen, daß es ihnen nicht beſchieden ſei, einer anderen, glück¬
licheren Generation anzugehören. Denn der Grundzug ſolcher
Betrachtungen iſt immer ein Gefühl des Mißbehagens und
der Unzufriedenheit mit den Zuſtänden der Gegenwart, und
ſo lange wir die Menſchen kennen, betrauern ſie ein verlorenes
Glück und hoffen immer von Neuem auf die Herſtellung eines
Zuſtandes, welchen ſie als den normalen anſehen und auf den
ſie ein gewiſſes Anrecht zu haben glauben. Wie viel Mittel
ſind nicht erſonnen worden, um dieſe Hoffnung zu verwirk¬
lichen! Da wurden wichtige Begebenheiten benutzt, um von
ihnen eine neue Zeitrechnung zu beginnen, als ſollte nun auf
einmal das Alte vergeſſen und zu guter Stunde ein neuer
Anfang gemacht werden. Neue Gottesdienſte und Opferbräuche
wurden eingeführt, Tempel geweiht, Feſte und Feſtſpiele ge¬
ſtiftet, Sühnungen ganzer Gemeinden, Städte und Länder
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Oder man knüpfte ſeine Hoffnungen an ſolche Wendepunkte,
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/317>, abgerufen am 23.11.2024.
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