suchungen gemacht hat, ja, daß auch diejenigen Philosophen, welche im Ganzen die geistigen Güter, entwertheten, wie die Epikuräer, ängstlich bestrebt waren, die Vereinbarkeit ihrer Ethik mit der Freundschaft zu erweisen.
Die Freundschaftslehre ist das rechte Erkennungszeichen der hellenischen und jeder hellenisirenden Ethik, und auf keinem Gebiete ist das, was das Volksbewußtsein in Spruch und Sitte ausgeprägt hatte, so wie hier als gute Münze in den Gebrauch der Wissenschaft übergegangen. Es kam nur darauf an, das ursprüngliche Gepräge recht kenntlich zu machen, den Schmutz zu entfernen, dem nichts entgeht, was im Leben Umlauf hat, das gemeine Bewußtsein zu erheben und das Volk aus seiner eignen Sitte zu belehren. Und wie merk¬ würdig ergänzen sich hierin die drei großen Philosophen!
Sokrates faßt die Freundschaft von ihrer praktischen Seite auf und benutzt die Uebereinstimmung Aller über die Unent¬ behrlichkeit derselben im Haushalte des menschlichen Daseins, um recht handgreiflich nachzuweisen, wie auch der Nothbedarf des Lebens mit dem sittlich Guten unzertrennbar verbunden sei.
Platon geht auf die Keime zurück, aus denen in der Tiefe der Seele Liebe und Freundschaft mit Naturnothwendig¬ keit entstehen; er knüpft an den im Volke weit verbreiteten Erosdienst an, um die Liebe als die Grundkraft des sittlichen Lebens zu verherrlichen. Sie ist der treibende Keim des Gött¬ lichen im Menschenherzen, die Sehnsucht, die ihm inmitten der irdischen Dinge keine Ruhe gönnt, und wenn diese Sehn¬ sucht nicht unstät hin- und herflattert, von Trugbildern getäuscht, wenn sie nicht ausartet in eine krankhafte Sentimentalität, die nur sich selbst sucht, wenn sie durch Besonnenheit auf ihr rechtes Ziel geleitet und durch Gemeinschaft mit Gleichgestimmten im kräftigen Emporstreben gestärkt wird: dann wird sie die eigent¬ liche Schwungkraft der Menschenseele, vermöge welcher sie sich aus der Zeitlichkeit und Leiblichkeit in die Gemeinschaft der Gottheit erhebt.
Während die platonische Lehre ganz von der Idee der Liebe durchdrungen ist und alle sittliche Vollkommenheit auf
Die Freundſchaft im Alterthume.
ſuchungen gemacht hat, ja, daß auch diejenigen Philoſophen, welche im Ganzen die geiſtigen Güter, entwertheten, wie die Epikuräer, ängſtlich beſtrebt waren, die Vereinbarkeit ihrer Ethik mit der Freundſchaft zu erweiſen.
Die Freundſchaftslehre iſt das rechte Erkennungszeichen der helleniſchen und jeder helleniſirenden Ethik, und auf keinem Gebiete iſt das, was das Volksbewußtſein in Spruch und Sitte ausgeprägt hatte, ſo wie hier als gute Münze in den Gebrauch der Wiſſenſchaft übergegangen. Es kam nur darauf an, das urſprüngliche Gepräge recht kenntlich zu machen, den Schmutz zu entfernen, dem nichts entgeht, was im Leben Umlauf hat, das gemeine Bewußtſein zu erheben und das Volk aus ſeiner eignen Sitte zu belehren. Und wie merk¬ würdig ergänzen ſich hierin die drei großen Philoſophen!
Sokrates faßt die Freundſchaft von ihrer praktiſchen Seite auf und benutzt die Uebereinſtimmung Aller über die Unent¬ behrlichkeit derſelben im Haushalte des menſchlichen Daſeins, um recht handgreiflich nachzuweiſen, wie auch der Nothbedarf des Lebens mit dem ſittlich Guten unzertrennbar verbunden ſei.
Platon geht auf die Keime zurück, aus denen in der Tiefe der Seele Liebe und Freundſchaft mit Naturnothwendig¬ keit entſtehen; er knüpft an den im Volke weit verbreiteten Erosdienſt an, um die Liebe als die Grundkraft des ſittlichen Lebens zu verherrlichen. Sie iſt der treibende Keim des Gött¬ lichen im Menſchenherzen, die Sehnſucht, die ihm inmitten der irdiſchen Dinge keine Ruhe gönnt, und wenn dieſe Sehn¬ ſucht nicht unſtät hin- und herflattert, von Trugbildern getäuſcht, wenn ſie nicht ausartet in eine krankhafte Sentimentalität, die nur ſich ſelbſt ſucht, wenn ſie durch Beſonnenheit auf ihr rechtes Ziel geleitet und durch Gemeinſchaft mit Gleichgeſtimmten im kräftigen Emporſtreben geſtärkt wird: dann wird ſie die eigent¬ liche Schwungkraft der Menſchenſeele, vermöge welcher ſie ſich aus der Zeitlichkeit und Leiblichkeit in die Gemeinſchaft der Gottheit erhebt.
Während die platoniſche Lehre ganz von der Idee der Liebe durchdrungen iſt und alle ſittliche Vollkommenheit auf
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[191/0207]
Die Freundſchaft im Alterthume.
ſuchungen gemacht hat, ja, daß auch diejenigen Philoſophen,
welche im Ganzen die geiſtigen Güter, entwertheten, wie die
Epikuräer, ängſtlich beſtrebt waren, die Vereinbarkeit ihrer
Ethik mit der Freundſchaft zu erweiſen.
Die Freundſchaftslehre iſt das rechte Erkennungszeichen
der helleniſchen und jeder helleniſirenden Ethik, und auf keinem
Gebiete iſt das, was das Volksbewußtſein in Spruch und
Sitte ausgeprägt hatte, ſo wie hier als gute Münze in den
Gebrauch der Wiſſenſchaft übergegangen. Es kam nur darauf
an, das urſprüngliche Gepräge recht kenntlich zu machen, den
Schmutz zu entfernen, dem nichts entgeht, was im Leben
Umlauf hat, das gemeine Bewußtſein zu erheben und das
Volk aus ſeiner eignen Sitte zu belehren. Und wie merk¬
würdig ergänzen ſich hierin die drei großen Philoſophen!
Sokrates faßt die Freundſchaft von ihrer praktiſchen Seite
auf und benutzt die Uebereinſtimmung Aller über die Unent¬
behrlichkeit derſelben im Haushalte des menſchlichen Daſeins,
um recht handgreiflich nachzuweiſen, wie auch der Nothbedarf
des Lebens mit dem ſittlich Guten unzertrennbar verbunden ſei.
Platon geht auf die Keime zurück, aus denen in der
Tiefe der Seele Liebe und Freundſchaft mit Naturnothwendig¬
keit entſtehen; er knüpft an den im Volke weit verbreiteten
Erosdienſt an, um die Liebe als die Grundkraft des ſittlichen
Lebens zu verherrlichen. Sie iſt der treibende Keim des Gött¬
lichen im Menſchenherzen, die Sehnſucht, die ihm inmitten
der irdiſchen Dinge keine Ruhe gönnt, und wenn dieſe Sehn¬
ſucht nicht unſtät hin- und herflattert, von Trugbildern getäuſcht,
wenn ſie nicht ausartet in eine krankhafte Sentimentalität, die
nur ſich ſelbſt ſucht, wenn ſie durch Beſonnenheit auf ihr rechtes
Ziel geleitet und durch Gemeinſchaft mit Gleichgeſtimmten im
kräftigen Emporſtreben geſtärkt wird: dann wird ſie die eigent¬
liche Schwungkraft der Menſchenſeele, vermöge welcher ſie ſich
aus der Zeitlichkeit und Leiblichkeit in die Gemeinſchaft der
Gottheit erhebt.
Während die platoniſche Lehre ganz von der Idee der
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/207>, abgerufen am 22.07.2024.
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