Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Freundschaft im Alterthume. handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was unszu einer echten Gemeinschaft verbindet, so lassen Sie mich heute von dem Gute der Freundschaft reden, und zwar von der besonderen Bedeutung, welche dieselbe im Alterthume für die sittliche Erziehung, für die wissenschaftliche Bildung und für das bürgerliche Gemeinwesen gehabt hat. Der Werth der geistigen Güter wird nicht auf dem Markte Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die Die Freundſchaft im Alterthume. handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was unszu einer echten Gemeinſchaft verbindet, ſo laſſen Sie mich heute von dem Gute der Freundſchaft reden, und zwar von der beſonderen Bedeutung, welche dieſelbe im Alterthume für die ſittliche Erziehung, für die wiſſenſchaftliche Bildung und für das bürgerliche Gemeinweſen gehabt hat. Der Werth der geiſtigen Güter wird nicht auf dem Markte Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0200" n="184"/><fw place="top" type="header">Die Freundſchaft im Alterthume.<lb/></fw> handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was uns<lb/> zu einer echten Gemeinſchaft verbindet, ſo laſſen Sie mich<lb/> heute von dem Gute der Freundſchaft reden, und zwar von<lb/> der beſonderen Bedeutung, welche dieſelbe im Alterthume für<lb/> die ſittliche Erziehung, für die wiſſenſchaftliche Bildung und<lb/> für das bürgerliche Gemeinweſen gehabt hat.</p><lb/> <p>Der Werth der geiſtigen Güter wird nicht auf dem Markte<lb/> des Lebens feſtgeſtellt, ſondern in dem engeren Kreiſe derer,<lb/> welche den Trieb nach ſittlicher Vervollkommnung in ſich tragen<lb/> und pflegen. Dieſem Triebe ſteht ein anderer feindlich gegen¬<lb/> über, das iſt der Trieb der Selbſtſucht. Der ſittlich rohe<lb/> Menſch ſtellt ſich in den Mittelpunkt der Welt und weiſt, je<lb/> nachdem er geartet iſt, durch Gewalt oder Liſt, Alles zurück,<lb/> was ſeinen Eigenwillen hemmt. Dieſe Eigenwilligkeit muß<lb/> ein Gegengewicht haben, wenn die menſchliche Geſellſchaft nicht<lb/> ein Kampfplatz entfeſſelter Leidenſchaften werden ſoll. Die<lb/> Geſellſchaft ſchützt ſich gegen die Anmaßungen der Einzelnen<lb/> durch die Sitte, welche der Wille der Geſammtheit feſtſtellt;<lb/> die Sitte wird im Geſetze anerkannt und ſeinen Satzungen<lb/> müſſen ſich Alle unterordnen, welche an den Vortheilen der<lb/> Gemeinſchaft Theil nehmen wollen; die Einen aus innerer<lb/> Uebereinſtimmung, die Anderen aus Furcht vor der Strafe.<lb/> Das Geſetz erzieht den Menſchen. In der verſtändigen Unter¬<lb/> ordnung unter daſſelbe lernt er die Tugend, welche die Griechen<lb/> für die Grundtugend hielten, die Sophroſyne, die Tugend des<lb/> Maßhaltens, der weiſen und beſonnenen Selbſtbeſchränkung in<lb/> Wort und Handlung. Er wird ein gerechter Menſch. Aber<lb/> dieſe Gerechtigkeit iſt nur eine äußerliche; ſie hemmt den Aus¬<lb/> bruch der Selbſtſucht, aber den Trieb kann ſie nicht entfernen.<lb/> Das eigentlich ſittliche Bedürfniß bleibt alſo unbefriedigt.</p><lb/> <p>Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die<lb/> Götter ſchützen das, was nach Kenntnißnahme ihres Willens<lb/> Recht im Staate geworden iſt, die Gottesfurcht unterſtützt die<lb/> Ehrfurcht vor den Geſetzen. Es ſtellt aber die Religion auch<lb/> ihre eigenen Forderungen an den Menſchen. Sie verlangt,<lb/> daß er die Götter über ſich anerkenne, ſie vor den Menſchen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [184/0200]
Die Freundſchaft im Alterthume.
handelt. Ja, um noch näher an das anzuknüpfen, was uns
zu einer echten Gemeinſchaft verbindet, ſo laſſen Sie mich
heute von dem Gute der Freundſchaft reden, und zwar von
der beſonderen Bedeutung, welche dieſelbe im Alterthume für
die ſittliche Erziehung, für die wiſſenſchaftliche Bildung und
für das bürgerliche Gemeinweſen gehabt hat.
Der Werth der geiſtigen Güter wird nicht auf dem Markte
des Lebens feſtgeſtellt, ſondern in dem engeren Kreiſe derer,
welche den Trieb nach ſittlicher Vervollkommnung in ſich tragen
und pflegen. Dieſem Triebe ſteht ein anderer feindlich gegen¬
über, das iſt der Trieb der Selbſtſucht. Der ſittlich rohe
Menſch ſtellt ſich in den Mittelpunkt der Welt und weiſt, je
nachdem er geartet iſt, durch Gewalt oder Liſt, Alles zurück,
was ſeinen Eigenwillen hemmt. Dieſe Eigenwilligkeit muß
ein Gegengewicht haben, wenn die menſchliche Geſellſchaft nicht
ein Kampfplatz entfeſſelter Leidenſchaften werden ſoll. Die
Geſellſchaft ſchützt ſich gegen die Anmaßungen der Einzelnen
durch die Sitte, welche der Wille der Geſammtheit feſtſtellt;
die Sitte wird im Geſetze anerkannt und ſeinen Satzungen
müſſen ſich Alle unterordnen, welche an den Vortheilen der
Gemeinſchaft Theil nehmen wollen; die Einen aus innerer
Uebereinſtimmung, die Anderen aus Furcht vor der Strafe.
Das Geſetz erzieht den Menſchen. In der verſtändigen Unter¬
ordnung unter daſſelbe lernt er die Tugend, welche die Griechen
für die Grundtugend hielten, die Sophroſyne, die Tugend des
Maßhaltens, der weiſen und beſonnenen Selbſtbeſchränkung in
Wort und Handlung. Er wird ein gerechter Menſch. Aber
dieſe Gerechtigkeit iſt nur eine äußerliche; ſie hemmt den Aus¬
bruch der Selbſtſucht, aber den Trieb kann ſie nicht entfernen.
Das eigentlich ſittliche Bedürfniß bleibt alſo unbefriedigt.
Die Religion giebt dem Rechte eine höhere Weihe. Die
Götter ſchützen das, was nach Kenntnißnahme ihres Willens
Recht im Staate geworden iſt, die Gottesfurcht unterſtützt die
Ehrfurcht vor den Geſetzen. Es ſtellt aber die Religion auch
ihre eigenen Forderungen an den Menſchen. Sie verlangt,
daß er die Götter über ſich anerkenne, ſie vor den Menſchen
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