Kyros sah nur die Schattenseite, und es ist unläugbar, daß die Erwerbslust, welche keinen regelmäßigen Wechsel von Arbeit und Muße, keine festen Ziele und Zeiten hat wie der Landbau, die sittliche Gesundheit der Griechen frühzeitig an¬ gegriffen und ihren Stammcharakter wesentlich verändert hat. Andererseits beruht aber die ganze Vielseitigkeit und Frucht¬ barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verschiedenen Culturkreisen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen doppelten Zug, den arischen Stolz, der jeden kaufmännischen und industriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern abgelernte Betriebsamkeit, die in rastloser Geschäftigkeit Alles zu verwerthen suchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß hervorbrachte.
Dieser Gegensatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt; er hat Nachdenken und Anstrengung hervorgerufen, und in dem Bestreben ihn richtig zu vermitteln sind die Griechen über die Einseitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die verschiedenen Richtungen des Menschenlebens zuerst klar über¬ blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung aufgestellt.
Merkwürdig ist, wie sie dazu das Ausländische benutzten.
Von den Phöniziern haben sie Menschenraub und Menschen¬ handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬ ben, einen Stand heimathloser Leute zusammen zu bringen, auf welchen die Landeskinder die Last der Tagesarbeit wälzen konnten. Nun theilt sich das Geschlecht der Menschen dar¬ nach, ob sie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, sagt Aristo¬ teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und Arbeitspause. Auch für das unreife Alter ist sie nicht vor¬ handen. Erst der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein, wie der erwachsene Haussohn in den Besitz des Erbes. Sie ist das höchste aller Güter, das wahre Leben, weil sie allein freie Verfügung über Zeit und Kraft gestattet. Aber dieser Schatz will verwaltet sein und dazu bedarf es einer Vorbil¬ dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden, sonst geht der Mensch an ihrem Genuß zu Grunde. Das
Arbeit und Muße.
Kyros ſah nur die Schattenſeite, und es iſt unläugbar, daß die Erwerbsluſt, welche keinen regelmäßigen Wechſel von Arbeit und Muße, keine feſten Ziele und Zeiten hat wie der Landbau, die ſittliche Geſundheit der Griechen frühzeitig an¬ gegriffen und ihren Stammcharakter weſentlich verändert hat. Andererſeits beruht aber die ganze Vielſeitigkeit und Frucht¬ barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verſchiedenen Culturkreiſen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen doppelten Zug, den ariſchen Stolz, der jeden kaufmänniſchen und induſtriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern abgelernte Betriebſamkeit, die in raſtloſer Geſchäftigkeit Alles zu verwerthen ſuchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß hervorbrachte.
Dieſer Gegenſatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt; er hat Nachdenken und Anſtrengung hervorgerufen, und in dem Beſtreben ihn richtig zu vermitteln ſind die Griechen über die Einſeitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die verſchiedenen Richtungen des Menſchenlebens zuerſt klar über¬ blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung aufgeſtellt.
Merkwürdig iſt, wie ſie dazu das Ausländiſche benutzten.
Von den Phöniziern haben ſie Menſchenraub und Menſchen¬ handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬ ben, einen Stand heimathloſer Leute zuſammen zu bringen, auf welchen die Landeskinder die Laſt der Tagesarbeit wälzen konnten. Nun theilt ſich das Geſchlecht der Menſchen dar¬ nach, ob ſie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, ſagt Ariſto¬ teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und Arbeitspauſe. Auch für das unreife Alter iſt ſie nicht vor¬ handen. Erſt der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein, wie der erwachſene Hausſohn in den Beſitz des Erbes. Sie iſt das höchſte aller Güter, das wahre Leben, weil ſie allein freie Verfügung über Zeit und Kraft geſtattet. Aber dieſer Schatz will verwaltet ſein und dazu bedarf es einer Vorbil¬ dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden, ſonſt geht der Menſch an ihrem Genuß zu Grunde. Das
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0167"n="151"/><fwplace="top"type="header">Arbeit und Muße.<lb/></fw><p>Kyros ſah nur die Schattenſeite, und es iſt unläugbar,<lb/>
daß die Erwerbsluſt, welche keinen regelmäßigen Wechſel von<lb/>
Arbeit und Muße, keine feſten Ziele und Zeiten hat wie der<lb/>
Landbau, die ſittliche Geſundheit der Griechen frühzeitig an¬<lb/>
gegriffen und ihren Stammcharakter weſentlich verändert hat.<lb/>
Andererſeits beruht aber die ganze Vielſeitigkeit und Frucht¬<lb/>
barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verſchiedenen<lb/>
Culturkreiſen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen<lb/>
doppelten Zug, den ariſchen Stolz, der jeden kaufmänniſchen<lb/>
und induſtriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern<lb/>
abgelernte Betriebſamkeit, die in raſtloſer Geſchäftigkeit Alles<lb/>
zu verwerthen ſuchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß<lb/>
hervorbrachte.</p><lb/><p>Dieſer Gegenſatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt;<lb/>
er hat Nachdenken und Anſtrengung hervorgerufen, und in<lb/>
dem Beſtreben ihn richtig zu vermitteln ſind die Griechen über<lb/>
die Einſeitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die<lb/>
verſchiedenen Richtungen des Menſchenlebens zuerſt klar über¬<lb/>
blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung<lb/>
aufgeſtellt.</p><lb/><p>Merkwürdig iſt, wie ſie dazu das Ausländiſche benutzten.</p><lb/><p>Von den Phöniziern haben ſie Menſchenraub und Menſchen¬<lb/>
handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬<lb/>
ben, einen Stand heimathloſer Leute zuſammen zu bringen,<lb/>
auf welchen die Landeskinder die Laſt der Tagesarbeit wälzen<lb/>
konnten. Nun theilt ſich das Geſchlecht der Menſchen dar¬<lb/>
nach, ob ſie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, ſagt Ariſto¬<lb/>
teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und<lb/>
Arbeitspauſe. Auch für das unreife Alter iſt ſie nicht vor¬<lb/>
handen. Erſt der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein,<lb/>
wie der erwachſene Hausſohn in den Beſitz des Erbes. Sie<lb/>
iſt das höchſte aller Güter, das wahre Leben, weil ſie allein<lb/>
freie Verfügung über Zeit und Kraft geſtattet. Aber dieſer<lb/>
Schatz will verwaltet ſein und dazu bedarf es einer Vorbil¬<lb/>
dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden,<lb/>ſonſt geht der Menſch an ihrem Genuß zu Grunde. <hirendition="#g">Das</hi><lb/></p></div></body></text></TEI>
[151/0167]
Arbeit und Muße.
Kyros ſah nur die Schattenſeite, und es iſt unläugbar,
daß die Erwerbsluſt, welche keinen regelmäßigen Wechſel von
Arbeit und Muße, keine feſten Ziele und Zeiten hat wie der
Landbau, die ſittliche Geſundheit der Griechen frühzeitig an¬
gegriffen und ihren Stammcharakter weſentlich verändert hat.
Andererſeits beruht aber die ganze Vielſeitigkeit und Frucht¬
barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verſchiedenen
Culturkreiſen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen
doppelten Zug, den ariſchen Stolz, der jeden kaufmänniſchen
und induſtriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern
abgelernte Betriebſamkeit, die in raſtloſer Geſchäftigkeit Alles
zu verwerthen ſuchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß
hervorbrachte.
Dieſer Gegenſatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt;
er hat Nachdenken und Anſtrengung hervorgerufen, und in
dem Beſtreben ihn richtig zu vermitteln ſind die Griechen über
die Einſeitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die
verſchiedenen Richtungen des Menſchenlebens zuerſt klar über¬
blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung
aufgeſtellt.
Merkwürdig iſt, wie ſie dazu das Ausländiſche benutzten.
Von den Phöniziern haben ſie Menſchenraub und Menſchen¬
handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬
ben, einen Stand heimathloſer Leute zuſammen zu bringen,
auf welchen die Landeskinder die Laſt der Tagesarbeit wälzen
konnten. Nun theilt ſich das Geſchlecht der Menſchen dar¬
nach, ob ſie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, ſagt Ariſto¬
teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und
Arbeitspauſe. Auch für das unreife Alter iſt ſie nicht vor¬
handen. Erſt der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein,
wie der erwachſene Hausſohn in den Beſitz des Erbes. Sie
iſt das höchſte aller Güter, das wahre Leben, weil ſie allein
freie Verfügung über Zeit und Kraft geſtattet. Aber dieſer
Schatz will verwaltet ſein und dazu bedarf es einer Vorbil¬
dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden,
ſonſt geht der Menſch an ihrem Genuß zu Grunde. Das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/167>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.