Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Kunstsammlungen, ihre Geschichte und ihre Bestimmung.
für nur den Vortheil, daß man alle früheren Erfahrungen
benutzen, alle Mißbräuche und Irrwege vermeiden und den
höchsten Gesichtspunkten folgen konnte.

Wozu aber hatten im Laufe der Jahrhunderte die Kunst¬
denkmäler der alten Zeit nicht dienen müssen! In den Land¬
häusern der Italiäner und Engländer waren sie ein Gegen¬
stand aristokratischer Liebhaberei, im Vatikan die Herolde einer
Fürstenmacht, welcher alle Herrlichkeit der Welt huldigen mußte.
Sie waren benutzt worden, um neu geschaffenen Herrschaften
den Adel der Geschichte zu ersetzen, und Barbarenfürsten als
Träger hellenischer Gesittung erscheinen zu lassen. Man hat
die Götter und Heroen an den blutigen Siegeswagen gebun¬
den, und wie einst Rom und Byzanz, so auch die neue Cä¬
sarenstadt durch sie als Weltmetropole kennzeichnen wollen.

Ueberall haben sie einer gröberen oder feineren Selbst¬
sucht gedient und sind zu Zwecken, welche ihnen ganz fremd
sind, verwendet worden. Hier ist das Vermächtniß des Alter¬
thums um seiner selbst willen zur Schau gestellt, und während
anderswo, wie in Versailles, die fürstlichen Kunstschätze erst
durch eine Staatsumwälzung dem Volke zugänglich wurden,
sind die Terrassen von Sanssouci ihrer berühmten Statuen¬
gruppen durch den königlichen Besitzer selbst aus freiem An¬
triebe zu Gunsten eines öffentlichen Instituts beraubt worden,
und eben so wurden das neue Palais, das Marmorpalais,
die Schlösser in Berlin und Charlottenburg entleert, um für
höhere Volksbildung diejenigen Hülfsmittel herbeizubringen,
deren eine umfassende Kunstkenntniß nicht entbehren kann.

Denn das war der zweite Gesichtspunkt, welcher bei
Gründung eines deutschen Kunstmuseums vorherrschen mußte,
die Vielseitigkeit. Die Sammlungen des klassischen Bodens
haben meist einen bestimmten Kunstbezirk, den sie vertreten,
und darauf ruht ihre Bedeutung. Wir werden nur in attischen
Sammlungen die Kunst der Athener überblicken können und
nur in Neapel die Kunstwelt Campaniens. Die russischen
Sammlungen sind vorzugsweise auf die alten Städte der Krim
angewiesen; in den römischen Galerien sieht man den Ge¬

Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung.
für nur den Vortheil, daß man alle früheren Erfahrungen
benutzen, alle Mißbräuche und Irrwege vermeiden und den
höchſten Geſichtspunkten folgen konnte.

Wozu aber hatten im Laufe der Jahrhunderte die Kunſt¬
denkmäler der alten Zeit nicht dienen müſſen! In den Land¬
häuſern der Italiäner und Engländer waren ſie ein Gegen¬
ſtand ariſtokratiſcher Liebhaberei, im Vatikan die Herolde einer
Fürſtenmacht, welcher alle Herrlichkeit der Welt huldigen mußte.
Sie waren benutzt worden, um neu geſchaffenen Herrſchaften
den Adel der Geſchichte zu erſetzen, und Barbarenfürſten als
Träger helleniſcher Geſittung erſcheinen zu laſſen. Man hat
die Götter und Heroen an den blutigen Siegeswagen gebun¬
den, und wie einſt Rom und Byzanz, ſo auch die neue Cä¬
ſarenſtadt durch ſie als Weltmetropole kennzeichnen wollen.

Ueberall haben ſie einer gröberen oder feineren Selbſt¬
ſucht gedient und ſind zu Zwecken, welche ihnen ganz fremd
ſind, verwendet worden. Hier iſt das Vermächtniß des Alter¬
thums um ſeiner ſelbſt willen zur Schau geſtellt, und während
anderswo, wie in Verſailles, die fürſtlichen Kunſtſchätze erſt
durch eine Staatsumwälzung dem Volke zugänglich wurden,
ſind die Terraſſen von Sansſouci ihrer berühmten Statuen¬
gruppen durch den königlichen Beſitzer ſelbſt aus freiem An¬
triebe zu Gunſten eines öffentlichen Inſtituts beraubt worden,
und eben ſo wurden das neue Palais, das Marmorpalais,
die Schlöſſer in Berlin und Charlottenburg entleert, um für
höhere Volksbildung diejenigen Hülfsmittel herbeizubringen,
deren eine umfaſſende Kunſtkenntniß nicht entbehren kann.

Denn das war der zweite Geſichtspunkt, welcher bei
Gründung eines deutſchen Kunſtmuſeums vorherrſchen mußte,
die Vielſeitigkeit. Die Sammlungen des klaſſiſchen Bodens
haben meiſt einen beſtimmten Kunſtbezirk, den ſie vertreten,
und darauf ruht ihre Bedeutung. Wir werden nur in attiſchen
Sammlungen die Kunſt der Athener überblicken können und
nur in Neapel die Kunſtwelt Campaniens. Die ruſſiſchen
Sammlungen ſind vorzugsweiſe auf die alten Städte der Krim
angewieſen; in den römiſchen Galerien ſieht man den Ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="111"/><fw place="top" type="header">Kun&#x017F;t&#x017F;ammlungen, ihre Ge&#x017F;chichte und ihre Be&#x017F;timmung.<lb/></fw> für nur den Vortheil, daß man alle früheren Erfahrungen<lb/>
benutzen, alle Mißbräuche und Irrwege vermeiden und den<lb/>
höch&#x017F;ten Ge&#x017F;ichtspunkten folgen konnte.</p><lb/>
        <p>Wozu aber hatten im Laufe der Jahrhunderte die Kun&#x017F;<lb/>
denkmäler der alten Zeit nicht dienen mü&#x017F;&#x017F;en! In den Land¬<lb/>
häu&#x017F;ern der Italiäner und Engländer waren &#x017F;ie ein Gegen¬<lb/>
&#x017F;tand ari&#x017F;tokrati&#x017F;cher Liebhaberei, im Vatikan die Herolde einer<lb/>
Für&#x017F;tenmacht, welcher alle Herrlichkeit der Welt huldigen mußte.<lb/>
Sie waren benutzt worden, um neu ge&#x017F;chaffenen Herr&#x017F;chaften<lb/>
den Adel der Ge&#x017F;chichte zu er&#x017F;etzen, und Barbarenfür&#x017F;ten als<lb/>
Träger helleni&#x017F;cher Ge&#x017F;ittung er&#x017F;cheinen zu la&#x017F;&#x017F;en. Man hat<lb/>
die Götter und Heroen an den blutigen Siegeswagen gebun¬<lb/>
den, und wie ein&#x017F;t Rom und Byzanz, &#x017F;o auch die neue Cä¬<lb/>
&#x017F;aren&#x017F;tadt durch &#x017F;ie als Weltmetropole kennzeichnen wollen.</p><lb/>
        <p>Ueberall haben &#x017F;ie einer gröberen oder feineren Selb&#x017F;<lb/>
&#x017F;ucht gedient und &#x017F;ind zu Zwecken, welche ihnen ganz fremd<lb/>
&#x017F;ind, verwendet worden. Hier i&#x017F;t das Vermächtniß des Alter¬<lb/>
thums um &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t willen zur Schau ge&#x017F;tellt, und während<lb/>
anderswo, wie in Ver&#x017F;ailles, die für&#x017F;tlichen Kun&#x017F;t&#x017F;chätze er&#x017F;t<lb/>
durch eine Staatsumwälzung dem Volke zugänglich wurden,<lb/>
&#x017F;ind die Terra&#x017F;&#x017F;en von Sans&#x017F;ouci ihrer berühmten Statuen¬<lb/>
gruppen durch den königlichen Be&#x017F;itzer &#x017F;elb&#x017F;t aus freiem An¬<lb/>
triebe zu Gun&#x017F;ten eines öffentlichen In&#x017F;tituts beraubt worden,<lb/>
und eben &#x017F;o wurden das neue Palais, das Marmorpalais,<lb/>
die Schlö&#x017F;&#x017F;er in Berlin und Charlottenburg entleert, um für<lb/>
höhere Volksbildung diejenigen Hülfsmittel herbeizubringen,<lb/>
deren eine umfa&#x017F;&#x017F;ende Kun&#x017F;tkenntniß nicht entbehren kann.</p><lb/>
        <p>Denn das war der zweite Ge&#x017F;ichtspunkt, welcher bei<lb/>
Gründung eines deut&#x017F;chen Kun&#x017F;tmu&#x017F;eums vorherr&#x017F;chen mußte,<lb/>
die Viel&#x017F;eitigkeit. Die Sammlungen des kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Bodens<lb/>
haben mei&#x017F;t einen be&#x017F;timmten Kun&#x017F;tbezirk, den &#x017F;ie vertreten,<lb/>
und darauf ruht ihre Bedeutung. Wir werden nur in atti&#x017F;chen<lb/>
Sammlungen die Kun&#x017F;t der Athener überblicken können und<lb/>
nur in Neapel die Kun&#x017F;twelt Campaniens. Die ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Sammlungen &#x017F;ind vorzugswei&#x017F;e auf die alten Städte der Krim<lb/>
angewie&#x017F;en; in den römi&#x017F;chen Galerien &#x017F;ieht man den Ge¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0127] Kunſtſammlungen, ihre Geſchichte und ihre Beſtimmung. für nur den Vortheil, daß man alle früheren Erfahrungen benutzen, alle Mißbräuche und Irrwege vermeiden und den höchſten Geſichtspunkten folgen konnte. Wozu aber hatten im Laufe der Jahrhunderte die Kunſt¬ denkmäler der alten Zeit nicht dienen müſſen! In den Land¬ häuſern der Italiäner und Engländer waren ſie ein Gegen¬ ſtand ariſtokratiſcher Liebhaberei, im Vatikan die Herolde einer Fürſtenmacht, welcher alle Herrlichkeit der Welt huldigen mußte. Sie waren benutzt worden, um neu geſchaffenen Herrſchaften den Adel der Geſchichte zu erſetzen, und Barbarenfürſten als Träger helleniſcher Geſittung erſcheinen zu laſſen. Man hat die Götter und Heroen an den blutigen Siegeswagen gebun¬ den, und wie einſt Rom und Byzanz, ſo auch die neue Cä¬ ſarenſtadt durch ſie als Weltmetropole kennzeichnen wollen. Ueberall haben ſie einer gröberen oder feineren Selbſt¬ ſucht gedient und ſind zu Zwecken, welche ihnen ganz fremd ſind, verwendet worden. Hier iſt das Vermächtniß des Alter¬ thums um ſeiner ſelbſt willen zur Schau geſtellt, und während anderswo, wie in Verſailles, die fürſtlichen Kunſtſchätze erſt durch eine Staatsumwälzung dem Volke zugänglich wurden, ſind die Terraſſen von Sansſouci ihrer berühmten Statuen¬ gruppen durch den königlichen Beſitzer ſelbſt aus freiem An¬ triebe zu Gunſten eines öffentlichen Inſtituts beraubt worden, und eben ſo wurden das neue Palais, das Marmorpalais, die Schlöſſer in Berlin und Charlottenburg entleert, um für höhere Volksbildung diejenigen Hülfsmittel herbeizubringen, deren eine umfaſſende Kunſtkenntniß nicht entbehren kann. Denn das war der zweite Geſichtspunkt, welcher bei Gründung eines deutſchen Kunſtmuſeums vorherrſchen mußte, die Vielſeitigkeit. Die Sammlungen des klaſſiſchen Bodens haben meiſt einen beſtimmten Kunſtbezirk, den ſie vertreten, und darauf ruht ihre Bedeutung. Wir werden nur in attiſchen Sammlungen die Kunſt der Athener überblicken können und nur in Neapel die Kunſtwelt Campaniens. Die ruſſiſchen Sammlungen ſind vorzugsweiſe auf die alten Städte der Krim angewieſen; in den römiſchen Galerien ſieht man den Ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/127
Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/127>, abgerufen am 29.11.2024.